Nach Australien nun auch Norwegen: Oslo zieht einen sich schon 20 Jahre hinziehenden Auftrag für 14 europäische Militärhubschrauber des Typs NH90 zurück. Die acht bisher einsatzfertig gelieferten Maschinen sollen zurückgegeben werden, wie Verteidigungsminister Bjørn Arild Gram vor wenigen Tagen mitteilte. Außerdem verlangt die norwegische Regierung vom internationalen Herstellerkonsortium NH Industries (an dem Airbus mit 62,5 Prozent beteiligt ist), umgerechnet rund eine halbe Milliarde Euro – zusätzlich zu Zinsen und anderen Ausgaben – zurück.

„Bedauerlicherweise sind wir zu der Einschätzung gelangt, dass der NH90, egal wie viele Stunden unsere Techniker arbeiten und wie viele Teile wir bestellen, niemals in der Lage sein wird, die Anforderungen der norwegischen Streitkräfte zu erfüllen”, sagte Gram. Aufgrund der „unterirdischen” Betriebsverfügbarkeit des Drehflüglers hat Norwegen die gesamte Flotte sofort und dauerhaft gegroundet. Auf der Grundlage einer gemeinsamen Empfehlung der Streitkräfte und der damit verbundenen Abteilungen und Behörden hat die norwegische Regierung beschlossen, die Einführung des NH90 zu beenden und die norwegische Agentur für Verteidigungsmaterial dazu ermächtigt, den Vertrag zu kündigen. Gram: „Die Agentur bereitet sich darauf vor, die Hubschrauber zusammen mit allen Ersatzteilen und anderen Ausrüstungsgegenständen, die sie erhalten hat, an NHI zurückzugeben.”

@FörsvaretsforumBislang wurden 13 der 14 bestellten NH90-Hubschrauber ausgeliefert, aber nur acht kamen nach Angaben des norwegischen Verteidigungsministeriums in einer voll funktionsfähigen Konfiguration an. Dazu kommt: Bei Vertragserrichtung ging Norwegen von bis zu 5.400 Jahresflugstunden aus, tatsächlich lag dieser Wert aber gerade einmal bei durchschnittlich 700 Stunden pro Jahr. „Die Hubschrauber verbringen deutlich mehr Zeit in der Werkstätte, als in der Luft”, so Gram.

Er sagte auch, Norwegen müsse nun einen anderen geeignete(re)n Seehubschrauber finden, um den NH90 schnell zu ersetzen. Ohne spezifische Typen zu erwähnen, sagte er, Norwegen werde „mehrere alternative Ansätze in Betracht ziehen, um unsere operativen Anforderungen zu erfüllen, aber wir müssen darauf vorbereitet sein, dass es keine einfachen Lösungen geben wird”. Damit dürfte auch Sikorsky (Lockheed-Martin) mit seinem MH-60R Romeo-Seahawk-Hubschrauber wieder im Rennen sein, der damals bereits als Lynx-Ersatz in Betracht gezogen wurde, ehe man sich für den NH90 entschied.

@Försvaretsforum
Norwegens Verteidigungsminister Bjørn Arild Gram.

Ganz war man sich in Norwegen punkto des Einsatzes der Hubschrauber sowohl in der Marine (Sjøforsvaret) als auch in der Küstenwache (Kystwakt) aber selbst nicht klar. Bereits 2018 kam das nationale Verteidigungsforschungsinstitut FFI zu dem Schluss, dass die spätere Flotte als NFHs (neue Fregattenhubschrauber) absehbar nur 2.100 Flugstunden pro Jahr generieren würde, anstatt der 5.400, die erforderlich wären, um sowohl die U-Boot-Abwehr (ASW) als auch Fischerei- und Grenzschutzmissionen abzudecken. Später hielt das FFI dann 3.900 Flugstunden für möglich, was aber rund 470 Millionen NKR (rund 50 Millionen Euro) mehr gekostet hätte, als prognostiziert. Noch später empfahl das FFI, dass alle 14 Maschinen in der Marineunterstützungsrolle eingesetzt werden sollten. Man räumte schon damals ein, dass die Einweihung des NH90-Hubschraubers bei Küstenwache und Fregatten eine Herausforderung darstelle, hielt jedoch an dem Ziel fest, dass die Einführung bis 2022 (!) abgeschlossen sein solle – der Vertrag wurde 2001 unterzeichnet!

2018 sagte daher der damalige Verteidigungsminister Frank Bakke-Jensen: „Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die Betriebskosten des NH90 weit höher sind als geplant. Nichtsdestotrotz ist der NH90 maßgeschneidert für unsere Bedingungen und maßgeschneidert für die Bedürfnisse der Küstenwache und der Marine. Es gibt heute keinen anderen Hubschrauber auf dem Markt, der uns eine vergleichbare Kapazität bietet. Die zu erwartenden erhöhten Betriebskosten und der Bedarf der Streitkräfte müssen im Zusammenhang mit der nächsten langfristigen Planung angegangen werden.” Nun hat diese Planung offenbar ein vorzeitiges Ende ergeben. Wobei eine Fortsetzung der „Zusammenarbeit” vor Gericht durchaus wahrscheinlich erscheint. „Dessen sei man sich auch bewusst”, heißt es aus Norwegen.

@Norwegian Armed ForcesHersteller ist „enttäuscht”
NHI, ein speziell für diesen Typ geschaffenes Konsortium der europäischen Flugzeug- und Verteidigungshersteller Leonardo und Fokker unter der Leitung von Airbus, zeigte sich „extrem enttäuscht von Norwegens Entscheidung”. Man könne „alle Vorwürfe, die gegen den NH90 und das Unternehmen erhoben werden, entkräften”. Das Unternehmen stellte zwar in Frage, dass Norwegen den NH90-Deal legal „versenken” könnte, drohte jedoch bislang nicht ausdrücklich mit rechtlichen Schritten. NHI sagte weiters, es sei nicht die Möglichkeit geboten worden, einen Vorschlag zur Verbesserung der Verfügbarkeit des NH90 in Norwegen zu diskutieren oder die Anforderungen Norwegens zu erfüllen, bevor „der Stecker gezogen” wurde.

Leonardo: 20 M-346 und 24 Eurofighter für Ägypten?

„Die inhärenten Eigenschaften des NH90 bieten allen Streitkräften eine fortschrittliche, voll integrierte Einsatzfähigkeit, Überlebensfähigkeit, Geschwindigkeit, Aktionsumfang, Diskretion sowie Nacht- und Allwetteroperationen, die in ihrer Kategorie weltweit ihresgleichen suchen. In seiner Marinekonfiguration ist es ein unvergleichlicher Vorteil, um die Bedürfnisse der norwegischen Streitkräfte zu erfüllen und die fortschrittlichsten Überwachungsfähigkeiten in der Nordsee zu ermöglichen, so wie es der NH90 auch anderswo in Europa auf See tut, um Nationen zu schützen”, schrieb NHI in einer Erklärung vom 10. Juni. „NH Industries und seine Partnerunternehmen sind und haben sich kontinuierlich absolut verpflichtet, die zuvor geäußerten Bedenken auszuräumen, und haben die geeigneten und maßgeschneiderten Lösungen auf den Tisch gebracht, um die spezifischen und einzigartigen norwegischen Anforderungen zu erfüllen. Mit 13 ausgelieferten Hubschraubern von 14 Maschinen und dem vierzehnten abnahmebereiten Hubschrauber standen wir kurz vor dem Abschluss des Hauptumfangs des ursprünglichen Vertrags.”

NHI habe bis dato 471 NH90 an seine Kunden ausgeliefert, und die globale Flotte ist etwas mehr als 327.000 Stunden geflogen. Der Hubschrauber wurde entwickelt, um den europäischen NATO-Ländern einen standardmäßigen und interoperablen Mehrzweck-Drehflügler zur Verfügung zu stellen, der sich auf Küstenpatrouillen, U-Boot-Abwehr, Such- und Rettungs-, Küstenpatrouillen- und Versorgungsoperationen konzentriert.

@Georg Mader
Neben einigen anderen Ländern setzt auch die finnische Luftwaffe auf den NH90.

Norwegen keineswegs Einzelfall
Die anderen Betreibernationen des NH90 sind Australien, Belgien, Deutschland Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, die Niederlande, Neuseeland, Oman, Katar, Spanien und Schweden. Am selben Tag, an dem Norwegen seine NH90-Flotte aufzugeben bekannt gab, akzeptierte die Qatar Emiri Air Force ihren fünften Hubschrauber.

Auch in der deutschen Bundeswehr ist das Muster beim Heer mit 82 Stück als NH90TTH bereits eingeführt, bei der Marine läuft die Einführung von 18 Stück der speziellen maritimen Version namens NH90 NTH Sea Lion. Allerdings gibt es laut dem letzten Bericht zur materiellen Einsatzbereitschaft der Bundeswehr vom Jänner auch hier persistente Probleme mit den Maschinen, speziell punkto Verfügbarkeitsrate. Sie ist mit 19 Prozent (!) auf einem deutlich zu niedrigen Niveau. Das wird auf das sehr komplexe Wartungs- und Inspektionssystem sowie die Umrüstungsmaßnahmen zur Harmonisierung der Bauzustände (sogenannte „Retrofits”) zurückgeführt. Insbesondere bei den Umrüstmaßnahmen treten laut Bericht Lieferverzögerungen der Industrie von bis zu zwölf Monaten auf. Was die Instandhaltung betrifft, soll es bei den seit April 2020 im Rahmen des sogenannten „Standardisierten Instandhaltungsleistungsvertrags” (SILV) durchgeführten zwölf Inspektionen des NH90 aber eine deutliche Verbesserung der Leistungserbringung der Industrie geben. Die Durchlaufzeiten der Inspektionen im SILV haben sich im Vergleich zu den Altverträgen auf derzeit sieben Monate halbiert. Beeinträchtigt wird dieser Erfolg durch mehrfache Arbeitsstopps aufgrund fehlender Ersatzteile – vor allem Lieferverzögerungen bei Ersatzteilen aus dem „Repair and Overhaul”-Prozess – und zuletzt wegen der diversen Covid-Einschränkungen auf Belegschaften.

Die niederländische Marine stellte 2014 an zwei ihrer NH90 Hubschrauber erhebliche Korrosionsschäden fest, nachdem diese über längere Zeit in maritimen Gebieten eingesetzt worden waren, worauf das Land die Abnahme weiterer Hubschrauber aussetzte und das zuständige Beschaffungsamt sowie die Partner im NH90-Programm informierte. Die Maschinen entstammten unterschiedlichen Baulosen und wurden in einem Fall von einer Fregatte aus eingesetzt, im anderen Fall von einer Marinebasis am Meer. Die Marine stellte fest, dass mit 56,6 Prozent der häufigste Grund für die Korrosion fehlender Korrosionsschutz war, so dass Kontaktkorrosion auftrat. Für das deutsche Sea-Lion-Programm wurde durch die Industrie zugesichert, bereits in der Produktion entsprechende Maßnahmen umzusetzen.

@Royal Australian Army Media
Australien zog schon Ende des vergangenen Jahres den Stecker und stellte seine Taipan-Helis – einer Variante des NH90 – außer Dienst.

Norwegen ist also nicht der einzige Betreiber, der Schwierigkeiten hatte, das Muster für den Dienst fit zu halten, wie auch diese ausführliche Mängelbeschreibung zeigt. Und unter Berufung auf ähnliche Schwierigkeiten bei der Wartung und Verfügbarkeit gab auch Australien im vergangenen Dezember bekannt, dass es seine Flotte von MRH90-Gefechtsfeld-Mehrzweckhubschraubern, einer Variante des NH90 (dort Taipan genannt), aufgibt und sie durch in den USA neu gebaute UH-60M Black Hawks ersetzt. Australien entschied sich 2004 für den NH90, die 46 Maschinen wurden ab 2008 in Dienst gestellt. Nun wird die Flotte ein Jahrzehnt früher als geplant abgestellt, um Platz für etwa 40 neue Black Hawks zu schaffen.

Dass zwei Nationen nun ihre Flotten früher aufgegeben haben, hat dem von Airbus geführten Konsortium, aber auch der europäischen Luftfahrtindustrie – speziell auf diesem Segmentmarkt – einen schweren Schlag punkto Reputation versetzt.

Hier geht es zu weiteren Meldungen rund um Airbus Defence and Space.

Quelle@Försvaretsforum, Norwegian Armed Forces, Royal Australian Army Media, Georg Mader