Im kommenden Jahr setzen die internationalen Truppen ihren lang geplanten Abzug aus Afghanistan in die Tat um – auch wenn noch viele Fragen offen sind.

Mit den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon brach 2001 eine Welt zusammen. Für die Amerikaner, die plötzlich merkten, auch im eigenen Land verwundbar zu sein. Aber auch für Afghanistan und die dort regierenden Taliban, die plötzlich von der geopolitischen Peripherie in den Fokus der Weltöffentlichkeit rückten – mit unangenehmen Folgen. Da die USA die Drahtzieher von 9/11 in dem Land am Hindukusch vermuteten und man zugleich der Terrororganisation al-Qaida die Rückzugsräume entziehen wollte, begannen sie noch im Oktober 2001 mithilfe eines internationalen Militärbündnisses eine Invasion Afghanistans. In der Folge beauftragten die Vereinten Nationen die International Assistance Force (ISAF), mit ihren rund 100.000 Soldaten aus 50 Ländern, den notwendigen militärischen Beitrag zum Aufbau des Landes zu leisten. Doch die Taliban und andere Aufständische wehrten sich vor allem in den Jahren 2005 und 2006 vehement, woraufhin die reine US-Mission „Enduring Freedom“ mit dem ISAF-Einsatz in Afghanistan verbunden wurde. Weitere Truppenverstärkungen nach 2008 sollten die Voraussetzungen für den geplanten Abzug ab 2011 schaffen – mit drei Jahren Verspätung ist es im kommenden Jahr nun tatsächlich so weit.

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Der Stand der ISAF-Truppen wird sich von derzeit rund 80.000 bis Ende kommenden Jahres auf wenige Tausend Soldaten reduzieren.

Der Plan sieht einen Abzug der ISAF-Kampftruppen bis Ende 2014 vor. Um ein Machtvakuum im Land zu vermeiden, hat die afghanische Regierung vor einigen Monaten bereits damit begonnen, selbst die Verantwortung für die Sicherheit in die Hand zu nehmen – entsprechende Schulungen und Vorbereitungen laufen seit Jahren. Ebenso laufen die Planspiele für den Abzug der internationalen Truppen, der allerdings eine logistische Herausforderung bedeutet und den ISAF-Kommandeuren einiges an Kopfzerbrechen bereitet. Denn: Für den Abzug gibt es keinen einheitlichen Plan.

Während die Deutschen beispielsweise weiter Afghanen ausbilden und Entwicklungshilfe leisten wollen, möchte Frankreich das Land verlassen und sich verstärkt in Afrika engagieren. Italien wiederum will 4.000 Soldaten in Afghanistan behalten, Großbritannien gar mit 9.000 Soldaten vor Ort bleiben. Ähnlich sind die Überlegungen bei den USA, die zwar das Gros ihrer Truppen zurück in die Heimat beordern, aber weiter Stützpunkte im Land halten und gegen mutmaßliche Terroristen auch mit Drohnen vorgehen wollen. Die Amerikaner verhandeln deshalb gerade mit der Regierung in Kabul über den zukünftigen Status der US-Truppen im Land. Ein Entwurf für ein entsprechendes Abkommen wurde von der großen Stammesversammlung auch bereits angenommen, zu Redaktionsschluss fehlte aber noch die Zusage von Präsident Karzai. Den Amerikanern geht es dabei vor allem um zwei Luftwaffenstützpunkte: Shindand im Westen des Landes und Bagram im Osten. Ersterer liegt nur wenige Kilometer von der Grenze zum Iran entfernt, kann mehr als hundert Flugzeuge aufnehmen und hat nach dem Abzug aus dem Irak eine große strategische Bedeutung. Zweiterer ist selbst für strategische Transportflugzeuge anfliegbar und in Richtung China vermutlich auch über die aktuellen Zerwürfnisse in Afghanistan hinaus für die Amerikaner nicht uninteressant.

Unabhängig davon, wie viele Truppen schlussendlich im Land bleiben, erfolgt der Abzug zu einem Zeitpunkt, an dem al-Qaida einigermaßen neutralisiert ist. Die Taliban sind zwar lokal aktiv, stellen aber mehr ein kriminelles als ein militärisches Problem dar. Trotzdem machen sie sich schon längst Gedanken über ihre Afghanistan-Lösung. Präsident Karzai wird daher nicht umhinkommen, mit den Taliban über die Zeit nach dem Abzug zu verhandeln. Ein immenses Problem für die Stabilität des Landes könnte dabei die hohe Korruption sein. Lokale Warlords haben sich als Gouverneure, Polizei- oder Geheimdienstchefs auf Provinzebene eingenistet und kontrollieren die staatliche Vergabe von internationalen Hilfsgeldern. Transparenz wäre wohl die einzige Möglichkeit, diese Geldwege offenzulegen. Korruption und Kriminalität zu bekämpfen, wird Aufgabe der afghanischen Polizei sein. Trotz breiter internationaler Unterstützung fehlt es ihr aber an Ausbildern. Besser scheint die Situation der Armee, die sich mit viel Unterstützung auf eine Stärke von 350.000 Soldaten entwickelt hat. Aber auch ihr fehlt es vielfach an Wissen und Fertigkeiten, weshalb die Kämpfe gegen Aufständische im Land mehr schlecht als recht vorankommen.

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Afghanische Polizei- und Militäreinheiten sind schon weitgehend selbst für die Sicherheit verantwortlich, 2014 wird die Unterstützung der ISAF-Truppen noch weiter zurückgehen.

Infolgedessen wird der ISAF-Abzug von vielen Seiten mit gemischten Gefühlen gesehen. Auch von den abziehenden Ländern selbst: Sie werden ihre Kampftruppen oder zumindest deren Hauptteile in jedem Fall in ihre Heimatländer zurückbeordern, dabei aber aufpassen, nicht als letzte von den Hunden gebissen zu werden. Wie sich die Sicherheitslage nämlich entwickeln wird, wenn der Großteil der ISAF-Truppen das Land erst einmal verlassen hat, ist eine große Unbekannte und in erster Linie von einer klaren politischen Lösung bei den anstehenden Präsidentenwahlen abhängig. Will man von der Transformation des Landes in einen funktionierenden demokratischen Staat sprechen, muss man unabhängig davon aber wohl in Jahrzehnten denken. Welche Nachfolgemissionen im Detail ins Leben gerufen werden und wer sich daran wie beteiligen wird, sollte daher in Ruhe überlegt sein – dabei werden sich alle Beteiliten aber einmal mehr an den USA orientieren müssen.

Dazu passend auch unser Pro & Contra, das der Frage
nachgeht: Ist in Afghanistan ein dauerhafter Friede möglich?
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