Während die Weltwirtschaftsleistung um 3,3 Prozent schrumpfte, stiegen die Rüstungsausgaben 2020 um 2,6 Prozent auf den neuen Höchststand von 1.651 Milliarden Euro. Diese Entwicklung ist kein Widerspruch, sie folgt vielmehr aktuellen geopolitischen Realitäten und der Beschaffungslogik von Streitkräften, sagt Sicherheitspolitik-Experte Brigadier a. D. Walter Feichtinger.

Auch heuer präsentierten renommierte Forschungseinrichtungen Ende April die (geschätzten) weltweiten Verteidigungsausgaben. Selbst wenn die Angaben leicht differieren, die Botschaft bleibt gleich: Es wird mehr Geld in Streitkräfte investiert als jemals zuvor. Am meisten steckten laut dem schwedischen Friedensforschungsinstitut SIPRI im vergangenen Jahr die USA (639 Milliarden Euro) und China (207 Milliarden) in ihre Armeen, gefolgt von Indien (59,9 Milliarden), Russland (50,7 Milliarden), Großbritannien (48,7 Milliarden) und Saudi Arabien (47,3 Milliarden). Einen starken Anstieg verzeichnete Deutschland (43,4 Milliarden), das nun knapp vor Frankreich (43,3 Milliarden) liegt. Damit setzte sich ein seit 2015 bestehender Trend fort, der – zumindest vorerst – selbst durch Corona nicht gestoppt werden konnte. Was auf den ersten Blick paradox erscheint – sinkende Staatseinnahmen und höhere Verteidigungsausgaben – lässt sich allerdings anhand von drei Aspekten erklären.

So folgen Militärausgaben erstens primär mittel- und langfristigen Bedrohungseinschätzungen sowie Machtansprüchen, die es militärisch zu untermauern gilt. Angesichts der Spannungen im Indo-Pazifik, dem Kaschmir-Konflikt und Grenzstreitigkeiten zwischen China und Indien ist es daher kein Zufall, dass die USA, China und Indien die Liste anführen und Peking mit 76 Prozent Zuwachs seit 2011 den stärksten Anstieg der Top 15-Länder aufweist. Russland blieb mit Plus 2,5 Prozent deutlich hinter seinen Plänen, hatte aber von 2000 bis 2017 kontinuierlich Zuwächse. Die Türkei verzeichnete 2020 sogar ein Minus von 5 Prozent, obwohl es wie Russland seine Außenpolitik verstärkt auf das Militär abstützt. Seit 2011 wuchs das Militärbudget Ankaras aber um rekordverdächtige 77 Prozent, besonders infolge seines militärischen Engagements in Syrien.

„Angesichts der geopolitischen Entwicklungen und des Modernisierungszwanges ist nicht mit signifikanten Rückgängen der Wehretats zu rechnen.“

Ein weiterer Grund für die wachsenden Wehretats sind zweitens die Verpflichtungen vieler Länder im Rahmen der NATO. Bis 2024 soll bekanntlich jedes Allianz-Land zwei Prozent seines BIP in seine Streitkräfte stecken, der aktuelle Durchschnitt der europäischen Partner liegt bei 1,52 Prozent. Immerhin 12 der 30 NATO-Staaten erreichen die Vorgabe bereits, das von Ex-US-Präsident Donald Trump gerügte Deutschland hält trotz deutlicher Steigerung bei 1,56 Prozent. Großbritannien hingegen unterstreicht seine geopolitischen Ambitionen durch erhebliche Mehrausgaben und umfangreiche Investitionspläne.

Drittens bringen neue Technologien viele Armeen in Zugzwang, Anpassungen vorzunehmen und in neue Geräte zu investieren. Hier sind insbesondere der Cyberbereich, Drohnen oder Hyperschallwaffen anzuführen. Auch die Modernisierung bestehender Geräte und Anlagen etwa durch leistungsfähige Rechner- oder Kommunikationssysteme (Digitalisierung) erfordert beträchtliche Summen. Die Zyklen werden immer kürzer, auch bei Atomwaffen. Dazu kommt, dass komplexe Beschaffungsvorhaben langfristig angelegt und vertraglich fixiert werden. Kurzfristige Änderungen oder gar Stornierungen wären daher teuer und würden Gesamtplanungen infrage stellen.

Dreht sich nun die Rüstungsspirale immer weiter, ungeachtet der Finanznöte vieler Staaten? Dazu gibt es noch keine eindeutige Antwort. Es wird sicherlich Ansätze geben, Verteidigungsausgaben zur Budgetsanierung zu reduzieren. Das war schon nach der Finanzkrise 2008 zu beobachten. Angesichts der geopolitischen Entwicklungen und des Modernisierungszwanges ist aber nicht mit signifikanten Rückgängen zu rechnen.

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Sicherheitspolitik-Experte Brigadier a. D. Walter Feichtinger ist Präsident des Center for Strategic Analysis (CSA). Von 2002 bis 2020 war er Leiter des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement an der Landesverteidigungsakademie.