Neben dem Islamischen Staat machte in den vergangenen Monaten eine weitere brutale Terrororganisation blutige Schlagzeilen. Georg Mader hat mit Nigerias Air-Vice-Marshal Rufus A. Ojuawo darüber gesprochen, wie Boko Haram beizukommen ist und inwiefern dabei Diplomatie einen durchschlagenden Erfolg verhindert.

Nigeria ist das bevölkerungsreichste Land Afrikas und hat dank riesiger Öl- und Gasvorkommen jüngst Südafrika als führende Wirtschaftsmacht des Kontinents überholt. Trotzdem droht das Land auseinanderzufallen: Die einst alimentierte Terrororganisation Boko Haram kontrolliert inzwischen weite Landesteile im Nordosten und sorgt mit brutalen Überfällen für Schrecken. Die maroden Streitkräfte Nigerias (2014 wurden 108 Männer wegen Desertion standrechtlich erschossen!) kommen den Kämpfern trotz Unterstützung der tschadischen Armee nur schwer bei, der ­Operationschef der nigerianischen Luftwaffe, Air-Vice-Marshal Rufus A. Ojuawo zeigt sich im Gespräch mit ­­Militär Aktuell aber dennoch zuversichtlich, Boko Haram zu besiegen.

Herr Ojuawo, immer wieder kann Ihre Armee bestimmte Ausrüstungsgegenstände nicht bestellen. Woran liegt das?
Politische Diplomatie verhindert, dass wir sie beschaffen können. Wir wollten beispielsweise Cobra-Kampfhubschrauber aus Israel erwerben, bekommen dafür aber keine US-Genehmigung. Auch Material aus Pakistan, für das wir uns interessieren, bekommt nicht von allen Drittstaaten Überflugsgenehmigungen. Der Sudan gewährt sie, Saudi-Arabien aber wieder nicht – und das erschwert uns die Beschaffung neuer Technologien ungemein.

Aber Ihr Land kämpft doch an vorderster Front gegen einen besonders aggressiven Terror-Ableger. Wirkt das nicht verbindend?
Wir bekämpfen Boko Haram und sehen uns daher als Alliierte des Westens. Als diplomatische Erklärung auf unsere Frage, warum wir die Waffen nicht kaufen dürfen, werden aber Menschenrechtsverletzungen angeführt …

… die durch Regierungstruppen verübt worden sein sollen?
Ja, eine Crux. Sie wissen, was man unter Kollateralschäden versteht – aber bei der Schnelligkeit und Wandlungsfähigkeit unseres Gegners ist es oft schwer, das zu verhindern. Erst recht, da uns nicht die neueste oder präziseste Ausstattung zur Verfügung steht. Da beißt sich die Katze in den Schwanz, niemand will eigene Leute töten.

Sie haben eben die Schnelligkeit und Wandlungsfähigkeit von Boko Haram angesprochen: Lässt sich die Terrororganisation vor diesem Hintergrund überhaupt besiegen?
Aber sicher! Und sie wird auch besiegt werden, weil sich auch der Charakter des Kampfes verändert hat. Anfangs haben wir mit Boko Haram lokale Kämpfe in bebautem Gebiet geführt, um Straßenzüge oder einzelne Gebäude. Jetzt sind sie auf Eroberung aus und auf die Besetzung oder Beherrschung ganzer Territorien. Dazu müssen sie mit größeren Verbänden hinaus ins Gelände und das macht sie angreifbar – die richtigen Mittel vorausgesetzt.

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Im Gespräch: Militär Aktuell-Autor Georg Mader traf Nigerias Air-Vice-Marshal Rufus A. Ojuawo am Rande einer Konferenz in London.

Trotzdem: Boko Haram zieht sich immer wieder auch in Nachbarländer zurück. Sie im Kampf zu stellen, ist wohl nicht einfach?
Nein, das ist es tatsächlich nicht. In der Vergangenheit war es oft so, dass die Boko Haram-Kämpfer über die Grenze verschwunden sind oder sich in der Bevölkerung versteckt haben. Wenn wir dann am Ort des Geschehens eingetroffen sind, haben sich manche Kämpfer als Dorfbewohner ausgegeben, als Bauern oder Händler. In der Folge kam es dann leider oft zu den zuvor angesprochenen Verwechslungen oder Fehl­reaktionen. Echte oder gar absichtliche Menschenrechtsverletzungen weise ich aber ausdrücklich zurück!

Ein probates Mittel, um auch in entlegenen Gebieten schnell und präzise zuschlagen zu können, sind Kampfflugzeuge. Ihr Land setzt dabei in erster Linie auf alte Alpha-Jets?
Stimmt, wir haben immer noch Alpha-Jets im Einsatz und dazu Mi-24/35 Hind-Kampfhubschrauber. Leider sind die aber nur mit „dummen“ Bomben und ungelenkten Raketen bewaffnet; die Zielgenauigkeit ist schlecht. Das ist auch einer der Gründe für die Kollateralschäden und Vorwürfe, über die wir gesprochen haben. Wir würden also dringend Präzisions-Abwurfwaffen ­benötigen, wie sie etwa auch von den französischen Rafáles über Lybien oder Mali eingesetzt wurden. Natürlich sind solche Systeme teuer, für uns ist das aber sicher keine Frage des Geldes.

Zu Ihrer Flotte gehören auch Chengdu F-7N (chinesisches MiG-21-Derivat). Könnten die Lenkbomben tragen?
Ja, wir könnten diese Flugzeuge entsprechend ausrüsten. Aber leider haben wir davon nur wenige, und außerdem sind sie für diese Art Mission zu schnell und haben nicht genug Verweildauer. Wir würden also ­Geräte benötigen, die länger über dem Einsatzgebiet bleiben, es beobachten, in Echtzeit Daten übertragen und – wenn nötig – auch selbst zuschlagen können.

Sie haben hier auf der Konferenz den neuen Scorpion-Jet von Textron AirLand (siehe Bericht auf den Seiten 18 bis 19) erwähnt. Würde der die genannten Erfordernisse abdecken?
Absolut. Er ist ausreichend schnell und hat sowohl Aufklärungs- und Beobachtungssensoren als auch Präzisions-Luft/Boden-Bewaffnung. So kann er beobachten und innerhalb des kritischen Zeitfensters zuschlagen. Wir ­haben uns den Scorpion daher genau angesehen und formulieren auch eine offizielle Kaufabsicht. Die Firma hat das Flugzeug privat entwickelt, für bestimmte Bauteile und Sensoren braucht es aber leider ein Okay aus Washington.

Mit „kritischem Zeitfenster” meinen Sie die Zeit zwischen Sichtung, Erkennung und Waffenwirkung?
Richtig. Der Zeitpunkt, an dem frische Informationen über den Feind hereinkommen, und der Zeitpunkt, an dem unsere Reaktion erfolgt, muss möglichst gering sein, um maximalen Erfolg zu erzielen. Aktuell ist es so, dass wir mit unseren Beobachtungsflugzeugen ATR (2-mot Turboprop) und DA-42 (österreichisches Produkt von Diamond) zwar Konvois aufspüren und Angriffe erkennen, aber nicht ­zuschlagen können, weil die Systeme unbewaffnet sind. Bis die Bekämpfung mit anderen Systemen erfolgt, vergehen oft 45 Minuten, was viel zu lange ist. Wir können also live mitverfolgen wie die Terroristen in ein Dorf eindringen, rechtzeitig bekämpfen können wir sie aber nicht. Das ist sehr schmerzhaft, wie Sie sich sicher vorstellen können.

Quelle@Getty Images, Georg Mader