Der brasilianische Großflugzeughersteller Embraer – im Zivilbereich auch beispielsweise in der verjüngten Flotte von Austrian Airlines vertreten – hat Militär Aktuell kürzlich eingeladen, in seinem Militär-Mehrzweck-Transportflugzeug KC-390 (im Marketing nun C-390M Millenium) nach Prag mitzufliegen. Anlass dafür war eine Präsentation des Transporters für die tschechische Armee mit Demonstration der Verladung von Schützenpanzer Pandur 8×8.

@Georg MaderDer zweistrahlige Hochdecker ist – neben 22 Stück für die brasilianische Luftwaffe – mit fünf bestellten Stück für Portugal, zwei Maschinen für Ungarn und dem erst im Juni erfolgten Typenentscheid über fünf Stück in den Niederlanden in EU und NATO längst nicht mehr der „Exote”, der er noch bei der Vorstellung in Farnborough vor einigen Jahren war. In Portugal und in den Niederlandem wird die KC-390 ältere C-130H ersetzen – ein Vorhaben, das sich auch für das heimische BMLV für ab der zweiten Hälfte des Jahrzehnts stellt. Dazu wurde 2021 eine Arbeitsgruppe in der Abteilung Strukturplanung eingerichtet, wo man für den Ersatz der drei alten britischen C-130K (Baujahr 1967/1968) auch die KC-390 im Auge hat. Erst kürzlich fand vor diesem Hintergrund auf der ILA-Berlin ein Arbeitsgespräch von Embraer-Repräsentanten und Vertretern der Abteilung Luftzeugwesen des BMLV statt. Für Embraer ist der rot-weiß-rote Markt natürlich interessant, darüber hinaus blicken die Brasilianer aber verstärkt auch in die Golfregion und speziell nach Indien, wo das russisch-indische Zweistrahler-Projekt MTA „kollabiert” ist.

@Georg MaderEine weitere Option, die den asiatisch-pazifischen Markt für Embraer öffnen würde, könnte Korea Aerospace Industries (KAI) sein. Denn der asiatische Riese plant, das wichtigste Luft- und Raumfahrtunternehmen in Asien zu werden, und fährt eine aggressive kommerzielle Kampagne für seine Produkte, sowohl auf dem lokalen als auch auf dem internationalen Markt. Sogar ein eigener Stealth-Fighter steht vor seinem Erstflug und Mitte des vergangenen Jahres präsentierte KAI sein Konzept für einen mittleren Militärtransporter, der in die gleiche Kategorie wie die KC-390 fallen würde und dem Embraer-Muster optisch sehr ähnelt.

@Georg MaderNachbarkunde Ungarn
Der Einladungsflug fand mit FAB-2857 statt, der achten im Embraer-Werk in Gavião Peixoto gebauten und in der Tanker-Konfiguration (mit zwei Schlauchtrommelbehältern außerhalb der Triebwerke) ausgeführten Variante. Sie kam von Budapest, wo eine brasilianische Delegation (unter anderen mit Parlamentsabgeordneten) am 3. Juni eine wichtige Industrievereinbarung unterzeichnet hat. Diese qualifiziert die ungarische Firma Aeroplex als Embraer Authorized Service Center (EASC) für die Wartung und Support der KC-390 für die ungarischen Streitkräfte und zur Impementierung eines medizinischen Intensivstation-Moduls. Ein MEDEVAC-Modul hat auch das Bundesheer für die C-130 in Hörsching, in der KC-390 sollten theoretisch allerdings zwei derartige Module Platz finden können. Die Tankerkonfiguration war vermutlich nicht zufällig am Start, schließlich hat das ungarische Militär seine beiden ab 2024 zulaufenden Flugzeuge explizit auch mit Lufttankfähigkeit bestellt – im Unterschied zu der RNLAF welche rundum genug andere solche Möglichkeiten angibt.

@Georg Mader
Auch das Bundesheer verfügt über ein für die Hercules passendes MEDEVAC-Modul.

State-of-the-Art
Die Besatzung integrierte – mit Unterstützung von Fluglehrer Saint-Clair Lima da Silva (Instructor Pilot Flight Operations and Training) – Militär Aktuell problemlos in die gesamte Mission. Wir durfen auf einer Sitzbank an der Rückseite des Cockpits Platz nehmen. Jenes ist mit Sidestick-Steuerung und mit vier großen Displays mit Rockwell Collins Pro Line Fusion ausgelegt. In der Mitte die FMS-Systeme, viele Funktionen sichtlich mit „fixer Maus” und Tracking-Ball zu bedienen. Ergänzt werden die Systeme natürlich durch zwei militärische Missionscomputer für die essentiellen Fähigkeiten wie beispielsweise die Anzeige von Bedrohungen und der diesbezüglichen Selbstschutzeinrichtungen. Das Menü wurde auf Nachfrage auch sofort demonstriert, ebenso auch – gleich als on-board-Simulation – das Schwerpunktmanagement beim Absetzen von 19 Tonnen per Fallschirmpack.@Georg MaderDie Maschine kann im Normalbetrieb mit zwei Piloten und einem Lademeister geflogen werden, der hat seine Station ein paar Stufen unterhalb des Cockpits am Beginn des 18,5 Meter langen Frachtraums. Nur für militärisch-taktische Sonderaufgaben wie Betankungen, Absetzen von Fallschirm-Paletten oder Fallschirmtruppen wird ein viertes Besatzungsmitglied auf einem Sitz hinter den Piloten zur Bedienung einer extra Konsole benötigt. Für „unsere heutigen 7,3 Tonnen Politiker, Berater und Gepäck” (Pilot L. Cruz) waren Elemente mit 40 Passagiersitzen sowie WC/Waschraum-Module eingeschoben worden. Auffällig – aber typisch für Brasilien – waren zwei in kleine fixe Küchenelemente integrierte und ununterbrochen laufende große Kaffeemaschinen, deren Duft alles überlagerte.

@ArchivBereits einige strategische Einsätze
Im Verlauf des Tages wurde dem Autor als Beispiel für Flexibilität und Effizienz des Typs ausführlich über einen Langstrecken-Einsatz zwischen 7. und 10. März im Zuge des Ukraine-Krieges berichtet. Damals wurden in der sogenannten „Operação Repatriação – Torepatriate” brasilianische Bürger und diplomatisches Personal mit vollständig eigenen Mitteln und ohne Abstützung durch andere Regierungen oder Militärs aus Warschau zurückgeholt, wohin sie zuvor wegen des Krieges ausgereist waren. Das – wie die Brasilianer betonen – „größte auf der Südhalbkugel gebaute Militärflugzeug” brachte zwölf Tonnen Spenden an humanitär/medizinischer Hilfe für die Ukraine mit: 50 Wasserreinigungssets mit einer Gesamtkapazität von etwa 300.000 Litern Wasser/Tag, 50 Voltaik-Sets mit Solarpanelen zur autarken Stromversorgung von Geräten, zehn Tonnen oder 40.000 Mahlzeiten an dehydrierten Lebensmittel und fünf Sätze medizinischer Notfallmedikamente. Sobald jene ausgeladen waren, wurde der Frachtraum mit den bereits erwähnten Passagiersitze und dem WC/Waschraumelement neu konfiguriert und Mahlzeiten für alle angeboten, „um mit so viel Komfort wie möglich nach Brasilien zurückzukehren”.

@Georg MaderEinsätze und Kapazitäten wie diese würden immer wichtiger, weil seit Kabul „jedes Land seine Leute schnell, autark und auch von weit weg evakuieren und heimholen möchte, was mit unserem Jet-Transporter superb funktioniert“, wie Pilot Saint-Clair Lima da Silva während der Beladung in Budapest erklärte. Die Strecke hin und zurück ging via Recife, Cabo Verde und Lissabon, wobei er – mit acht Jahren Erfahrung auf den insgesamt 27 C-130 der FAB – bemerkte dass man für das „Leg” von Recife auf die Kapverden mit der „Herky” sechs und mit der C-390 nur vier Stunden benötige. Und vibrationsfrei und leiser noch dazu (was der Autor bestätigen kann, im Cockpit und im Frachtraum waren Unterhaltungen ohne Gehörschutz möglich). Die erste große Auslandsmission von KC-390s fand übrigens im August 2020 statt, als zwei Flugzeuge der FAB mit ausschließlich FAB-Personal – nach der Düngemittelexplosion im Hafen von Beirut sechs Tonnen Medikamente, Lebensmittel und medizinische Ausrüstung für die Notfallhilfe in den Libanon brachten. Interessant während des Tages auch die Schilderungen von vielen Antarktis-Flügen durch Transporter-Veteranen wie „Zeus 08” (danke für den entsprechenden Patch).

@Georg MaderPandur-II Trials in Pardubice
Die Boden- und Flugvorführung der KC-390 am darauffolgenden Tag und eine Beladungsdemonstration mit dem Radpanzer Pandur-II (8×8) in Pardubice erfolgte auf ein – wie betont noch unverbindliches – Ersuchen und Interesse des Prager Ministeriums. Daher war auch Verteidigungsministerin Jana Černochová vor Ort. Sie sagte zum tschechischen Fernsehen: „Es ist klar, dass die russische Invasion der Ukraine das Sicherheitsumfeld in der Welt verändert und die Notwendigkeit verstärkt, groß angelegte Modernisierungsprojekte umzusetzen, die darauf abzielen, die Fähigkeiten der Armee der Tschechischen Republik zu stärken. Das gilt auch in logistischer Hinsicht und für den Fall von Evakuierungen.”

@Georg MaderObwohl einst beim Roll-Out der KC-390 auch eine tschechische Fahne neben der vorderen Türe prangte, setzt die tschechische Armee derzeit nur die kleineren spanischen Transportflugzeuge CASA (AIRBUS) C-295MW ein, die bis zu 66 Passagiere oder 46 Fallschirmjäger mit einer Reisegeschwindigkeit von 480 km/h befördern können. Die Fahne hat aber auch damit zu tun, dass der tschechische Hersteller Aero Vodochody die gesamte hintere Rampe sowie einige Türen und Klappen für die KC-390 baut. Die Demo mit dem Achtrad-Pandur (Leergewicht 18 Tonnen, Gefechtsgewicht 20 Tonnen) war jedenfalls eine leichte Übung von fünf Minuten. Zum Vergleich: Der neue Pandur Evolution des Bundesheeres hat 16,3 Tonnen leer und 18,3 Tonnen Gefechtsgewicht. Bei jenem bliebe in den Frachtraumausmaßen jedenfalls rundum deutlich mehr Platz als in einer C-130, selbst mit der Höhe samt Waffenstation dürfte es sich knapp ausgehen.

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Für die Niederlande …
… war der große Zweistrahler letztlich die bessere Wahl gegenüber neuen C-130J. Laut dem niederländischen Verteidigungsministerium sollen die Lieferungen 2026 beginnen und in einem Brief von Staatssekretär Christophe van der Maat vom 17. Juni an das niederländische Unterhaus erläuterte er, dass ursprünglich vier neue Flugzeuge angeschafft werden sollten, nun können es sogar fünf werden. Er verweist – wie seine tschechische Amtskollegin – auf die Evakuierungen in Afghanistan im Jahr 2021 und die drastisch veränderte Sicherheitslage an der Ostflanke Europas: „Diese haben gezeigt, wie wichtig es ist, die Verfügbarkeit von Transportkapazitäten für die Streitkräfte zu gewährleisten. Laut unsere Beurteilungen ist die KC-390 besser für uns geeignet wie die C-130J von Lockheed Martin. Sie hat eine höhere Verfügbarkeit, schneidet bei einer Reihe von betrieblichen und technischen Anforderungen besser ab und erfordert weniger Wartung. Außerdem kann die C-390M bereits mit vier Flugzeugen die Mindestanforderung von 2.400 Flugstunden erfüllen. Die C-130J benötigt dafür fünf Flugzeuge. Und mit der Erweiterung von 2.400 auf 4.000 Flugstunden könnten unsere Einheiten nun mit fünf Stück besser und häufiger unterstützt werden.” Die C-390M wird auch dem European Air Transport Command zur Verfügung gestellt.

@Georg MaderKosten
Der letztlich oft alles entscheidende Faktor bei Bestellungen ist der Preis und da hat Embraer dank dem auf den brasilianischen Arbeitskosten beruhenden niedrigen Stückpreis definitiv gute Argumente. Embraer wollte dazu nichts sagen, nur so viel: Eine neu gebaute C-130-J30 koste heute rund 100 Millionen Euro pro Stück, da sei man selbst jedenfalls „weit darunter”. Ein Problem für die C-390M könnte wiederum sein, dass man damit im Vergleich zu einer Hercules des Öfteren mit nur geringer Auslastung unterwegs sein dürfte und die maximal 26 Tonnen Zuladung nicht ausgenutzt werden.

@Archiv
Sollte die KC-390 tatsächlich ein Thema für das Bundesheer werden, könnten sich von Hörsching aus beträchtliche Einsatzbereiche abdecken lassen.

Die von Den Haag geschätzten Kosten werden übrigens gegenüber Anfangsschätzungen steigen, weil man eben die Zahl der Jahres-Flottenflugstunden deutlich erhöhen will. Ursprünglich lagen die geschätzten Kosten zwischen 250 Millionen Euro und einer Milliarde Euro. Diese würden nun mit einem – noch unbekannt wie lange gerechneten – Lebenszykluskostenanteil und Support zwischen eins und 2,5 Milliarden Euro liegen, so das niederländische Ministerium. Vom Wertschöpfungs-Volumen her unbekannt sind auch eine Reihe von Kooperationsvereinbarungen durch Embraer mit Fokker Technik und Fokker Services.

@Georg MaderPortugal hat jedenfalls 2019 für die fünf KC-390 einen Gesamtpreis von rund 890 Millionen Euro angegeben, aber da sind ein Vollmissions-Simulator und logistischer Support für zwölf Jahre dabei. All das lässt sich wegen nationaler Anforderungen und individuell verhandelter Pakete samt unterschiedlichen Kalkulationen für die Lebensdauerkosten aber kaum vergleichen oder über einen Kamm scheren. Ebenso offen ist, ob eine von brasilianischen Medien aus einem Interview mit dem Airchief Brigadier Carlos de Almeida Baptista Júnior kolportierte (betriebs)budgetbedingte Bestrebung der brasilianischen Luftwaffe zur Reduktion der 390er-Flotte auf (vorerst) 15 Stück etwas am Stückpreis oder (eventuell früherer) Verfügbarkeit ändert. Jackson Schneider als CEO von Embraer-Defense & Security geht weiterhin von 22 Stück aus, für welche auch die Produktionsplanung laufe. Die zu Pfingsten präsenten Embraer-Leute wollten dazu nichts sagen, dass sei eine Sache zwischen der Unternehmensspitze und der brasilianischen Regierung.

EmbraerKonkurrenz durch billigere „Gebraucht-Hercules”
Die Fähigkeit der KC-390, auf dem internationalen Markt (eben auch in Asien und am Golf) gegen die legendäre C-130 Hercules-Serie zu konkurrieren, kann mit mehr Kunden jedenfalls nur besser werden. Allerdings besteht Konkurrenz durch alte Hercules, da aktuell und in den kommenden Jahren die USA (viele), Großbritannien (zwölf) oder Italien (vier bis acht inklusive Tanker) ihrer älteren C-130H und (K)C-130J vordergründig günstig veräußern wollen. Es könnte sich damit eine ähnliche Situation wie damals bei der Beschaffung der Hercules-Maschinen in Österreich wiederholen.

@Georg MaderJüngst wurde jedenfalls bereits bekannt, dass (mindestens) vier der italienischen Juliets aus Pisa in Schweden weiterleben werden, wo die C-130H der Flygvapnet die ältesten Hercules in Europa sind. Der Wechsel erfolgt zu einem mehr oder weniger symbolischen Preis, gegen den man mit Neubauten natürlich nicht konkurrenzfähig sein kann. Auch Lockheed-Martin räumte 2021 auf einer Messe gegenüber dem Autor ein, man würde schon lieber neue Juliets plus Support verkaufen, als nur MRO-Pakete (Wartung/Reparatur/Überholung) für 30 bis 40 Jahre alte USAF-Maschinen aus der Arizona-Wüste. Zudem es dafür weltweite Konkurrenz gibt, rund ein Dutzend Betriebe bieten rund um den Globus Hercules-MRO an. Dazu gehören beispielsweise AIROD in Subang/Malaysia, Marshal of Cambridge oder das Werk OGMA in Alverca bei Lissabon, wohin – deren Mehrheitsanteile liegen bei Embraer – übrigens die absehbar zu ersetzenden österreichischen C-130K für künftige größere MRO-Ereignisse in Abkehr von Cambridge nun gewechselt haben. Gründe sollen – angeblich – in einer Art post-Brexit-Preisdiktat der Briten zu finden sein, verbunden mit der Nichteinhaltung von Lieferzeiten. OGMA baut in Alverca – neben beispielsweise auch F-16AM – übrigens seit 2013 auch an der KC-390 mit.

Last but not least bezüglich eines eventuell anhaftenden „Außenseiter”-Images: Der Partner von Embraer für das gesamten LVR/Simulations-Segment des neuen Transporters ist eine Division der deutschen Rheinmetall-Gruppe. Und die dürfte – nicht nur – hierzulande doch einigermaßen bekannt und eingeführt sein.

@Embraer
Für bislang angeblich punkto Fremdkörper ereignislose Starts und Landungen auf unbefestigten Pisten, wurde am Werksflughafen eine ebensolche parallel angelegt.

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Quelle@Georg Mader, Archiv, Embraer