Oberst i.R. Gail S. Halvorsen, der Mann, der 1948 damit begann, Süßigkeiten und Kaugummi an und dann über Berliner Kindern zu verteilen wurde am 10. Oktober 100 Jahre alt.

Seither oftmals geehrt und auch vergangenes Jahr bei „70 Jahre Luftbrücke” in Berlin dabei, hat der sogenannte „Rosinenbomber‘”– oder „Onkel Flügelwackler”, wie ihn die Kinder auf den Schuttbergen im Anflug auf Tempelhof nannten – immer erzählt, dass das was sich da auch zu einer genialen und weltbekannten US-Propagandageschichte entwickelte, reiner Zufall und für ihn nie absehbar war.

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Gail S. Halvorsen im Jahr 1949 …

Wie viele Jungs seiner Generation, liebte er alles was mit Flugzeugen und Fliegen zu tun hat und träumte davon selbst zu fliegen. Mit 19 war er kurz auf der Utah State University in Logan und trat dort ins Reserveoffiziers-Training der USAAF ein. 1941 hatte er seine Privatpilotenlizenz. Nach Pearl Harbour trat er aktiv in die USAAF ein und flog für den Rest des Krieges keine Kampfeinsätze, sondern Frachtmaschinen für das Foreign Transport Service auf Routen über der Südhalbkugel.

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… und 71 Jahre später anlässlich seines 100. Geburtstages.

Erst durch die Berliner Blockade der Russen vom Juli 1948 bis September 1949 kam Halverson überhaupt nach Europa, weil für die vom US-General William H. Tunner organisierte Luftbrücke unter dem Namen „Operation Vittles” hunderte Transportflugzeuge wie C-47 (DC-3) und C-54 (DC-4) auf den Flugplätzen um Wiesbaden und Frankfurt zusammengezogen wurden. Am Höhepunkt im Mai 1949 flogen alleine die Amerikaner (auch die Briten waren dabei, zum Beispiel mit Sunderland-Flugbooten auf Berliner Gewässern) fast 28.000 Mal nach Tempelhof – oder 1.398 Hin- und Rückflüge in 24 Stunden. Sie brachten den zwei Millionen Berlinern Mehl, Milchpulver, Trockeneier, Trockenkartoffel, Kohle und Vieles mehr, insgesamt 75 Besatzungsmitglieder starben bei Unfällen.

Gail erinnert sich in seiner Autobiographie an einen Tag während einer kurzen Triebwerksüberprüfung, als er zu den Kindern hinüberging, die ihm bei der Landung immer von den Schuttbergen links und rechts im Anflug zuwinkten. Manche konnten schon ein paar Brocken Englisch. Der US-Pilot hatte erwartet, die mageren Kinder würden nach Schokolade fragen – aber sie wollten eher Mehl für daheim, das konnte er nicht „abzweigen”. „Aber ich wollte ihnen irgendwas geben, also suchte ich meine Taschen und Hosensäcke durch und fand nur zwei Streifen Kaugummi. Die wurden in kleine Stücke geteilt und als nichts mehr da war, wollten die leer Ausgegangenen wenigstens den Mint-Duft vom Silberpapier schnüffeln.”

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Ein Rosinenbomber im Anflug auf Berlin Tempelhof.

„Das traf mich”, erzählt er. „Wir US-Personal lebten ja in den Westzonen im Überfluss – und ich wollte ihnen mehr geben. Wenn Sie meinem „Deal” zu folgen versprachen, sich nicht darum zu raufen sondern alles zu teilen, versprach ich Ihnen nächstes Mal Schokolade und Süßigkeiten auf kleinen Fallschirmen rauszuwerfen, wenn ich im Landeanflug war – die C-54 waren mit Fahrwerk und Klappen dafür langsam genug. Und ich gab Ihnen meine Feldpostadresse, für ein Feedback. Was soll ich sagen, wenig später kamen die Briefe zu Hunderten. Das einzige was man modifizieren musste war, dass die Kids nicht wußten welches meine Maschine war, also führte ich ein leichtes Flügelwackeln ein, ein- und zweimal.” All das geschah spontan, ohne Befehl oder Authorisierung und nach einiger Zeit ließ sein Vorgesetzter Halverson kommen. Aber nicht – wie es vielleicht bei Militärs wegen Dienstweg und Eigenmächtigkeit zu erwarten wäre – um ihm das zu untersagen –, sondern um ihn für einen tollen Job zu loben. Er hatte auch Briefe aus Berlin bekommen. Danach schlossen sich andere Piloten der immer mehr zur positiven PR-Aktion auswachsenden Aktivität „gewonnener deutscher Herzen” an – am Ende der Luftbrücke hatten Gail und die anderen 23 Tonnen Süßigkeiten abgeworfen.

Nach der Luftbrücke kehrte Halverson in die USA zurück, traf ein Mädchen, heiratete und bekam fünf Kinder und später einige Enkel. Aber immer noch – und bis heute – hielt er Kontakt zu ehemaligen Kindern aus Berlin, nun selbst schon alte Leute. 1951 erlangte Gail auf der Universität von Florida seinen Bachelor und 1952 seinen Master in Aeronautical Engineering – und einen Posten im Air Force Institute of Technology. 1958 wurde er in die Air Force Space Division nach Inglewood, Kalifornien versetzt, wo er an diversen Forschungs- und Entwicklungsprogrammen mitarbeitete, beispielsweise an „Titan-III” und am Projekt eines bemannten Orbital-Labors (später „Spacelab”). Nach verschiedenen Verwendungen wurde Halverson schließlich stellvertretender Stabschef für Forschung und Entwicklung im Pentagon.

@Alliiertenmuseum Berlin-Dahlem1969 wollte er eigentlich sein Ruhestandgesuch einbringen, die Personalabteilung hatte schon danach gefragt. „Aber da – wie ich später erfuhr – gab es einen General Joseph Holzapple. Und der teilte mir mit, dass es zu diesem Thema meines Abschieds auch Stimmen aus Deutschland gäbe – und die wollten, dass ich an die Stätte meines Wirkens zurückkehre. Also wurde ich 1970 der Kommandant von Tempelhof-Field. Nach vier Jahren war’s das dann aber und ich ging in Pension”, erinnert er sich.

Menschen wie Halverson setzen sich aber nicht zum Fernseher. Erstens flog Gail weiter ab und zu mit Sportmaschinen und war bis 1986 „Dean of Student Life” in Brigham University. Als gläubiger Mensch ging er außerdem für ein Jahr zur Arbeit in einer Freikirche in London und für diese in den 1990er-Jahren für 18 Monate sogar nach Sankt Petersburg in Russland. 1999 starb seine Frau Alta – aber 2004 heiratete Gail nochmals – und zwar eine High-School Liebe, Lorraine Pace.

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Während der Luftbrücke warfen die amerikanischen Piloten rund 23 Tonnen Süßigkeiten ab.

Mitte Mai 2019 wurde in Berlin der 70. Wiederkehr des Endes der Blockade und der Luftbrücke mit etlichen Feiern gedacht, mit einer großen Party am längst als Park und Erholungs- sowie Veranstaltungsfläche genutzten Tempelhof-Feld. Die von der rot-rot-grünen Berliner Verwaltung hinter bürokratischen Floskeln – wie zu spät eingereichter Konzepte – versteckte Abweisung eines Jubiläumsfluges von etlichen C-47 und DC-3 (die teilweise sogar dafür den Atlantik nach Europa überflogen) über ganz Berlin sorgte zwar für mächtigen Ärger (siehe Bericht), aber der 99-jährige Veteran war jedenfalls da – eine Sportanlage bei Tempelhof wurde nach ihm „Gail S. Halvorsen Park — Home of the Berlin Braves” benannt. Sein Zitat: „Gut wieder daheim zu sein!”

Erschöpfende Diskussion über ähnliche Blockade/-Versorgungsüberlegungen der Westalliierten bezüglich Wien sowie Erkenntnise über relevante Flugplatzprojekte samt Literaturtipps finden sich übrigens hier. Und hier geht es zu unseren anderen „Köpfen der Woche”.

Quelle@AF Times, Alliiertenmuseum Berlin-Dahlem, USNI Service
Der Autor ist einer der renommiertesten österreichischen Luftfahrtjournalisten, Korrespondent des britischen Jane’s Defence und schreibt seit vielen Jahren für Militär Aktuell.