In Teil 1 unserer Serie zur Burgenlandeinsatz des Bundesheeres 1921/22 aus Sicht des Alpenjägerregiments Nr. 9 ging es um die Alarmierung (siehe hier) und in Teil 2 um die Verlegung der Truppen an das niederösterreichisch-burgenländische sowie steirisch-burgenländische Grenzgebiet. Im dritten Teil berichten wir nun über den Unfall von Pinggau und die Einsätze im November.

Die Monate September und Oktober brachten an 25 Tagen Zwischenfälle mit ungarischen Freischärlern auf steirisches Gebiet im Abschnitt des Alpenjägerregiments Nr. 9 (AJR Nr. 9). Alle Angriffe konnten erfolgreich und ohne Verluste abgewehrt werden. In der Nacht von 31. Oktober auf 1. November 1921 ereignete sich jedoch der tragische Unfall von Pinggau, welcher dem AJR Nr. 9 einen hohen Blutzoll forderte. Stellvertretend für alle Opfer des Unfalls wird ein Soldat näher vorgestellt.

Feinddruck auf Wachposten Schäffernsteg
Der Unterabschnitt Haideggendorf (südlich Friedberg) meldet am 1. November um 2.00 Uhr mehrmalige Angriffe von Freischärlern auf den Wachposten beim Gasthaus Schäffernsteg, mit der dringenden Bitte um Verstärkung. Um etwa 4.00 Uhr morgens ging die Abschnittsreserve (ein Infanteriezug) per Lastauto von Hartberg ab. Schon kurz darauf gab es unter den Soldaten die ersten Meldungen und Gerüchte über einen Verkehrsunfall des Lastautos, die von neun Toten sprachen. Um ein genaues Lagebild zu erhalten, begab sich der Brigadekommandant Karl Plachota mit seinem Stabschef zur Unfallstelle.

Ein genauer Bericht des Grenzschutzkommandos Hartberg zeigt den hohen Feinddruck auf den Wachposten Schäffernsteg in der Nacht von 31.Oktober auf den 1. November:

Uhrzeit Militärische Aktion durch die Freischärler
22.20 Uhr Der Posten wird von zirka 25 Freischärlern beschossen. Der Wachposten wehrt diesen Angriff mit starken MG Feuer ab.
22.50 Uhr Neuerlicher Angriff der Ungarn, der durch eigenes Infanterie-, MG- und Handgranatenfeuer abgewehrt wird.
23.35 Uhr Weiterer Feuerüberfall auf den Posten.
23.45 Uhr Freischärler verschieben eigene Stellungen und beschießen den Posten.
Mitternacht Erneuter Feuerüberfall.
1.10 Uhr Weiterer Feuerüberfall.
1.50 Uhr Feuerüberfall von zwei Seiten, der nach 20 Minuten abflaut und endet.
4.00 Uhr Erneuter Feuerüberfall in Dauer von zehn Minuten.

 

Der Wachposten Schäffernsteg hatte also in einer einzigen Nacht acht Angriffe ungarischer Freischärler abzuwehren. Die kurze Dauer und die Häufigkeit der Angriffe zeigen den klaren Zweck, die Grenzschutztruppen nicht zur Ruhe kommen zu lassen.

Der Unfallhergang
Ein Bericht über den Unfall vom 2. November beschreibt, wie zur Verstärkung des Postens am 1. November um 4.00 Uhr die Abschnittsreserve (ein Zug) der 2. Kompanie AJR Nr. 9 unter dem Kommando von Offiziersstellvertreter Erlinger von Hartberg mittels Lastauto abgesendet wurde. Bei der Bahn und Straßenkreuzung in Pinggau riss gegen 6.00 Uhr die Antriebskette des Lastautos. Das steuerlose Fahrzeug raste, da auch die Bremsen versagten, die steile Straße hinunter. In einer scharfen Kurve stieß das Auto gegen die Straßenmauer und kippte daraufhin rund zehn Meter abwärts.

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Das Denkmal für die Opfer von Pinggau am Grazer Zentralfriedhof .

Auf dem Lkw waren inklusive des Fahrers 30 Mann, von denen neun noch an der Unfallstelle verstarben, darunter auch Offiziersstellvertreter Erlinger. Zusätzlich zu diesen schweren Verlusten kamen noch vier sehr schwer verletzte, 14 verletzte sowie drei leicht verletzte Soldaten. Die Verwundeten wurden, je nach Verletzungsgrad, in die Krankenhäuser Wiener Neustadt oder Hartberg gebracht, während die tödlich Verunglückten nach Hartberg überstellt wurden, wo die militärische Verabschiedung stattfand. Zwei weitere Soldaten erlagen in den Folgetagen ihrer schweren Verletzungen, somit stieg die Gesamtzahl der Todesopfer auf elf an!

Karl Kossi – Kurzbiographie eines Verunglückten
Einer der tödlich Verunglückten war der ledige Gefreite Karl Kossi, geboren am 11. August 1895 in Graz. Er wurde römisch-katholischen Glaubens erzogen und besuchte die 5-jährige Volksschule, drei Klassen einer Bürgerschule (Hauptschule) sowie zwei Klassen einer Gewerbeschule. Sein erlernter Zivilberuf war mit „Kleidermacher” im Grundbuchblatt angegeben. Kossi stand am 28. April 1914 als Schneidergehilfe vor dem Richter, da ihm vorgeworfen wurde, als Streikender, seinen Arbeitgeber beschimpft zu haben. Er wurde dafür vom Gericht laut Arbeiterwille vom 29. April 1914 zu „48 Stunden Arrest” verurteilt. Sein Gerechtigkeitssinn war also bereits in jungen Jahren sehr ausgeprägt.

Kossi diente seit 21. Juni 1915 beim Grazer Hausregiment, an diesem Tag rückte er zum Infanterieregiment Nr. 27 ein. Vom 24. November 1915 bis 7. Jänner 1916 befand er sich aufgrund einer Handverletzung in Spitalsbehandlung. Nach der Offensive von Flitsch-Tolmain war er von 24. Dezember 1917 bis 9. April 1918 krankgemeldet. Nach seiner Genesung war er für kurze Zeit beim Ersatzkader seines Regimentes als Schreiber eingeteilt. Von 2. Juli 1918 bis 31. Jänner 1919 nahm er an einer Unteroffiersausbildung teil und wurde mit 1. Februar 1919 in den Zivilstand übersetzt. Im Grundbuchblatt sind mehrere Auszeichnungen vermerkt, unter anderem bekam er am 15. Mai 1916 die Bronzene Tapferkeitsmedaille verliehen.

Ab 16. Oktober 1920 diente er beim II. Bataillon des AJR Nr. 9. Seine reichhaltige Kriegserfahrung durfte auch der Grund für die rasche Beförderung zum Schwarmführer (= Gefreiter) mit 1. Dezember 1920 sein. Die erstmalige Beförderung in diesen Rang erfolgte bereits am 2. September 1915, knapp ein halbes Jahr nach seiner Einberufung im Weltkrieg. Die Anmeldung für das Bundesheer sah jedoch von Gesetzeswegen das Einrücken ohne Dienstgrad vor.

Die Arbeiter-Zeitung druckte in ihrer Ausgabe vom 5. November 1921 einen längeren Nachruf über Kossi ab. In diesem wurde der Soldat als „Genosse” beschrieben, der bereits seit zehn Jahren in der sozialdemokratischen Partei organisiert gewesen war und für die Arbeiterrechte eintrat. Den Soldatenberuf bezeichnete der Verstorbene als „verhaßten Beruf”, als „Bildungsvertrauensmann” und „Bibliothekar” setzte er sich besonders für die Weiterbildung der Wehrmänner und das Bildungswesen im Bundesheer ein.

Konsequenzen und Folgen des Unglückes
Um derartige Unglücksfälle, verursacht durch das Reißen der Antriebskette, in Zukunft zu verhindern, wurde verfügt, dass die Lastautos jeden Abend zu überprüfen waren. Diese Überprüfung wurde vom Brigadekraftfahrreferenten in Hartberg geleitet. Zusätzlich wurde den Fahrern vermehrt befohlen, die Geschwindigkeiten den örtlichen Straßen- und Witterungsverhältnissen anzupassen und bei engen Kurven besonders vorsichtig zu fahren.

Um den Familien und Angehörigen der Opfer rasch unter die Arme greifen zu können, initiierte die Heeresverwaltungsstelle eine Spendensammlung für die Hinterbliebenen. Der Landeshauptmann und der Grazer Bürgermeister stellten größere Geldbeträge zur Verfügung, und auch die Soldaten der 5. Brigade wurden angehalten, einen finanziellen Beitrag zu leisten.

Zum Andenken an die verunglückten Kameraden gestalteten die Angehörigen des AJR Nr. 9 zwei Gedenksteine. Beide Gedenksteine können heute noch auf den Friedhöfen Hartberg und am Grazer Zentralfriedhof besichtigt werden. Zur Enthüllungsfeier in Graz fanden sich am 29. Mai 1924 laut einem Artikel im Grazer Tagblatt des Folgetages zahlreiche Gäste aus Politik und Militär ein: Landeshauptmann Rintelen und dessen Stellvertreter Pongratz, Brigadepfarrer Allmer, die Traditionsverbände ebenso wie die beiden Regimentskommandanten der Grazer Alpenjägerregimenter Nr. 9 und 10. Bei der Feier wurde der Ablauf des Unglücks geschildert und das Denkmal sollte „ein Zeugnis sein für die treue Pflichterfüllung bis in den Tod”.

Das Denkmal besteht aus einem 10.000 Kilogramm schweren Marmorblock, welcher oben von der Nachbildung eines Stahlhelms abgeschlossen wird. Auf der Vorderfläche findet sich die Inschrift: „Ihre Heimat gelegentlich der Einverleibung des Burgenlandes verteidigend, erlitten den Tod für das Vaterland am 1. November 1921 bei Pinggau folgende Soldaten des Alpenjägerregimentes Steiermark Nr. 9: Offiziersstellvertreter Lorenz Erlinger, Gefreiter Karl Kossi, die Wehrmänner Florian Haiden, Anton Achtner, Franz Lehnert, Karl Lötsch, Heinrich Klecknert, Hans Kern, Josef Hamperl, Josef Senger, Rudolf Ternovec. Ehre diesen Kameraden!”

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Die Inschrift am Denkmal für die Opfer von Pinggau am Zentralfriedhof Graz.

Die weiteren militärischen Aktivitäten im November
Der Oktober wurde von den beiden Staaten Österreich und Ungarn unter italienischer Vermittlung für diplomatische Verhandlungen genutzt. Das sogenannte Protokoll von Venedig erhöhte den Druck auf Ungarn die Freischärleraktivitäten zu unterbinden. Gemeinsam mit einem weiteren Ereignis, dem Restaurationsversuch von Kaiser Karl in Ungarn, beschleunigten diese Aktivitäten die Lösung der Burgenlandfrage.

Nach den ungarischen Angriffen auf den Wachposten Schäffernsteg und dem damit verbundenen, tragischen Todesfällen rund um den Unfall von Friedberg-Pinggau, ebbten die Freischärleraktivitäten merkbar ab. Der politische Druck der alliierten Siegermächte auf Ungarn zeigte Wirkung und die Freischärler zogen aus dem ungarisch-österreichischen Grenzgebiet ab.

Am 2. November fand zwar noch ein unbedeutender und folgenloser Schusswechsel zwischen einem Wachposten bei Burgau und Freischärlern statt, doch meldeten in den darauffolgenden Tagen mehrere zivile und militärische Stellen den Abzug der Freischärler.

Trotz der merkbaren Ruhe im Grenzgebiet sah sich das 5. Brigadekommando veranlasst, auf das nach wie vor geltende Verbot der Grenzüberschreitung hinzuweisen. Die Truppen des Bundesheeres durften noch nicht burgenländisches Gebiet betreten. Der Dienst musste darüber hinaus auch weiterhin wachsam ausgeführt werden, da die Brigade Überfälle nicht ausschließen konnte. Das Abziehen der Freischärler führte jedoch auch zu gewissen Erleichterungen im Grenzschutzdienst. In der Nähe der eigenen Unterkünfte sollten nun verstärkt Übungen im Sicherheits- oder Patrouillendienst durchgeführt werden, ohne jedoch die Sicherung der Grenze zu vernachlässigen.

Fazit
Der Unfall von Pinggau war der tragische Höhepunkt im Grenzschutzeinsatz des AJR Nr. 9. Vor allem, da die ungarischen Freischärler unmittelbar danach aus dem Grenzgebiet abzogen. Die Bundesheertruppen in der Steiermark bekamen nun den Befehl, die vorbereitenden Maßnahmen für den Einmarsch ins Burgenland zu treffen. Die schwachen Kräfte des Österreichischen Bundesheeres machten einen Einmarsch in zwei Phasen notwendig. Bis 17. November wurde der nördliche Teil des Burgenlands besetzt und maßgebliche Kräfte im Anschluss daran in die Steiermark verlegt. Hier sollte am 25. November der Vormarsch ins Südburgenland beginnen – aber dazu mehr in unserem nächsten Teil.

Hier geht es zum ersten Teil unserer Serie, in dem es um die Alarmierung des Bundesheeres geht und hier zum zweiten Teil rund um die Verlegung der Truppen an das niederösterreichisch-burgenländische sowie steirisch-burgenländische Grenzgebiet. Im vierten Teil geht es dann um den Einmarsch ins Burgenland und den erneuten Grenzschutz.

Quelle@Archiv Rauchenbichler