Die Angliederung des Burgenlandes an die junge Republik Österreich im Jahr 1921/22 war von mannigfaltigen Problemen gekennzeichnet. Als die Regierung den Befehl zum Grenzschutzeinsatz gab, befand sich das Bundesheer noch in der Aufbauphase und hatte die vorgeschriebenen Soll-Stände bei weitem nicht erreicht.

Trotzdem betrauten die politischen Stellen das Bundesheer mit diesem herausfordernden Einsatz. Die genauen Abläufe und die Organisation des Bundesheeres im Grenzschutz 1921/22 werden im Folgenden ersten Teil unserer Historien-Serie zum Thema anhand des Einsatzes des Alpenjägerregiments Nr. 9 (AJR Nr. 9) an der steirisch-burgenländischen Grenze dargestellt.

Politischer Hintergrund
Als am 10. September 1919 der Friedensvertrag von Saint-Germain unterzeichnet wurde, hatte dieser Vertrag, so ungerecht und hart dessen Bedingungen für Österreich auch schienen, für unsere junge Republik doch einen kleinen Lichtblick: das Burgenland, damals auch Westungarn genannt, wurde Österreich zugesprochen.

Ungarn war über diese Entscheidung der Alliierten sehr gekränkt und erniedrigt. Nachdem sich schon die übrigen Nachbarstaaten ein Stück ungarischer Erde geholt hatten, sollte man nun auch an Österreich Gebietsteile abtreten. Dieser verletzte Nationalstolz erklärt, warum Ungarn gewillt war, sich mit allen politischen und militärischen Mitteln zur Wehr zu setzen. Freischärler, paramilitärische ungarische Kämpfer, die von der ungarischen Armee unterstützt wurden, besetzten das Burgenland und lieferten sich einen monatelangen Kleinkrieg mit Österreich.

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Eine österreichische Telegraphenkompanie.

Der versuchte Einmarsch der Gendarmerie
Ende August 1921 bekam die österreichische Gendarmerie schließlich den Auftrag, das Burgenland für Österreich in Besitz zu nehmen, da die Alliierten einen militärischen Einmarsch durch Bundesheertruppen verboten. Aufgrund der entschlossenen Gegenwehr der ungarischen Freischärler scheiterte diese zivile Inbesitznahme jedoch. In weiterer Folge eskalierte die Lage an der Grenze. Nicht nur, dass der Vormarsch eingestellt werden musste, die Freischärler drangen immer häufiger auch auf österreichisches Gebiet vor.

Am 31. August verletzten Freischärler schließlich die steirische Grenze bei Hohenbrugg (nahe Fehring) und griffen die dort eingesetzte steirische Verbindungskompanie Nr. 5 an. Diese Einheit hatte den Auftrag die Gendarmen mit der Errichtung von Telefonverbindungen zu unterstützen. Obwohl der feindliche Angriff von Maschinengewehrfeuer unterstützt worden war, konnte er durch die Verbindungskompanie abgewehrt werden. Dieser ungarische Überfall war der Auslöser für die Alarmierung des Bundesheeres.

Die Alarmierung der 5. Brigade Steiermark
Bereits seit dem Frühsommer 1920 gab es vorbereitende Maßnahmen für den Einsatz von Heereskräften im Burgenland. Die 5. Brigade hatte ihre Truppen bereits Ende August alarmiert: Alle verfügbaren Kräfte des AJR Nr. 9 bildeten am 30. August 1920 in Graz ein eigenes Bataillon, in der Folge als Bereitschaftsbataillon AJR Nr. 9 bezeichnet. Der Stand des Bataillons betrug am 30. August 1921 insgesamt 19 Offiziere, 460 Unteroffiziere und Mannschaften mit sechs HMG, vier MG, 30 Pferden, drei Fahrküchen, drei leichten Fuhrwerken und einem Kraftfahrwagen. In diesen Zahlen waren die Wachmannschaften der Rücklassdetachements, beispielsweise die Wache für Kalsdorf, nicht enthalten. Vergleicht man die Zahl der einsatzbereiten Soldaten mit den Sollzahlen eines Regiments (1.440 Soldaten), dann werden die niedrigen Standesverhältnisse klar ersichtlich.

„Das Bundesheer tritt in Verwendung”
So lautete eine Überschrift in der Zeitung Arbeiterwille am 1. September 1921. Am 31. August 1921 um 14.53 Uhr erfolgte der Einsatzbefehl durch das Bundesministerium für Heereswesen. Die steirischen Truppen hatten die Sicherung der steirischen Ostgrenze von der niederösterreichischen Grenze bis St. Anna (südöstlich Bad Gleichenberg) einzurichten. Mit dem Ausrücken der Bereitschaftsformationen begann nun der Burgenlandeinsatz des Bundesheeres, welcher sich über viele Monate erstrecken sollte.

Das Grenzabschnittskommando Steiermark, welches aus dem Regimentsstab des AJR Nr. 9 bestand, hatte nach Hartberg abzugehen und wurde der 1. Brigade in Wiener Neustadt unterstellt. Es hatte alle Bundesheerkräfte in der Steiermark zu führen. Mit Rücksicht auf die schwachen eigenen Kräfte war es die Aufgabe, die wichtigsten Annäherungspunkte zu sperren, wobei es den Truppen verboten war, burgenländischen Boden zu betreten. Mit dieser Maßnahme sollten politische Komplikationen mit den Siegerstaaten vermieden werden, denn sie hätten im schlimmsten Fall die Zugehörigkeit des Burgenlandes zu Österreich widerrufen können.

Für den 4. September sah die Truppengliederung des steirischen Grenzschutzes wie folgt aus: Oberst Medicus hatte das Kommando über 43 Offiziere und 888 Mann, die mit zehn leichten und zehn schweren MGs bewaffnet waren. Dazu kamen noch 22 Reiter. Das Kommando des Grenzschutzes mit Sitz in Hartberg verfügte außerdem über einen Reiterzug und einen Reiter-MG-Zug der Dragonerschwadron Nr. 5 und darüber hinaus über einen Pionierzug sowie den Regimentsverbindungszug des AJR Nr. 9.

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Zeitgenössische Aufnahme des Ortes Oberwarth (heute Oberwart).

An der steirisch-burgenländischen Grenze standen nun die beiden kombinierten Alpenjägerbataillone 9 und 10: das kombinierte Bataillon AJR Nr. 9 unter der Führung von Oberst Stegmüller mit vier Kompanien (je zwei Hand MG), eine MG Kompanie und einem Pionierzug sowie das kombinierte Bataillon des AJR Nr. 10 unter dem Kommando von Oberst Caucig mit drei Kompanien (davon eine mit zwei Hand MG), einer MG Kompanie und einem Pionierzug.

Die niedrigen Stände der steirischen Truppen waren symptomatisch für das gesamte Bundesheer. Ein Regiment mit rund 1.400 Soldaten Ist-Stärke (AJR Nr. 9) schaffte es nur mit großer Mühe ein Bataillon mit knapp 500 Mann für den Einsatz zu mobilisieren. Die Personalknappheit sollte in weiterer Folge ein permanentes Problem des Bundesheeres der Ersten Republik bleiben.

Die Rücklassdetachements
In den steirischen Kasernen verblieb von jedem Truppenkörper ein sogenanntes Rücklassdetachement, welches für die Ausbildung der nicht im Einsatz stehenden Soldaten verantwortlich war. Neu angeworbene Soldaten, Urlauber aus dem Einsatzraum, aber auch solche, die krank oder verletzt vom Grenzschutz zurückkehrten, wurden dort zusammengefasst, um den Kasernendienst und Wachdienste zu versehen oder Gebäudeinstandsetzungsarbeiten zu verrichten. Diese Rücklassdetachements waren die Vorgänger der späteren Ergänzungseinheiten.

Nachdem die Grazer Teile des AJR Nr. 9 die Garnison Graz verlassen hatten, trafen am 1. September die Strasser Teile in der Grazer Franz Josef Kaserne ein. Gemeinsam mit zurückgebliebenen Soldaten wurde eine (kombinierte) 4. Alpenjägerkompanie formiert. Diese Kompanie wurde schon am Folgetag zu den Grenzschutztruppen nach Hartberg verlegt und hatte einen Stand von drei Offizieren und 78 weiteren Soldaten, ausgerüstet mit zwei HMG, vier Zugpferden, einer Fahrküche und einem leichten Fuhrwerk. Sie bestand vorerst nur aus zwei Infanteriezügen und einem HMG Zug. Der fehlende dritte Zug konnte erst in den folgenden Wochen aufgestellt werden.

In diesen Tagen lag die Hauptbedrohung der Republik Österreich im Norden, an der niederösterreichisch-burgenländischen Grenze. Tragischer Höhepunkt war in diesem Zusammenhang das Gefecht bei Kirchschlag zwischen dem II. Bataillon des niederösterreichischen Infanterieregiment Nr. 5 und einer Übermacht an Freischärlern am 5. September 1921. Der österreichische Abwehrerfolg wurde mit dem Tod von zehn Soldaten und weiteren zwölf verwundeten Soldaten des II./IR Nr. 5 bezahlt. Im September und Oktober verlagerte sich der Schwerpunkt der Freischärleraktivitäten jedoch ins steirisch-burgenländischen Grenzgebiet.

Im nächsten Teil dieser Serie steht einerseits die Gliederung des Grenzschutzkommandos Steiermark, andererseits die ungarischen Angriffe in den Monaten September und Oktober im Mittelpunkt.

Quelle@Archiv Rauchenbichler