Bereits um das Jahr 2040 herum sollen die Nordost- und die Nordwestpassage sowie die direkte Route über den Nordpol auch mit Handelsschiffen gut befahrbar sein. Schon heute schlagen daher Russland, China und die USA in der Region ihre Pflöcke ein und deponieren ihre Interessen und Ansprüche. Was das für die Sicherheitslage vor Ort bedeutet und welche geopolitischen Auswirkungen sich daraus ergeben? Eine Analyse von Sicherheitspolitik-Experte Brigadier a. D. Walter Feichtinger.

Mit der Beschaulichkeit in der Arktis ist es vorbei: Seit die Nordostpassage infolge der Eisschmelze immer öfter befahren werden kann, treffen dort zunehmend die Interessen der Anrainerstaaten und Großmächte aufeinander. China reklamiert für sich einen Sonderstatus („Near-Arctic-State”), die USA möchten Grönland kaufen und Russland baut seine Häfen, Flotten und Umschlagplätze aus. Dabei geht es den Großmächten um wirtschaftliche Interessen, aber auch um geopolitische Positionierungen und militärstrategische Überlegungen.

Russland beispielsweise möchte durch die Kontrolle der Nordostpassage seinen Status als (Energie-)Großmacht festigen. Zusätzliche Einnahmen aus der Förderung von Gas, Öl und Rohstoffen sollen die Finanzierung des Staatshaushalts und damit den Bestand des politischen Systems langfristig gewährleisten. Moskau sieht aber auch seine Sicherheit gefährdet, weil der abnehmende Eispanzer zunehmend militärische Manöver fremder Flotten vor seinen Küsten ermöglicht.

„Es könnte in der
Arktis zu einem
,Stationierungs-
Wettlauf‘ kommen.“

China widerum pocht als aufsteigende Weltmacht auf mehr Mitsprache in arktischen Belangen und hat sich einen Beobachterstatus im Arktis-Rat gesichert. Die neuen Routen über den Norden ergänzen das geopolitische Projekt der neuen Seidenstraße. Außerdem kann Peking gemeinsam mit Russland zusätzliche Rohstoffe erschließen und den Handel weiter ausbauen. Die Arktispassagen bieten darüber hinaus eine strategische Alternative zum Verkehr über den Panama- und Suezkanal sowie die Straße von Malakka – das gilt für die Handelsschifffahrt, aber auch für die chinesische Marine.

Den Vereinigten Staaten geht es hingegen darum, ihre globale Dominanz zu bewahren und der aus ihrer Sicht steigenden Gefährdung durch China entgegenzutreten. Die geopolitische Eindämmung Chinas sowie Russlands steht somit im Zentrum der US-Interessen. Dazu gehören auch militärstrategische Überlegungen wie freie Schifffahrt (Freedom of Navigation-Operations), Kontrollmöglichkeiten der Arktiszugänge oder Stationierungen im Rahmen des Raketenabwehrsystems. Ökonomischer Profit entsteht durch neue Öl- und Gasfelder sowie vermehrt förderbare Rohstoffe. Außerdem ersparen kürzere Handelswege auch US-Frächtern Zeit und Geld.

Der Klimawandel befeuert den Konflikt um die Arktis

Was ist daher zu erwarten? Der Arktis-Raum gilt als zusätzliches Reservoir für die Deckung des steigenden Energiebedarfs. Etwa 95 Prozent der vermuteten Öl- und Gasvorkommen sind allerdings eindeutig einzelnen Staaten zuzuordnen, ein Kampf um Ressourcen zeichnet sich daher nicht ab. Wie sich der Schiffsverkehr entwickelt und ob er sich wirtschaftlich lohnt, bleibt abzuwarten, denn die Risiken und Nebenkosten sind sehr hoch. Ökologische Bedenken finden dabei wenig Beachtung. Allerdings lässt die Rivalität zwischen den drei Großmächten schon darauf schließen, dass die Arktis zu einer geopolitischen Arena wird – wie das Südchinesische Meer oder der Nahe Osten. Dabei geraten Arktis-Anrainer wie Dänemark, Norwegen, Schweden, aber auch Finnland zunehmend ins Hintertreffen. Auch deswegen, weil Grönland, die Färöer-Inseln oder Nordnorwegen von China und den USA umworben werden und der Einfluss Kopenhagens oder Stockholms in diesen Regionen abnehmen könnte.

Aus militärstrategischer Sicht ist daher zu erwarten, dass Manöver und Bewegungen zur See wie auch im Luftraum in der Region rasch zunehmen. Es kann außerdem zu einem „Stationierungswettlauf” im Arktis-Raum kommen, der zwangsläufig mit
einem Aufrüsten aller beteiligten Akteure verbunden wäre. Militärische Konfrontationen oder Auseinandersetzungen sind daraus aber vorerst nicht abzuleiten.

Quelle@Willian Justen de Vasconcellos on Unsplash