Müde schleppten sich die deutschsprachigen Soldaten des Ersatzbataillons des k.u.k. Infanterieregiments Nr. 47 unter dem Kommando von Oberleutnant Oskar Fröhlich auf der Reichsstraße von Marburg in Richtung Leibnitz. Auf ihrem Marsch wurden sie immer wieder von südslawischen Soldaten beschossen und in Gefechte verwickelt. Als sie am 2. November 1918 den Ort Straß passierten, empfingen die Einwohner des kleinen Ortes diesen Verband mit großem Jubel. Es sollte für lange Zeit das letzte Mal gewesen sein, dass einer Militäreinheit in Straß zugejubelt wurde. Schon bald folgten die südslawischen Truppen. Das Ersatzbataillon erreichte seinen Zielort Leibnitz und wurde in weiterer Folge in das Volkswehrbataillon Nr. 5 (Leibnitz) umgegliedert.

@Archiv Rauchenbichler
Die MUR in Straß.

Die Südsteiermark 1918/19
Straß an der südsteirischen Grenze ist heute Garnisonsort des Jägerbataillons Nr. 17, welches in der dortigen Erzherzog-Johann-Kaserne untergebracht ist. Diese Kaserne wurde bereits vom Bundesheer der Ersten Republik militärisch genutzt und ist die einzige steirische Kaserne aus der Zwischenkriegszeit, die auch heute noch vom Bundesheer als Garnison verwendet wird. Im vorliegenden Artikel soll nun die Geschichte dieser Garnison bei der Aufstellung des Bundesheeres 1920 näher betrachtet werden.

Um diese Ereignisse des Jahres 1920 besser verstehen zu können, müssen die Ereignisse in Straß ab dem Zusammenbruch der k.u.k. Monarchie mitberücksichtigt werden. Bis zum Herbst 1918 wurde der Gebäudekomplex als Militär-Unterrealschule (MUR) genutzt. Die chaotischen Folgen des Zusammenbruchs erlebte auch der Ort Straß, als in der Nacht auf den 18. November 1918 eine Gruppe von 50 Straßer Bürgern die MUR stürmte. Der Schulleiter und der Wirtschaftsoffizier wurden von den Angreifern misshandelt und die Objekte geplündert. Der Schulbetrieb wurde im Laufe des Monats November eingestellt.

Der Vormarsch der südslawischen Truppen führte am 25. November 1918 zur Besetzung des Nachbarortes Spielfeld und für einige wenige Stunden sogar des Ortes Straß selbst. Südslawische Truppen entwaffneten die Straßer Bürgerwehr, zogen sich jedoch wieder nach Süden zurück. Die südslawischen Truppen stoppten ihren Vormarsch ungefähr entlang der heutigen Staatsgrenze. Das Fehlen einer verbindlichen Grenze und der Verlust der Selbstbestimmung der Grenzbevölkerung entlud sich in zwei militärischen Zwischenfällen: Am 14. Jänner kam es zum Gefecht bei Arnfels, als eine Volkswehreinheit auf eigene Faust einen Vorstoß auf den von Südslawen besetzen Ort wagte. Anfang Februar führte Oberleutnant Mickl im Rahmen des Bauernaufstandes von Radkersburg den erfolglosen Angriff auf die Stadt.

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Soldatengruppe in Straß in den frühen 1920er Jahren.

Wenn auch beide Aktionen ohne militärischen Erfolg endeten, beeinflussten sie dennoch die diplomatischen Verhandlungen zwischen der steirischen Landesregierung und den Slowenen. Am 13. Februar 1919 wurde mit dem sogenannten „Marburger Abkommen” eine Demarkationslinie im Süden der Steiermark gezogen, welche von der Soboth bis nach Radkersburg verlief. Diese provisorische Grenze sollte bis zur Unterzeichnung eines Friedensvertrages gelten und sah eine neutrale Zone vor, in der sich auch der Ort Straß mit der MUR befand. Grenzorte wie Radkersburg und Spielfeld waren von südslawischen Verbänden besetzt, das ohnehin dünne Eisenbahnnetz war durchschnitten, und die Bevölkerung im Grenzgebiet war ob der demütigenden Behandlung durch die Südslawen einerseits als auch durch die eigene Bundesregierung andererseits aufgebracht und in ständiger Unruhe.

An der Südgrenze der Steiermark taten verschiedene Volkswehrformationen ihren Grenzschutzdienst, unter anderem auch die Volkswehrbataillone Nr. 5 und 12 (Deutschlandsberg). Letzteres wurde unter anderem bei Eibiswald und Arnfels zur Grenzsicherung eingesetzt. Dadurch sollte den verängstigten Grenzbewohnern ein ausreichendes Sicherheitsgefühl vermittelt werden.

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Aufnahme der Kaserne in Straß aus der Zwischenkriegszeit. Der Namenszug „Schulkaserne” ist gut erkennbar.

Die Garnison Straß 1919/20
Die fast gänzlich leerstehenden Gebäude der ehemaligen MUR wurden im Sommer und Herbst 1919 als Feriendomizil für bedürftige und lungenkranke Jugendliche aus Graz genutzt. Die frische Luft der Südsteiermark sollte sich regenerierend auf die Gesundheit der geplagten Kriegskinder auswirken. Auch die Stadtgemeinde Graz hätte die MUR gerne weiterhin in dieser Funktion gesehen. Doch die innen- und außenpolitischen Zwänge verlangten deren militärische Nutzung.

Mit der Unterzeichnung des Friedensvertrages von St. Germain am 10. September 1919 wurde das Marburger Abkommen hinfällig, da nun die endgültigen Grenzen des Staates Österreich beziehungsweise des Landes Steiermark gezogen waren. Das Grazer Volkswehrkommando verlegte daher am 8. Oktober das Grenzschutzbataillon Nr. 12 (Kommandant Mjr Wilhelm Wraschtil) sowie Teile des Volkswehrbataillons Nr. 5 und der Steirischen Volkswehrartillerie nach Straß, da sich die MUR ohne kostspielige Adaptierungsmaßnahmen sehr gut als Winterunterkunft eignete.

Leider kam es in dieser Zeit zu Zwischenfällen mit den Volkswehrsoldaten und der örtlichen Bevölkerung. Trauriger Höhepunkt war eine blutige Wirtshausrauferei am 9. November 1919 in Straß, welche dazu beitrug, dass sich die Bevölkerung von der Volkswehr zunehmend distanzierte. Es war dem diplomatischen Geschick von Major Wraschtil zu verdanken, dass sich die Wogen wieder glätteten und sich die Verhältnisse mit der Bevölkerung wieder auf ein einigermaßen normales Niveau einpendelten.

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Stellungen am Schießplatz Felieferhof in Graz.

Die Aufstellung des Bundesheeres 1920
Das Wehrgesetz von 1920 sah mit 26. Mai 1920 die Aufstellung der Bundesheerformationen in der Steiermark und die Stationierung des III. Bataillon des Alpenjägerregiments Nr. 9 in Straß vor. Für die Kaserne selbst finden sich in den Akten viele verschiedene Bezeichnungen. In der frühen Phase des Bundesheeres wurde die Kaserne gemäß ihrer Bestimmung bis zum Ende der Monarchie als ehemalige Militär-Unterrealschule bezeichnet. Im Jahr 1926 erfolgte die offizielle Umbenennung durch das Ministerium in Schulkaserne. Daneben war noch die inoffizielle Bezeichnung Alpenjägerkaserne geläufig, da in ihr Alpenjäger stationiert waren.

Die ursprünglichen Planungen sahen für das Straßer Bataillon sogar die dauerhafte Unterbringung einer Kompanie in Radkersburg vor. Die Garnison in Radkersburg wurde zwar instandgesetzt, jedoch aufgrund von Sparmaßnahmen nicht vom Bundesheer bezogen. Diese Absicht wurde jedoch Jahrzehnte später in der Zweiten Republik verwirklicht. Das Jägerbataillon Nr. 17 hatte bis September 2008 eine Kompanie in Bad Radkersburg stationiert.

Die ersten Wehrmänner, die in die ehemalige MUR einrückten, kamen von den Grenzschutzbataillonen Nr. 5 und 12 der Volkswehr. Am Aufstellungstag hatte das Bataillon (Sollstand: 516 Soldaten) einen Stand von neun Offizieren, drei Unteroffizieren sowie weiteren 35 Soldaten der Mannschaftsdienstränge, gegliedert in die 7. Kompanie und die MG Kompanie III. Mit diesen geringen Ständen wurden die beiden Kompanien nur als Kadereinheiten betrachtet.

Diejenigen Soldaten, die sich für das Bundesheer gemeldet und bereits gedient hatten, wurden mit Anfang Juli 1920 einberufen. Ungediente Soldaten hatten mit 15. Juli 1920 einzurücken. Bis 25. Dezember 1920 erhöhten sich die Stände in Straß jedoch nur auf 20 Offiziere, 26 Unteroffiziere und 173 Soldaten der Mannschaftsdienstränge. Beim III. Bataillon gab es um vier Offiziere mehr, jedoch um acht Unteroffiziere weniger als die Sollstände vorschrieben. Die Situation bei den Mannschaftsrängen war in der Grenzgarnison jedoch besonders dramatisch, denn sie erreichte nur 33 Prozent des Sollstandes. Die Zahlen zeigen, dass es dem Berufsheer in den ersten sechs Monaten des Bestehens nicht gelang ausreichend Freiwillige anzuwerben. Im Gegenteil, die Stände bei den Mannschaftsdienstgraden lagen weit hinter den Vorgaben.

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Die Gliederung des Alpenjägerregiments Nr. 9.

Während die angemeldeten Unteroffiziere und Mannschaftssoldaten relativ rasch die definitive Übernahme vom Ministerium erhielten, war die Übernahme der Offiziere eine komplexe Prozedur. Es dauerte bis in den Herbst des Jahres 1920, bis alle erforderlichen Bestätigungen erfolgten. Die Verleihung der Regiments- und Bataillonskommandos erfolgte sogar erst mit 1. Juli 1921. Bis zu diesem Zeitpunkt galten alle eingeteilten Kommandanten als provisorisch.

Leider fehlte es der Garnison Straß im Jahr 1920 an wichtiger militärischer Infrastruktur wie einem Schießplatz. Daher wurde dieser Teil der Ausbildung am Schießplatz Felieferhof in Graz durchgeführt, was jedoch zeit- und kostenintensive Zugfahrten mit sich brachte. Es dauerte auch bis ins Jahr 1926, dass der Garnison endlich ein eigener Übungsplatz permanent zur Verfügung gestellt werden konnte. Bis zu diesem Zeitpunkt war man auf die Großzügigkeit der umliegenden Bauern und Landbesitzer angewiesen.

Eidesleistung
Jeder Soldat hatte in schriftlicher Form folgenden Eid mit Unterschrift zu bestätigen:

„Ich schwöre als Mann, als Bürger der Republik Österreich und als Soldat, daß ich zu jeder Zeit und an jeden Ort das Vaterland verteidigen, daß ich den von der Nationalversammlung und den Landtagen beschlossenen Gesetzen und den gesetzmäßigen Behörden, insbesondere der von der Nationalversammlung bestellten Regierung, Treue und Gehorsam leisten, dass ich alle Befehle meiner Vorgesetzten pünktlich und genau befolgen, allen ihren Weisungen gehorchen und im Interesse des Wohles und der Sicherheit meiner Mitbürger nach bestem Wissen und Gewissen mit allen meinen Kräften der Republik Österreich und dem österreichischen Volke dienen werde.“

Quelle@Archiv Rauchenbichler, Archiv Gaber
Der Milizoffizier und Oberstufen-Lehrer hat seit 2009 zahlreiche Artikel zu militärhistorischen Themen aus der Zwischenkriegszeit und insbesondere zum Thema Bundesheer der Ersten Republik u.a. in der Bataillonszeitung „Der Panther” des Jägerbataillons 17 veröffentlicht.