Wer beim Wort Pirat automatisch an erbeutete Reichtümer, Schätze und prächtige Segelschiffe mit mehreren Reihen Kanonen denkt, hat die Rechnung ohne John Gow gemacht. Bei dem Schotten und seiner Crew lief so ziemlich alles schief, was schief laufen konnte.

Bei manchen, die weiland auf Kaperfahrt fuhren, rechtfertigt eine gewisse Grandezza den späteren Nachruhm. So bewiesen etliche der englischen und französischen „Staatspiraten” große nautische und militärische Fähigkeiten – sofort fallen dem geneigten Leser Sir Francis Drake oder Robert Surcouf ein. Bei aller Gewalttätigkeit ihres Tuns: das waren Persönlichkeiten historischer Dimension.

Am anderen (dem schäbigen) Ende der Skala rangiert der Orkadier John Gow, eine durch und durch miese und erbärmliche Gestalt, ein Patron, der sich weder durch Tapferkeit noch durch Cleverness auszeichnete. Selbst seine Beute vermag nicht besonders zu beeindrucken, meist nur Holz und Fisch. Merkwürdig, dass er den späteren Generationen überhaupt in Erinnerung geblieben ist. Dafür verantwortlich sind vor allem Daniel Defoe und Walter Scott, die die literarische Inspiration, die Gows Karriere ihnen bot, nur zu gerne aufgriffen. Zeitgenössische Dokumente zu Gows Treiben sind rar, allerdings gibt es ein sehr handfestes und schwerwiegendes Zeugnis für seine Taten.

@Archiv Seehase
John Gow, annähernd zeitgenössische, aber phantasievolle Darstellung.

John Gow wurde um 1698 im nordschottischen Wick als Sohn von Margaret Calder und William Gow geboren. Bald schon zog die Familie nach Stromness auf den Orkneys, wo der Vater als Kaufmann ein gewisses Vermögen erwarb. Der junge Gow wurde wie viele Orkadier Seemann. Im August 1724 heuerte er in Amsterdam auf der „Caroline” an, auf der er zweiter Maat und Kanonier wurde. Die „Caroline” fuhr zwischen den Niederlanden und den Kanarischen Inseln, die Bedingungen an Bord (besonders das Essen) ließen wohl Wünsche offen, und bald konspirierten Gow und einige Leute der multinational zusammengesetzten Mannschaft (Schotten waren dabei, Niederländer, Schweden und andere) gegen den Kapitän, Oliver Ferneau. Das wurde dem hinterbracht, er beriet sich mit verlässlichen Mitgliedern der Besatzung, was wiederum einer der Meuterer belauschte. Gow und seine Spießgesellen schlugen zuerst zu.

Die Caroline hatte kaum den Hafen von Santa Cruz de la Palma verlassen, da ermordeten Gows Kumpane den ersten Maat, den Schiffsarzt und ein weiteres Besatzungsmitglied. Kapitän Ferneau, der davon nichts mitbekommen hatte, lockte man mit der Meldung, ein Mann sei über Bord gefallen, an die Reeling. Dort stach ihm Gow in den Rücken und schoss auf den Kapitän. Die Meuterer warfen Ferneau über Bord. Der verzweifelte und schwerverwundete Kapitän konnte sich aber mit einer Hand an einem Tau festhalten. Das kappten die Meuterer und riefen Gow zum neuen Kapitän aus. Unter dem neuen Schiffsnamen „Revenge” gingen die Männer dann auf Kaperfahrt.

Dass die „Revenge” ein stolzes Schiff von 200 Tonnen mit 26 Kanonen gewesen sei, will so gar nicht zu der mageren Beute passen, die Gow und seine Mannschaft einfuhren. In den nächsten zwei Monaten kaperten sie einige Schiffe vor der spanischen Küste. Zwei Prisen wurden eingebracht, die „Delight” (am 12. November) und die „Sarah” (am 21. November), aber beide Schiffe hatten nur Fisch geladen. Als Essen und Wasser knapp wurden, segelte die „Revenge” nach Madeira, aber auch dort gab es nicht viel zu holen. Ein Schiff mit Bauholz aus den amerikanischen Kolonien wurde als Nächstes angehalten, gefolgt von einem Weintransporter aus dem spanischen Cadiz.

Das letzte aufgebrachte Schiff hatte wieder Fisch geladen. Gow beschloss, seinen Wirkungskreis zu verlagern und erreichte im Januar 1725 Stromness auf Orkney, wo Gow dem Schiff den Namen „George” gab und passenderweise als „Mr. Smith” auftrat. Eine Woche lang strapazierten Gow und seine Kumpane die Gastfreundschaft der Leute von Stromness, angeblich fand Gow sogar Zeit, einer Miss Helen Gordon den Hof zu machen. Einigen Leuten aus Gows Besatzung wurde die Lage aber zu heikel, sie machten sich mit dem Beiboot zum schottischen Festland davon.

@L. Burgher
Hall of Clestrain auf den Orkneys – es gehörte zu Gows Zeit dem Sheriff der Insel.

Besatzungsmitglieder eines einlaufenden Schiffes erkannten Gow, der die Anker der „George”, ex-„Revenge”, ex-„Caroline”, schleunigst lichtete. Anstatt viele Seemeilen zwischen sich und die Orkneys zu bringen, wie es jeder Pirat größerer Intelligenz getan hätte, überfiel Gow aber am 10. Februar 1725 mit seinen verbliebenen Leuten die Hall of Clestrain, gar nicht so weit von Stromness. Das Haus gehörte dem Sheriff der Orkneys, Patrick Honeyman, der nicht zu Hause war. Angeblich zwangen die Piraten den dudelsackkundigen Diener der Hausherrin, ihnen bei der Abreise noch ein paar schmissige Melodien zu spielen, in Wahrheit war der Überfall wohl weit prosaischer.

In den Gerichtsakten heißt es: „Nine of the gang went into the house to search for treasure, while the tenth was left to guard the door. The sight of men thus armed occasioned much terror to Mrs Honeyman and her daughter, who shrieked with dreadful apprehensions for their personal safety; but the pirates, employed in the search for plunder, had no idea of molesting the ladies. They seized the linen, plate and other valuable articles.” Neben sieben Pfund Sterling an Barem waren ein paar Silberlöffel die wertvollste Beute.

Gow entführte außerdem zwei Mägde, die er aber am folgenden Tag auf der Insel Cava freiließ. Eine unglaubwürdige Überlieferung machte daraus eine kitschige Anekdote, beide Frauen seinen von den Piraten so reich beschenkt worden (wofür eigentlich?), dass sie ganz schnell Ehemänner fanden. Tatsächlich wurden beide grob misshandelt, eine starb daran.

@Archiv Seehase
Das aus dem Ballast von Gows Schiff errichtete Groattie Hoose auf den Orkneys.

Inzwischen wurden die Behörden von einem der Piraten (der sich eines Besseren besonnen hatte) über Gows finstere Absicht informiert, weitere Küstenorte der Orkneys zu überfallen. Eine Fregatte wurde entsandt, und in Kirkwall, der Hauptstadt, machte sich die Miliz einsatzbereit. Jedoch entschied sich Gow dafür, nach Eday zu segeln, wo sein Schulfreund, James Fea, in Carrick House lebte. Dieses Haus war das nächste Angriffsziel.

Im Calf Sound, zwischen den Inseln Eday und Calf of Eday, lief Gows Schiff allerdings auf Grund. Ohne Beiboot konnten die Piraten nicht entkommen und blieben auf den Felsen stecken. Gow versuchte noch, mit Fea zu verhandeln, aber schließlich wurden er und seine Mannschaft am 17. Februar von Fea und dessen Männern festgenommen.

Da Piraterie eine kolossale Sache, gar Staatsverbrechen war, behielt sich die Admiralität die Aburteilung vor. Gows neunmalkluger Plan war es, den Prozess zu verschleppen. Er bekannte sich weder schuldig, noch nicht-schuldig. Für derart obstinate Zeitgenossen hatte die Admiralität aber ein probates Mittel. Der Malefikant wurde mit Beinen und Armen an den Boden gekettet, man legte ihm eine schwere Platte auf die Brust. Die wurde dann solange mit eisernen Gewichten beschwert, bis dem Delinquenten sprichwörtlich die Puste ausging. Überstand er die Tortur, war sie am nächsten Tag zu wiederholen. Dazwischen gab es eine Mahlzeit aus Haferbrot und Schmutzwasser aus der Gosse.

@Archiv SeehaseAls Gow bemerkte, was ihm bevorstand, änderte er sofort seine Taktik. Am 27. Mai 1725 bekannte er sich gegenüber dem „High Court of the Admirality” schuldig. John Gow und sieben seiner Mannschaft wurden in weiterer Folge am 11. Juni 1725 im Execution Dock im Londoner Stadtteil Rotherhithe gehenkt. Auch das ging nicht so ganz ohne Komplikationen ab. Gow starb nicht sofort, einige hatten Mitleid mit ihm und zogen dem schon am Halse Hängenden an den Beinen. Da riss der Strick, man musste das Hängen wiederholen (diesmal erfolgreich). Gows Leichnam wurde in die Themse geworfen, nach dreimaligem Gezeitenwechsel herausgezogen und geteert. Dann ließ man ihn an einem Schaugalgen zur steten Mahnung Leichtsinniger hängen.

James Fea soll 1.700 Pfund für die Festnahme Gows erhalten, aber später in Rechtsstreiten wieder verloren haben. Die Ereignisse von 1725 wurden von Daniel Defoe in „Der Pirat Gow” geschildert und von Walter Scott als Quellenmaterial für seine Erzählung „Der Pirat“ verwendet. In Kirkwall entstand im Jahre 1730 das „Groattie Hoose”, errichtet aus dem Ballast von Gows Schiff. Der eigenartige Bau steht noch, man versetzte ihn nur 2004 von seinem ursprünglichen Standort in den Außenbereich des Tankerness House Museums.

Quelle@The Metropolitan Museum of Art, Archiv Seehase, L. Burgher