Fabian Ochsner war früher Kommandant bei der Schweizer Luftabwehrtruppe und ist nun CEO bei Rheinmetall Air Defence Zürich. Wir haben ihn gefragt: Welche Zukunft hat die bodengebundene Luftabwehr und welche Lehren kann sie aus dem Konflikt um Bergkarabach ziehen?

Herr Ochsner, wie steht es rund um den Luft- und Drohnenabwehrbereich der Firma Rheinmetall?
Die Rheinmetall Air Defence AG in Zürich ist bekanntlich aus der Oerlikon Contraves AG hervorgegangen, die schon in der Zeit des Kalten Krieges mit ihren kanonenbasierten Flugabwehrsystemen den Objektschutz im Nahbereich sichergestellt hat. In den 1990er-Jahren war aber völlig unklar, ob solche Systeme auch in Zukunft noch Verwendung in Konflikten finden würden. Wegen der kurzen Reichweite der Kanonen mussten wir von der Plattform-basierten Fliegerabwehr zur munitionsbasierten Flugabwehr mutieren, um die bereits abgefeuerten Waffen und nicht deren Träger bekämpfen zu können. Mit diesem Investitionskalkül stehen wir heute allerdings im Zentrum der Bedürfnisse. Wir haben damit Lösungen im Portfolio, die beispielsweise auch im jüngsten Konflikt um Bergkarabach mit der schlachtentscheidenden Rolle von modernen taktischen Drohnen, Kamikazedrohnen und elektronischer Kriegführung (EKF) notwendig gewesen wären.

@Georg Mader
Gesprächspartner: Fabian Ochsner ist CEO Air Defence & Radar Systems bei Rheinmetall Defence.

Hat Sie die Entwicklung dieses Konfliktes überrascht?
Im Gegenteil, dieser Krieg hat vielmehr bestätigt, was wir schon rund um den Jemen-Konflikt beobachtet haben und was 2019 auch beim Angriff auf die saudische Erdölindustrie sichtbar wurde. Damals kamen weitreichende Drohnen und Marschflugkörper zum Einsatz, die dort zum Schutz eingesetzte bodengebundene Luftabwehr (BODLUV) konnte den Angriff aber trotzdem nicht abwehren.

Wir stellen in diesem Artikel die These auf, dass die meisten europäischen Armeen gegen die unbemannten Luft-Wirkmittel Aserbaid­schans ähnlich chancenlos gewesen wären wie die armenischen Truppen. Wie sehen Sie das?
Zwar ist kein Konflikt wie der vorige, aber wir sehen das sehr ähnlich. Beide Seiten setzten keine nennenswerte Luftwaffe ein, darum wurden überhaupt erst Drohnen benutzt und Aserbaidschan konnte da mit seinen modernen Aufklärungs- und Angriffsdrohnen konfliktentscheidend wirken. Zum künftigen Fähigkeitskatalog der bodengebundenen Nahbereichsflugabwehr muss daher die Entdeckung und Bekämpfung von Kleinstdrohnen genauso wie von bereits abgefeuerten Präzisionslenkwaffen oder Raketenartilleriesalven gehören. Dazu bedarf es der vollen Palette der Technologie und außerdem braucht es Robustheit gegen elektronische Kriegsführung und Verbesserungen im Bereich des Tarnens, Täuschens und Manövrierens. Wir entwickeln unsere Systeme in diese Richtung daher bedarfsgerecht und erweitern sie gegebenenfalls um neue Fähigkeiten. Nicht
jedes Land will – oder besser kann – wegen jeder Neuentwicklung am Himmel neue Großsysteme beschaffen.

@Rheinmetall
Neue Bedrohung: Drohnen werden für Streitkräfte zu einer immer größeren Gefahr. Deren Abwehr verlangt neue Konzepte und Denkweisen.

In aktuellen Rheinmetall-Konzepten zum Thema ist vom Modell Skynex die Rede. Was ist darin der Sensor, welche und wie viele Flugabwehr-Waffen werden damit vernetzt? Und geht es in der Erfassung von am Radar vogelgroßen, leisen und „IR-kalten” Drohnen im Nah- und Nächstbereich tatsächlich zentral um die Vernetzung (IADS)?
Skynex ist eine neue Systemarchitekturkonzeption, welche auf einer Art „Werkzeugkasten” beruht. Verschiedenste Sensoren wie Radar, Elektro-Optik und EKF werden dabei zusammen mit verschiedensten Wirkmitteln wie eben Kanonen, aber auch Lenk- und in Zukunft sogar Hochenergiewaffen zum Zweck maßgeschneiderter taktischer Einheiten für spezifische Einsätze lagegerecht in ein zentrales Einsatzführungssystem eingebunden. Wichtig ist, dass auch bereits im Einsatz stehende Systeme integriert werden können. Damit könnte dem „armenischen Problem” wirkungsvoll entgegengetreten werden. Wären deren – für sich wirkungsvolle – Flugabwehrsysteme vernetzt und zielgerichtet ergänzt worden, hätten sie diesem Drohnensturm im elektromagnetisch virulenten Umfeld sicherlich widerstehen können.

Bergkarabach-Analyse: Die Drohnen-Plage

In welcher Relation zur Detektion und Bekämpfung von unbemannten Luftgegnern steht die Elektronische Kampfführung (EloKa)? Und welchen Platz nimmt vor diesem Hintergrund die Künstliche Intelligenz (AI) ein?
In entscheidender Relation. Der Einsatz offensiver EloKa war im Zusammenspiel mit taktischen Drohnen entscheidend bei der nachhaltigen Neutralisierung der armenischen Flugabwehr – weniger beim Stören als beim Täuschen von Radaren. In den Jahren nach dem Kalten Krieg hatte die EloKa bei der Flugabwehr aufgrund von großen Reichweiten und der Konzentration auf ballistische Flugkörper zunächst an Relevanz eingebüßt. Nun aber gibt es wegen der Rückkehr in den Nahbereich und neueren Technologien eine Renaissance. Wir haben bereits Systeme im Einsatz, welche mittels künstlicher Intelligenz kleine Ziele wie Drohnen von Vögeln unterscheiden können. Künstliche Intelligenz wird außerdem helfen, die Arbeitsbelastung der Bedienmannschaft und insbesondere der Kommandanten zu reduzieren.

@RMAD
Deal: 2016 konnte Rheinmetall AD Thailand als Neukunden für das Sky­guard-3 als neueste Version gewinnen. 2017 kamen zwei weitere Länder hinzu. Die Auslieferungen laufen bis 2021.

Bundesheer-Offiziere weisen darauf hin, dass unsere zwölf Skyguards und 24 Stück 3,5-cm-Geschütze keineswegs veraltet wären und mit Adaptionen sogar in Szenarien wie in Karabach bestehen könnten.
Das stimmt grundsätzlich, allerdings muss man dabei berücksichtigen, dass diese Kanonen-Flugabwehr gegen Kampfflugzeuge und Kampfhubschrauber im Tiefflug entwickelt wurde. Um kleine taktische Drohnen und Luft-Boden-Lenkwaffen bekämpfen zu können, muss das System daher mit neuen Sensoren und neuer Munition kampfwertgesteigert werden. Entsprechende Produkte dafür sind aber vorhanden und werden von anderen Anwendern unserer Systeme auch bereits eingesetzt. Auch das Bundesheer hat dahingehend bereits einige äußerst interessante und innovative Planungskonzepte aufgelegt und auch sehr reale Systemtests in Langenlebarn gemacht. Dabei konnten wir eine Vernetzung der bestehenden Fliegerabwehr mit unserem Skymaster-Führungssystem unter Einbindung zusätzlicher Sensorik realisieren. Wir engagieren uns für dieses C-EAT Projekt (Countering Emerging Air Threats) sehr und sind dank unserem großen Wissensvorsprung, was die tatsächliche Leistung einzelner Sensorik betrifft, davon überzeugt, hier einen zukunftsweisenden Beitrag zu leisten. Die Kombination von neuer Technologie im Bereich der Detektion und Verifikation sowie der Integration von neuen „non-lethal”-Effektoren mit den bewährten Skyguard-Einheiten könnte zu einer wesentlichen Modernisierung und Kampfwertsteigerung der Flieger- und Drohnenabwehr in Österreich führen. Wir pflegen mit dem Bundesheer seit vielen Jahren eine gute Partnerschaft und schätzen diese auch sehr.

„das Bundesheer hat dahingehend bereits einige äußerst interessante und innovative Planungskonzepte aufgelegt und auch sehr reale Systemtests in Langenlebarn gemacht.“

Weil zuvor Hochenergieeffektoren und Laser erwähnt wurden: Das „Vom-Himmel-Schmelzen” eines UAS wurde von Rheinmetall bereits vor längerer Zeit bei einer Demo in der Schweiz gezeigt. Wie ist da der aktuelle Entwicklungsstand?
Für den deutschen Markt haben wir dahingehend eine Zusammenarbeit mit MBDA, um in naher Zukunft einen Laser für die Anwendung auf Kriegsschiffen liefern zu können. Die gleiche Technologie wird danach mit hoher Wahrscheinlichkeit auch bei der bodengebundenen Flugabwehr in Deutschland und anderswo zum Einsatz kommen. Die technologischen Grundlagen, welche wir demonstriert hatten, werden nun zu truppentauglichen Systemen weiterentwickelt. Hochenergie-Lasersysteme, mit Leistungen von mehr als 100 Kilowatt, werden in Zukunft bestehende Wirkmittel etwa eingebunden im Skynex-System ergänzen, aber wohl nur zum Teil ersetzen. Der Laser bietet besondere Vorteile, wie eine unmittelbare Wirkung im Ziel ohne Zeitverlust und eine besonders kostengünstige Bekämpfung, da man eigentlich nur Energie verschießt.

Hier geht es zu weiteren Berichten rund um Rheinmetall und hier zu einem weiteren Interview mit Fabian Ochsner aus dem Sommer 2019. Damals sind wir mit dem Rheinmetall-Mann der Frage nachgegangen: Wer ist bei einer Konfrontation im Vorteil? Angreifende Stealth-Jets oder die bodengebundene Luftabwehr?

Quelle@Rheinmetall, Georg Mader, RMAD