Laut einem Gastbeitrag von Claudia Major und Christian Mölling in der FAZ vom 30. September droht dem größten gemeinsam EU-Rüstungsprojekt um das französisch-deutsch-spanische Kampfflugzeug der 6. Generation (FCAS, Militär Aktuell berichtete) das Aus. Das wäre auf viele Jahre eine sicherheitspolitische Bankrotterklärung für Europa.

Vorneweg: Die beiden Autoren sind nicht irgendwer. Claudia Major leitet die Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und Christian Mölling ist Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Obwohl gerade erst am 18. September beide Verteidigungsministerinnen Bilder voller Harmonie lieferten, als sie auf dem Militärflugplatz Évreux-Fauville und am Airbus Standort Manching ihre Kooperationsprojekte lobten, schleppen laut den Autoren die seit 2017 enthusiastisch vereinbarten deutsch-französischen Kooperationsprojekte Geburtsfehler mit sich herum, die nun vor der Eskalation stehen.

@Dassault
2019 unterzeichneten Frankreich und Deutschland Verträge zur gemeinsamen Entwicklung des FCAS und präsentierten ein ersts Mock-up, gestartet wurde das Projekt bereits im Jahr 2018.

FCAS ist eines von insgesamt acht gemeinsamen Projekten, darunter sind – mit zwischen beiden Partnern geteilten Führungsrollen – auch Kampfpanzer (Militär Aktuell berichtete) und unbemannte Aufklärungsflugzeuge. Bei FCAS geht es zwar im Kern um ein Flugzeug, darüber hinaus wird dabei aber auch die nächste Generation eines fliegenden Verbundsystems entwickelt, in dem bemannte und unbemannte Systeme, Clouds und verschiedenste Sensoren und Waffen zusammenwirken. Mehr Zukunft, also mehr innovative technologische Entwicklungen, beinhaltet kaum ein gemeinsames Rüstungsprojekt – die Autoren orten hier aber auch: Viel bilaterales Konfliktpotential.

Tatsächlich machen sich beide Seiten gegenseitig das Leben schwer. Deutschland strapaziert seine französischen Partner mit seinen nationalen Besonderheiten: Wo die französische Rüstungsabteilung DGA quasi komplette Freiheit bei der Umsetzung des Projektes hat, greift in Deutschland das Prinzip der multipel-föderalen Zuständigkeiten: Die Ministerien für Wirtschaft und Verteidigung sowie das Kanzleramt müssen sich mit dem Bundestag und einer privaten Industrie abstimmen. Das dauert, ist schwierig und führe oft zu unbefriedigenden Kompromissen. Und es sei gerade die Schlüsselrolle des Bundestags, welche Paris irritiere. Der weigert sich, Entwicklungsgelder für das FCAS ohne Erfolgsnachweis einfach über Jahre freizugeben. Er gibt solche nur nach und nach frei, macht Vorgaben und stellt Rückfragen. Dieses Vorgehen ist Frankreich – wo neben Europa generell auch die Verteidigung Chef- also Präsidentensache ist – komplett fremd. Auf Paris wirke es als stetiges Infragestellen des Vertrauens und des deutschen Bekenntnisses für das Projekt – und wie ein wenig subtiler von Misstrauen getragener Versuch, den französischen Partner zu kontrollieren.

Scheitert deswegen das FCAS – in England kennt das vergleichbare Tempest-Projekt (Militär Aktuell berichtete) mit Schweden und Italien derartige „Sollbruchstellen” nicht – wären auch die anderen Projekte kaum zu retten, denn sie sind miteinander verflochten. Der Schaden wäre immens. Es wäre nicht nur ein herber Rückschlag für die deutsch-französischen Beziehungen, sondern auch eine Bankrotterklärung für Europa als führenden Technologie- und Innovationsstandort und als militärisch, sicherheitspolitisch und industriell ambitionierter und eigenständiger Akteur. Deutschland und Frankreich würden zudem zentrale Waffensysteme fehlen. Aber vor allem: Die Idee einer europäischen Souveränität, also einer Eigenständigkeit, die aus der Zusammenarbeit mehrerer Nationen entsteht, die ihre Zukunft gemeinsam gestalten wollen, wäre in einem Schlüsselbereich widerlegt.

Tempest: Neue Kampfjet-Generation „made in Europe“

Deutschland und Frankreich vereinen rund 40 Prozent der Verteidigungsindustrie in Europa auf sich. Dieser Sektor ist in Frankreich ein Schlüsselinstrument um die nationale Souveränität zu bewahren und daher schützenswert und sogar nationaler Stolz. Zudem ist der Staat erheblich an dieser ökonomisch wichtigen Industrie beteiligt. Deutschlands Verteidigungsindustrie ist hingegen privat, volkswirtschaftlich unbedeutend und politische Kreise meiden sie sogar eher. Daher misstraue man einander im Grunde und vor allem sollte der Andere bloß keinen wirtschaftlichen Vorteil aus der Herstellung und der Weiterverwertung der in den Projekten entwickelten neuen Technologien ziehen. Ganz klar, es geht um die Schlüsselfrage: Nicht nur wer produziert, sondern vor allem wer welche Technologie entwickelt. Und dieses wertvolle Wissen dann weiternutzen darf, um in den kommenden Jahrzehnten weitere Produkte daraus zu schaffen – und auch zu exportieren. Wer heute Großwaffensysteme wirtschaftlich vertretbar produzieren will, muss gegebenenfalls zu deren Export bereit sein – und da ist im Hinblick auf die restriktive Exportpolitik Deutschlands der (Dauer)Streit vorprogrammiert.

Das Problem ist: Ein solcher rüstungsindustrieller Fehlschlag könnte zum Riss in der Europäischen Integration werden. Zumindest offiziell ist ein solcher bislang nicht thematisiert worden, im Beitrag wird kein Fakt geliefert wonach das Projekt „abschmieren” soll. Es wird viel mehr skizziert, was es bedeuten würde, wenn es abschmieren würde. Was auch nicht vorkommt ist die Aufklärung, dass laut den FCAS-Verträgen die Hauptwertschöpfung von den französischen Staatskonzernen Dassault und Airbus generiert wird. Für Deutschland bleibt der Part der Triebwerksentwicklung, fürs Ganze einzahlen soll dagegen hauptsächlich der deutsche Steuerzahler. Bei den unbemannten Sensorträgern sowie beim Kampfpanzer ist es dafür umgekehrt. Ausgehandelt hat das Ursula von der Leyen, die damals wegen einer Berateraffäre mit dem Rücken zur Wand stand. Kurz nach den FCAS-Verträgen wurde sie von Emanuel Macron – EU-Kandidatenlisten hin oder her – nach Brüssel berufen und entkam so der Untersuchung und möglichen Abberufung. Nachfolgerin Kramp-Karrenbauer steht – offiziell – dazu.

@Archiv
In Frankreich wächst die Kritik am gemeinsamen Rüstungsprojekt mit Deutschland, viele Experten hätten eine Beteiligung am britischen Tempest-Projekt bevorzugt.

Leser und Kommentatoren des „Warnrufes” – und ein solcher ist der Gastbeitrag – schätzen die schleppenden deutschen finanziellen Commitments als Ursache für ein „Zweckgerücht”. Viel naheliegender erscheint ihnen, dass dem französischen Entwicklungspartner in den vergangenen zwei, drei Jahren immer deutlicher wurde, dass eine Rüstungskooperation mit dieser deutschen Nation das allerletzte ist was man sich sehenden Auges antun möchte. Ein hochkomplexes Waffensystem, ja eine ganze Systemfamilie, daher unvermeidlicherweise immens kostspielig, kann sich heutzutage nicht mal mehr eine wirtschaftsstarke Supermacht wie die USA leisten – wenn sie nicht die Entwicklungskosten auf viele gebaute Stücke umlegen kann. Siehe F-35. Und der „funktioniert” selbst bei einem Großabnehmer wie der USAF nur durch zusätzlichen erfolgreichen Export der fertigen Waffensysteme. Bei „mittelgroßen Zwergstaaten” wie Deutschland und Frankreich müsste umso mehr produziert und danach weltweit verkauft werden. Und das ist völlig ausgeschlossen, wenn die Nation der notorischen Reichsbedenkenträger dabei überall bremsen kann.

Laut darunter mehrfach geäußerter – und wohl nicht unfundierter – Ansicht, seien all diese Hintergründe um das „nicht kompatible Genom dieser politisch gezeugten Chimären” aber letztlich egal. Ein absehbarer Regierungswechsel in der BRD in 2021 werde – gepaart mit der Corona-induziert höchsten Neuverschuldung Berlin’s seit Gründung der BRD – die Situation ohnehin noch verschärfen. Sollten danach die Grünen beteiligt sein, würde das Projekt wohl ohnehin gestoppt, von jenen wären keine langfristigen Rüstungs- und Verteidigungspolitik-Perspektiven zu erwarten. Also bliebe die Frage, ob das offensichtlich bereits Vorhersehbare jetzt strategisch lange genug herausgezögert wird, oder ob die Politiker die jeweils 85 Millionen Euro für einen Technologiedemonstrator bis 2026 – die drei Luftwaffenchefs haben parallel bereits zehn Fähigkeitsprioritäten formuliert – nur zur Vortäuschung von Aktion verschleudern, bevor die „echten” Milliarden fällig würden. Aber wenn Deutschland mit einem jährlichen Rückstand von mehr als 40 Prozent des Verteidigungshaushalts seine NATO-Bündnisverpflichtungen nicht erfüllt und die USA deshalb Deutschland – zu Recht – kritisieren, fordern ebensolche deutsche Politiker quer durch die Farben ganz trotzig „mehr Selbstständigkeit Europas bei militärischen Fähigkeiten!” Die könne doch bitte niemand mehr ernst nehmen. Für das FCAS und was dahinter am Spiel steht dürfte also entscheidend sein, wie lange die Franzosen das tun.

Quelle@Dassault, Archiv