Die Unterzeichner des Ächtungsvertrages haben einerseits wohl recht, Atomwaffen per se können keinen Frieden garantieren. Allerdings sind es auch keine ausschließlich militärischen Waffen, sondern vor allem politische. Eine nuklear bewaffnete Nation kann man nicht so einfach angreifen oder überfallen und auch politisch lässt sich so eine Nation nicht ohne weiteres erpressen, eine Logik der bis und vielleicht auch wieder nach dem JCPoA-Aktionsplan möglicherweise auch der Iran zuneigt. Es ist daher eine Spirale, solange auch nur eine Nation Atomwaffen besitzt, werden sich zumindest die Supermächte nicht davon trennen. Und in Israel ist eine Mehrheit der Meinung, der Staat wäre ohne die Abschreckung mittels Atomwaffen eventuell bereits Geschichte (siehe Bericht hier).

@Archiv
Die nukleare Teilhabe ist als deutscher Beitrag zum atomaren Schutzschirm der Nato zu verstehen und wird von der Bundeswehr mit Tornado-Kampfjets sichergestellt.

An der „Front” der – von jenem Verbot zumindest in öffentlichen Reaktionen offenbar wenig beeindruckten – Realpolitik, ist es wie schon beim inzwischen leider (seitens der USA wie des Irans) nahezu toten Nuklearabkommen mit Teheran vom Juli 2015 (siehe hier) wieder Wien, wo in Sachen Nuklear(ab)rüstung tatsächlich ernsthaft verhandelt wird. Der sogenannte „New-START”-Vertrag (Strategic Arms Reduction Treaty) wurde 2010 unterzeichnet und ist das letzte große Abkommen zwischen den USA und Russland zur Kontrolle ihrer Atomwaffen. Er begrenzt die Zahl der stationierten strategischen Sprengköpfe was Reichweiten (der Trägersysteme) von mehr als 5.500 Kilometer betrifft auf je 1.550 und die Anzahl jener Trägersysteme auf je 800. Liefe der Vertrag – in welchem die Verlängerung um fünf Jahre nach Übereinkommen aber ausdrücklich erwähnt ist – aus, würden alle Beschränkungen für den Einsatz strategischer Atomwaffen fallen. Erstmals seit 1972 gäbe es dann keinerlei Limits für die Arsenale mehr und einem Wettrüsten zwischen den USA und Russland stünde dann – zumindest vertraglich – nichts mehr im Wege. Finanziell allerdings ist man da wieder auf einer ganz anderen Ebene: Insgesamt werden die USA in den nächsten 30 Jahren rund 30 Milliarden US-Dollar (rund 25,5 Milliarden Euro) jährlich in Atomwaffen und deren Wartung investieren. Und auch in Russland sollen von 700 Milliarden US-Dollar (596 Milliarden Euro) Militärbudget bis 2030 rund zehn Prozent für die Modernisierung strategischer Streitkräfte samt Nuklearwaffen verwendet werden.

Vor diesem Hintergrund sind sich die beiden führenden Nuklearmächte seit Juni im Palais Niederösterreich in der Herrengasse in mehrmonatigen Gesprächen über eine Verlängerung – mühsam – nähergekommen. Generell ist zu bemerken, dass Russland sich spürbarer für eine Verlängerung des Vertrages einsetzt. Die USA pochten anfangs darauf, dass auch China mit an den Verhandlungstisch geholt werde. Doch Peking weigert sich, über sein vergleichsweise kleines Atomwaffenarsenal von zwischen 200 und 300 Gefechtsköpfen zu verhandeln. „Die beiden ,Großen’ sollen mal auf unser Niveau abrüsten, dann könne man darüber reden”, so ein chinesischer Diplomat vor einigen Wochen gegenüber Militär Aktuell.

Russlands Präsident Wladimir Putin hatte am 14. Oktober eine Verlängerung des Abkommens um ein Jahr und ohne Bedingungen vorgeschlagen. Diese Zeit sollte aus Sicht des Kreml-Chefs für weitere Verhandlungen genutzt werden. US-Präsident Donald Trump hat den Vertrag immer wieder als eine von mehreren schlechten Vereinbarungen kritisiert, die sein Vorgänger Barack Obama eingegangen sei. Die USA lehnten das dann auch rasch ab – was unabhängige Experten in Moskau als Niederlage für Wladimir Putin werteten – und verlangten, dass „nicht nur die einsatzbereiten, sondern auch die in Reserve gehaltene Sprengköpfe einbezogen werden, beide Seiten die Produktion neuer Sprengköpfe einfrieren und sich der Kreml bereit erklärt, in ein Abkommen auch alle Atomwaffen mit weniger als 5.500 Kilometern Reichweite einzubeziehen”. Davon halten die USA nur mehr etwa 500 einsatzbereit, Russland dagegen nach US-Schätzung etwa 2.000. Jene Waffen betrachtet die russische Armeeführung als Mittel, die von ihr wahrgenommene konventionelle Überlegenheit der ihr immer näher rückenden NATO-Streitkräfte in Europa auszugleichen. Sie stationierte daher in der Enklave Kaliningrad neue landgestützte Marschflugkörper 9M729 als Träger für derartige Sprengköpfe – dies brachte das Ende des INF-Mittelstrecken-Vertrags aus 1988 (gemeint sind Trägersysteme bis 500 Kilometer Reichweite, siehe Bericht).

@Georg Mader
Der Sondergesandte Marshall Billingslea (rechts) und US-Air-Force-Lieutenant General Thomas Bussiere bei einem Medientermin anlässlich der Abrüstungsgespräche zwischen Russland und den USA Ende Juni in Wien.

Es ist positiv, dass sich auch der österreichische Boulevard stärker mit jenen Thematiken beschäftigt – so vermeldete die Kronen Zeitung, dass Russland nun doch zu Zugeständnissen bereit wäre. Denn das Außenministerium in Moskau stellte am 20. Oktober in Aussicht, die Zahl der Nuklearsprengköpfe ein Jahr lang „einzufrieren”. Sollte das Abkommen (zunächst) um zwölf Monate verlängert werden, „wird Russland diese politische Verpflichtung eingehen”, teilte man aus Außenminister Sergei Lawrow’s Büro mit. Das wäre aber „nur dann möglich, wenn die USA nicht zusätzliche Forderungen stellen”.

Sollten also die Gespräche tatsächlich – in Wien oder anderswo – ein ganzes Jahr mehr Zeit erhalten, müsste auch über die Einbeziehung neuer Trägersysteme entschieden werden. So hat Russland bereits mit Avangard einen Hyperschallgleiter eingeführt (China mit dem DF-17 übrigens auch), der anstelle einer Interkontinentalrakete Gefechtsköpfe befördern kann. Avangard soll in der Lage sein, die US-Raketenabwehr auszumanövrieren. Zu Präsident Putins Geburtstag am 7. Oktober, testete die Marine den Marschflugkörper Zirkon, der Mach-8 erreicht (Militär Aktuell berichtete). Zudem kündigte Putin den nuklearen Tsunami-Torpedo Posejdon und den nuklear getriebenen Marschflugkörper Burevestnik an. Vor allem diese Hyperschall-Systeme – die bei den Amerikanern noch in Entwicklung stehen – bereiten dem Pentagon und der „Missile Defence Agency” Kopfzerbrechen: Ihre hohe Geschwindigkeit verkürzt die Reaktionszeit, in der über einen nuklearen Gegenschlag entschieden werden muss, auf wenige Minuten. Zudem sind sie anders als Interkontinentalraketen schwer zu orten – und ihre Flugbahnen sind nicht berechenbar. Das gefährdet die strategische Stabilität, die seit „Mutual Assured Destruction” (MAD) letztlich darauf beruht, dass jeder den anderen nach einem atomaren Angriff immer noch mit einem nuklearen Zweitschlag – besonders durch die kaum ständig erfassbaren U-Boote (Boomer) – vernichten kann. Zwar ist MAD (was man auch als „wahnsinnig” übersetzen kann) seit dem Ende der UdSSR eigentlich kein offizielles Konzept mehr, aber beide vom eingangs erwähnten symbolischen Atomwaffenverbotsvertrag Geächtete, halten gegeneinander weiterhin ein sofort einsetzbares Arsenal an Kernwaffen (mit mehrfacher Overkill-Kapazität) vor – MAD gilt stillschweigend bis heute.

Russland: Hyperschallrakete Zirkon erreicht Mach 8

Zwar hat die Trump-Administration keine Annäherungszeichen gegenüber Russland vorgebracht (während Joe Biden ankündigte „New-START” ohne Vorleistungen Russlands zu verlängern), trotzdem scheint es nun Anzeichen zu geben, dass der Kreml dazu bereit sei, die (Anzahl der) Hyperschallgleiter und der vor der Einführung stehenden Interkontinentalraketen Satan künftigen „New-START”-Regeln zu unterwerfen. US-Unterhändler Marshall Billingslea hatte Putin zunächst gewarnt, nach der Präsidentenwahl würden die Amerikaner ihre Grundbedingungen für neue Verhandlungen eventuell deutlich erhöhen. Zuletzt verbreitete er aber dann die Botschaft „einer politischen Grundsatzeinigung mit dem Kreml”.

So eindeutig hat sich das seitens Putin und Lawrow allerdings nicht angehört. Aber nur hier, in diesen Wiener Gesprächen besteht ein realpolitischer und nicht symbolischer Ansatz in Richtung einer – wohl noch weit entfernten – Welt ohne Atomwaffen. Allerdings mit dem „Rucksack”, dass dann mögliche konventionell geführte Aggressionen nur dadurch beschränkt blieben, dass die Zeiten der Millionen-Massenheere mit mehr als 30 Prozent Gefallenen eines Jahrgangs, tausenden Bomberangriffen oder ganzer Panzer-Armeen demografisch wie auch finanziell/ökonomisch vorbei sind – und das gilt auch für die großen Player.

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Quelle@Johannes Daleng on Unsplash, Archiv, Georg Mader, kremlin.ru