Militär Aktuell-Serie: Generalmajor Johann Frank berichtet in jeder Ausgabe über Neuheiten und Entwicklungen rund um die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der Europäischen Union. Dieses Mal zieht er eine Zwischenbilanz über den Status quo der GSVP, erzielte Fortschritte und dringenden Nachholbedarf.

Die Arbeiten am „Strategischen Kompass”, der die zukünftige strategische Ausrichtung und die Prioritäten der Verteidigungspolitik der EU festlegen soll, wurden mit der Erstellung eines gemeinsamen Bedrohungsbildes erfolgreich gestartet. Wenig überraschend kommt die gemeinsame europäische Bedrohungsanalyse zum Ergebnis, dass sich auf globaler Ebene die Konfrontation zwischen den Großmächten weiter verschärfen wird. Auf regionaler Ebene ist mit anhaltenden, mitunter sogar steigenden Konflikten in der europäischen Nachbarschaft zu rechnen. Insgesamt wird mit einem vermehrten Einsatz von Militär zur Interessensdurchsetzung gerechnet. Die Schlussfolgerung aus dieser Bedrohungsanalyse ist unzweifelhaft, dass den zukünftigen strategischen Herausforderungen nur mit einer Vertiefung der Verteidigungszusammenarbeit effektiv begegnet werden kann. Die GSVP ist kein Luxus, sondern eine strategische Notwendigkeit, denn keiner der EU-Staaten kann im Alleingang sicherheitspolitisch bestehen. Dieser analytischen Erkenntnis zum Trotz ist gerade im Nachgang zum Wahlsieg Joe Bidens in den USA wieder eine innereuropäische Debatte um Notwendigkeit und Möglichkeit einer europäischen Autonomie in Verteidigungsfragen ausgebrochen. Eine vermeidbare Debatte, weil eine erneuerte transatlantische Zusammenarbeit und eine verbesserte Handlungsfähigkeit der EU, selbst für ihre Sicherheit zu sorgen, keine Gegensätze sondern zwei Seiten einer Medaille darstellen.

Schwerer als diese politischen Debatten wiegen die Ergebnisse des erstmals durchgeführten Überprüfungsprozesses über den Status der europäischen Verteidigungszusammenarbeit (CARD) basierend auf der Auswertung von 26 nationalen Verteidigungsplanungen. Das Ergebnis ist ernüchternd. Die europäische Verteidigungslandschaft ist weiterhin durch eine starke Fragmentierung und geringe Investitionen in die Zusammenarbeit gekennzeichnet. Dazu drei Aspekte: (1) Für die Staaten der EU hat nach den nationalen Erfordernissen und der Einhaltung der NATO-Verpflichtungen die Erfüllung der Verteidigungsziele in der EU nur dritte Priorität. (2) 80 Prozent aller Beschaffungen erfolgen weiterhin in nationalen Alleingängen und (3) EU-Einsätze machen insgesamt nur sieben Prozent aller internationalen Missionsentsendungen aus. Aus den Defiziten des Status quo wurden sechs Prioritätsbereiche für zukünftige Projekte der Verteidigungszusammenarbeit vorgeschlagen, unter anderem die Entwicklung eines gemeinsamen neuen Kampfpanzersystems und Systeme zur Drohnenabwehr. Dem wichtigsten europäischen Rahmen für die konkrete Umsetzung von Projekten der „Ständig Strukturierten Zusammenarbeit“ (PESCO) wurde im Zuge der ersten Gesamtüberprüfung grundsätzlich ein positives Zeugnis ausgestellt. Aber die Umsetzung der 47 laufenden Projekte erfordert naturgemäß Zeit. Daher wurde vereinbart, 25 Projekte bis zum Jahr 2025 zur vollen Einsatzbereitschaft zu führen. Darunter unter anderem das Europäische Militärmedizinische Kommando, die Cyber-Reaktionsteams und auch das von Österreich geführte drohnengestützte ABC-Überwachungssystem.

Wer nach innovativen Ideen sucht, wird in einem von der SPD entwickelten Vorschlag zur Bildung einer kleinen 28. EU-Armee, die neben den 27 nationalen Armeen aufgestellt werden soll, fündig. Dieser Nukleus einer zukünftigen wirklichen europäischen Armee soll in der ersten Phase bis zu 8.000 Soldaten umfassen, die im Wesentlichen die Aufgaben der bisher noch nie eingesetzten Battlegroups übernehmen, aber auch innerhalb der EU eingesetzt werden können und unter der Kontrolle des EU-Parlaments stehen. Nach einer Finanzierung in der Erstphase durch die teilnehmenden Staaten sollen die Kosten aus dem gemeinsamen EU-Budget bedeckt werden.

Zusammenfassend kann man festhalten, dass die Entwicklungsgeschwindigkeit der GSVP den immer rasanter wachsenden Herausforderungen hinterherhinkt. Es mangelt nicht an Konzepten und Ideen, sondern am nationalen Willen zur Umsetzung.

Hier geht es zum letzten Teil von „GSVP im Fokus”: Welche Ziele wollen wir mit der GSVP erreichen?

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Seit April 2020 ist Johann Frank Leiter des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement. Davor war er sechs Jahre lang der Sicherheitspolitische Direktor des Bundesministeriums für Landesverteidigung und Leiter der Direktion für Sicherheitspolitik. Seit 2014 war er darüber hinaus beratendes Mitglied im Nationalen Sicherheitsrat sowie dem Rat für Integration und Außenpolitik der Republik Österreich.