Der islamistische Terror greift in Europa um sich und hat auch Österreich erfasst. Gleichzeitig ist Europa auch von anderer Seite bedroht. Daher hat das Europaparlament einen Sonderausschuss gegen Desinformation und für Meinungsfreiheit eingerichtet, in dem wir Mittel und Wege suchen, um Europas Bürgerinnen und Bürger gegen Desinformationskampagnen zu wappnen.

Die Intensität von Aktivitäten so genannter „hybrider Kriegführung” steigt. Darunter versteht man die Kombination aus Maßnahmen, die fast unmerklich sind und ihre Wirkung meist mittelbar entfalten, dafür umso tiefer greifen. Dazu zählen zum Beispiel die Schwächung kritischer Infrastruktur, Cyberangriffe, Ablenkung von Relevantem durch viel Aufsehen für Irrelevantes; Unterminierung des Vertrauens in demokratisch legitimierte Institutionen oder in unsere Grundwerte wie jene der Menschenwürde, der liberalen Demokratie, zu der etwa Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit gehören; teils durch konzertierte Desinformation, um uns zu irritieren. Das zentrale Motiv all dieser Vorgänge ist, unsere Gesellschaften zu spalten.

Es liegt auf der Hand: Die mit Abstand größte Stärke Europas ist dessen Einigkeit. Wir tragen zwar tagespolitische Zwistigkeiten auf demokratische Art aus, aber genau das untermauert diese Stärke. Denn historisch erstmals hat Europa von Süd bis Nord und Ost bis West eine Struktur, die es überhaupt möglich macht, Konflikte gewaltfrei auszutragen, und zwar auf der Basis gemeinsamer Grundwerte. Wem unser Lebensmodell nicht in den Kram passt, wer uns auslaugen will, wer im globalen Wettbewerb die eigenen Möglichkeiten in Konkurrenz statt in Kooperation sieht, will unser Europa und seine Gesellschaften spalten.

Wir müssen erkennen, welchen Gefahren wir in Zukunft begegnen und dass wir schon in der Gegenwart Nadelstichen ausgesetzt sind. Wir müssen auch verstehen, wer auf der Welt uns freundlich gesinnt ist und mit unseren Partnerstaaten viel mehr interagieren. Wir müssen auch begreifen, was auf dem Spiel steht: neben der Sicherheit auch kommender Generationen der globale Stellenwert von Werten wie den oben genannten; von Prioritäten wie jener, dem Klimawandel zu begegnen, oder jener, die Entwurzelung von Menschen durch echte Entwicklungszusammenarbeit in der Form der „Hilfe zur Selbsthilfe” hintanzuhalten.

„Strategische Autonomie” ist der Fachausdruck für eine elementare, essentielle Stärke, die Europa entwickeln muss: jene, in Krisen sich selbst helfen zu können. Die Pandemie und in deren Folge die Wirtschaftskrise zeigen, wie schnell man in einer Krise auf sich selbst angewiesen ist. Die Nadelstiche sind schwelende Krisen. Die nächste große Krise kann sich in einem Blackout oder einer neuen Migrationswelle ausdrücken.

Wir müssen vorsorgen. Und wir können es auch: Dass das neue „Mehrjährige Finanzrahmen” der EU erstmals einen Europäischen Verteidigungsfonds (EDF) vorsieht, ist nicht weniger als ein Paradigmenwechsel. Neben der bestehenden permanenten strukturierten Zusammenarbeit von EU-Mitgliedsstaaten in militärischen Projekten (PESCO), wo unser Bundesheer etwa im Bereich der ABC-Abwehr viel Exzellenz einbringt; wird es mit dem EDF ein kräftiges Instrument zur gemeinsamen Innovationsförderung für die verteidigungsrelevante Forschung und Produktion geben. Das kann eine Fülle von Kollateralnutzen für heimische Produktion und Arbeitsplätze entfalten sowie Absatzchancen europäischer Technologieprodukte auf dem europäischen Konsummarkt schaffen, wo seit Jahren eher Produkte aus Amerika und Asien Absatz finden.

Für Österreich sind wir nicht zuletzt aufgrund unserer Nettozahler-Position angehalten, aus jedem EU-Budget so viel wie möglich an zielgerichteten Rückflüssen nach Österreich zu holen. So lassen wir zusätzlich zu den wirtschaftlichen Vorteilen des Binnenmarkts – die sich nicht in einfachen Vergleichszahlen zu Mitgliedsbeiträgen oder EU-Haushalten ausdrücken lassen – auch Vorteile durch kluge Ausschöpfung von EU-Förderungen wirksam werden.

Österreich kann für sich den EDF zu einer ähnlichen Erfolgsgeschichte machen, wie das beim Sicherheitsforschungsprogramm im Rahmen der EU-Forschungsförderung unter dem Titel Horizon 2020 gelungen ist. Im Rahmen von Horizon 2020 wurden insgesamt 1,6 Milliarden Euro für die Sicherheitsforschung aufgewendet. Die Rückflussquote nach Österreich betrug im Vergleich zum österreichischen Anteil am Gesamtvolumen hervorragende 158 Prozent. In absoluten Zahlen sind das 35,2 Millionen Euro. Für das Folgeprogramm Horizon Europe ist eine Fortsetzung dieses erfolgreichen rot-weiß-roten Weges zu erwarten. Der Erfolgsweg lässt sich auch mit dem EDF fortsetzen, wie es bereits im Regierungsprogramm angesprochen wird. Aufgrund der Exzellenz heimischer Betriebe wird auch hier die Wertschöpfung den Einsatz der öffentlichen Mittel übersteigen können. Das schafft und sichert hochwertige Arbeitsplätze. Der mittel- und langfristige Nutzen für österreichische Unternehmen etwa in Form neuer Absatzchancen für innovative Alltagsprodukte ist hier noch gar nicht umfasst.

So wird es möglich, die strategische Autonomie Europas zu stärken, die Bande Österreichs mit den anderen Mitgliedsstaaten – und im Rahmen von PESCO durchaus auch mit europäischen Staaten außerhalb der EU – zu kräftigen, und gleichzeitig nachhaltig hochwertige Arbeitsplätze in Österreich abzusichern – und zwar mitten in einer veritablen Wirtschafts- und Arbeitsmarktkrise. – Wir können zwar nicht entscheiden, in welchen Zeiten wir leben. Aber wir können uns den Herausforderungen stellen und auch in Krisenzeiten Chancen erkennen und nützen.

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Der ÖVP-Politiker ist Mitglied des Europaparlaments und dort Vorsitzender der Delegation für die Beziehungen zur Koreanischen Halbinsel und Stellvertretender Vorsitzender des Unterausschusses für Sicherheit und Verteidigung (SEDE).