Im Rahmen einer Feldforschungsreise untersuchte Nahost-Expertin und IFK-Mitarbeiterin Jasmina Rupp die Auswirkungen des Syrienkonfliktes auf den Libanon.

Der Libanon gilt seit jeher als Arena für Stellvertreterkriege, von denen zahlreiche bis heute noch virulent sind: die ungelöste Palästinenserfrage, der syrische Bürgerkrieg, die Konfrontation zwischen Israel und dem Iran sowie der gefährliche Machtkampf zwischen Iran und Saudi-Arabien. Besonders der Anfang November aus Riad verkündete Rücktritt des sunnitischen Premiers Saad Hariri verdeutlichte einmal mehr, inwieweit die regionalen Dynamiken den kleinen Mittelmeerstaat destabilisieren können.

@Jasmina Rupp
Jasmina Rupp führte während ihrer Reise auch ein Hintergrundgespräch mit dem Hisbollah-Vertreter für internationale Angelegenheiten Amar Moussawi.

In diesem heiklen politischen Proporzsystem mit seinen 18 offiziellen Religionsgemeinschaften, von denen sich die drei wichtigsten – Sunniten, Schiiten und Christen – die drei bedeutends­ten politischen Ämter teilen, ist die sunnitische Komponente zentral, um das Land überhaupt regierungsfähig zu machen. Zu erwarten ist, dass der Libanon erneut in einen langfristigen politischen Stillstand driftet, da die Einigung auf einen neuen sunnitischen Kandidaten letztlich auch die inoffizielle Absegnung durch Iran und Saudi-Arabien bedingt.

Im Rahmen einer zweiwöchigen Forschungsreise führte Forscherin Jasmina Rupp (Leiterin des Middle East and North Africa- Forschungsteams am Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement der Landesverteidigungsakademie Wien) mehr als 20 Gespräche mit Vertretern unterschiedlichster konfessioneller und politischer Gruppen. Die Besichtigung inoffizieller syrischer Flüchtlingslager, des UNIFIL-Camps in Naqoura und einer ehemaligen militärischen Anlage der Hisbollah verdeutlichte zudem die zahlreichen Herausforderungen des fragilen Kleinstaats.

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Die Forscherin besuchte außerdem ein inoffizielles Zeltlager für syrische Flüchtlinge in Chtoura (Bekaa-Ebene) …

Alle Gesprächspartner teilten die Ansicht, dass die Hisbollah nicht nur einen militärischen Einfluss weit über die Grenzen Libanons hinaus ausübt, sondern auch den staatlichen Apparat dominiert. Die Hisbollah zeigt zudem durch ihr Engagement in Syrien, Irak und Jemen, dass sie eine eigenständige Außen- und Militärpolitik führt. Diese Emanzipation der Hisbollah, welche zur Entstehung eines „Staates im Staat” beitrug, wird von den Libanesen einerseits kritisch, andererseits auch als stabilisierender Faktor betrachtet. Die militärische Komponente der Organisation im Gegensatz zu allen anderen milizlosen politischen Fraktionen verhindert den Ausbruch eines zweiten Bürgerkriegs, zudem ist auch eine direkte militärische Konfrontation mit Israel auf libanesischem Boden als eher unwahrscheinlich einzuschätzen.

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… und einen Brunnen in Baalbek, der das vergossene Blut der Hisbollah im Kampf gegen Israel symbolisiert.

Das Überschwappen des Syrienkonfliktes auf den Libanon ist nicht nur durch die monatelange Festsetzung dschihadistischer Gruppierungen in der Grenzregion spürbar, sondern auch durch die große Anzahl syrischer Flüchtlinge – jeder vierte Bewohner des Landes ist mittlerweile syrischer Flüchtling. Das bedeutet eine massive wirtschaftliche und soziale Herausforderung für das Land, die sich auch in wachsenden Ressentiments gegenüber Flüchtlingen äußert, denen vorgeworfen wird, für die steigenden Immobilienpreise und die Arbeitslosigkeit verantwortlich zu sein. Da die Errichtung von Flüchtlingslagern im Libanon verboten ist, erfolgte die Ansiedlung in gesonderten Stadtvierteln oder in „Substandard-Unterkünften” wie Garagen, Baustellen, nicht fertiggestellten Häusern oder in informellen Zeltunterkünften. Trotz der hohen Belastungen, denen Staat und Gesellschaft ausgesetzt sind, gibt es jedoch bis heute keine konkreten Lösungsansätze für syrische Flüchtlinge.

Die traurigen Erkenntnisse der Forschungsreise: Der Libanon wird weiterhin aufgrund seiner geostrategisch günstigen Lage (Nähe zu Israel, Zugang zum Mittelmeer) ein Spielball der Regionalmächte bleiben.

Quelle@Jasmina Rupp
Die Autorin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement an der Landesverteidigungsakademie. Ihre Forschungsfelder sind der politische Islam, Extremismus und Terrorismus in Syrien und Irak. Ihr aktueller Forschungsschwerpunkt ist der Islamische Staat.