Walter Posch vom Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement (IFK) gilt als einer der renommiertesten Nahostexperten im deutschsprachigen Raum. Wir haben mit ihm über den „Bösewicht” Iran, die Kosten-Nutzen-Rechnung einer Eskalation des Nahostkonflikts und den längst noch nicht besiegten Islamischen Staat gesprochen.

@Privat
Walter Posch studierte Islamwissenschaft, Turkologie und Iranistik in Wien, Istanbul und Bamberg. Er arbeitet am Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement der Landes­­verteidi­gungs­akademie in Wien.

Herr Posch, die Tötung des iranischen Generals Soleimani am 3. Jänner stellte eine neuerliche Eskalation im Konflikt zwischen den USA und dem Iran dar. Mit welchen mittel- bis langfristigen Folgen ist zu rechnen?
Was oft übersehen wird: Neben Kassem Soleimani wurde bei diesem Angriff auch Abu Mahdi al-Muhandis von den irakischen Volksverteidigungsmilizen getötet. Beide waren für den Kampf gegen den Islamischen Staat und für die militärische Präsenz des Iran in der Region von entscheidender Bedeutung. Soleimanis Tötung dürfte trotzdem vor allem eine Prestigefrage gewesen sein, er war nie der allmächtige Strippenzieher, als der er in westlichen Medien häufig dargestellt wird. Bei Mahdi al-Muhandis ist das anders: Er galt zwar als anti-amerikanisch, aber auch als sehr besonnen, stand über den politischen Parteien und genoss das Vertrauen aller Seiten. Die Volksmobilisierungseinheiten im Irak unter Kontrolle zu bringen, wird ohne ihn deutlich schwieriger oder sogar unmöglich.

Ist die Tötung Mahdi al-Muhandis aus US-Sicht damit nicht kontraproduktiv?
Das hängt davon ab, was man will. Wenn es ein Versuch war, die Iraner aus der Region zu treiben und die Volksmobilisierungseinheiten zu vernichten, dann dürfte der Plan gescheitert sein. Möglicherweise war seine Tötung aber auch eine Abrechnung unter Geheimdiensten, oder sie war ein reiner Willensakt von Präsident Trump.

Als Reaktion auf die Tötung Soleimanis unternahm der Iran einen Raketenangriff auf US-Luftwaffenstützpunkte …
… schon davor gab es allerdings im Dezember einen Raketenangriff einer unbekannten Gruppe auf einen US-Militärstützpunkt im Nordirak, bei dem ein Amerikaner getötet wurde.

@Getty Images
Infolge des Drohnenangriffs auf den iranischen General Kassem Soleimani …

Das war aber vor der Tötung Soleimanis.
Das stimmt, ist aber für das Gesamtverständnis entscheidend, denn anschließend haben die Amerikaner einen Gegenschlag gegen die Kataib Hisbollah mit zumindest 25, wahrscheinlich eher 40 Toten, geführt. Die Verhältnismäßigkeit war dabei überhaupt nicht gegeben. Folge davon war, dass die Defensive, in der die schiitischen Milizen nach der Protestbewegung im Irak waren, zum Erliegen gekommen ist und viele sich wieder verstärkt anti-amerikanisch positioniert haben, was mit dem Sturm auf die amerikanische Botschaft in Bagdad in der Silvesternacht augenscheinlich wurde. Danach kam das Attentat auf Soleimani und dann die iranischen Angriffe auf die amerikanischen Luftstützpunkte.

Diese seien überraschend zielgenau gewesen, heißt es.
Heißt es, ja. Das mag stimmen oder auch nicht – wir kennen diesbezüglich nur das westliche Medienbild. Viel wichtiger ist, wie Militärs und Geheimdienste die Angriffe einschätzen und welche Schlussfolgerungen sie daraus ziehen. Wirklich entscheidend für die weitere Entwicklung des Konflikts ist aber eine andere Frage.

@Getty Images
… und den irakischen Milizenführer Abu Mahdi al-Muhandis …

Nämlich?
Ob die Amerikaner nun wie vermutet tatsächlich die extremistische, exiliranische Gruppe Volksmudschahedin unterstützen. Sollte das der Fall sein, ist in nächster Zeit mit Aktionen in Albanien und in anderen Ländern zu rechnen, wo sich viele Mitglieder der militanten iranischen Oppositionsbewegung aufhalten.

Welche Rolle spielen bei alledem die Angriffe auf die Erdölanlagen Abqaiq und Churais in Saudi-Arabien im September 2019?
Diese werden dem Iran zugeschreiben, aber dabei hat sich das Narrativ der Amerikaner ähnlich wie zuvor schon bei den Angriffen auf die Öltanker in drei Tagen vier Mal geändert. Fakt ist, dass bis jetzt nicht zweifelsfrei festgestellt werden konnte, ob die Iraner
tatsächlich dahinterstecken.

Es besteht also die Möglichkeit, dass jemand dem Iran die Schuld in die Schuhe schieben möchte?
Lassen Sie es mich so sagen: Viele Staaten haben das Zurückrollen des iranischen Einflusses in der Region zum Ziel – und zwar um jeden Preis. Nur selbst wollen sie dabei nicht Ziel der Iraner werden.

Sie meinen die Israelis?
Wie die Iraner sind auch die Israelis sehr kalkulierend, aber sie sind keine verantwortungslosen Hasardeure. Ich habe den Eindruck, dass weder der Iran noch Israel eine direkte oder indirekte Konfrontation etwa über den Libanon wollen. Alleine schon aus dem Grund, weil das unglaublich teuer werden würde.

Man will sich einen Konflikt nicht leisten?
Ein Konflikt würde auch politisch keiner der beiden Seiten nützen. Der Aufwand wäre nur dann gerechtfertigt, wenn das Resultat eine eindeutige Schwächung des Gegenübers ist. Diese müsste allerdings so stark ausfallen, dass der andere nie mehr zurückschlagen kann und selbst wenn das beispielsweise Israel gelingen sollte, würde man sich im Nachgang einer noch feindlicheren schiitischen Nachbarschaft im Libanon gegenübersehen, was Jerusalem ganz sicher vermeiden will.

@Getty Images
… griff der Iran – angeblich überraschend zielgenau – US-amerikanische Luftwaffenstütztpunkte im Irak an.

Wenn mit keiner Eskalation zwischen Israel und dem Iran zu rechnen ist: Dient die scharfe Rhetorik zwischen den beiden Ländern dann vor allem dazu, die jeweilige Glaubwürdigkeit aufrechtzuerhalten?
Die Israelis haben den Iranern ihre roten Linien bereits klar aufgezeigt und die Iraner haben diese auch ausgereizt, indem sie nach dem Libanon im Norden auch im Osten Israels in Syrien eine Art Front aufgebaut haben. Israel hat mit mehreren Angriffen klar aufgezeigt, dass sie dort jederzeit potenzielle Abschussvorrichtungen von Raketen oder andere Einrichtungen ausschalten können. Das Resultat ist eine Art „ konfliktuelle Stabilisierung“ mit klar definierten Spielregeln.

Was bedeuten die jüngsten Entwicklungen nun für die Zukunft der gesamten Region?
Eine gute Frage, die aber niemand beantworten kann. Da gibt es derart viele offene Fragen und Probleme, was mich die Zukunft sehr pessimistisch sehen lässt. Nehmen wir zum Beispiel den Iran, wo sich das Regime in den vergangenen Jahren durch Inkompetenz, durch Arroganz und nicht gehaltene Reformversprechen delegitimiert hat. Diese Entwicklung wurde durch den Austritt der USA aus dem Nuklearabkommen noch verstärkt, dazu kommen Massenarmut und Massenauswanderung der Gebildeten. Damit wurde jede Möglichkeit einer Reform oder Deeskalation vernichtet und mit dem Abschuss des Passagierflugzeuges haben die Revolutionsgarden zudem einmal mehr gezeigt, wie inkompetent und brutal sie sind.

Droht damit im Iran mittel- bis langfristig ein Umsturz?
Der Staat stirbt ab, was oft als Umsturz missverstanden wird, aber das Regime überlebt. Die Frage wird sein, ob die USA in Teheran einen Regimewechsel anstreben oder einen Staatszusammenbruch. Die Erfahrungen aus dem Irak sollten ihnen zeigen, dass Sanktionen und Interventionen einen Staat zum Verschwinden bringen, aber das Regime stärken. Im Iran wird wohl trotzdem Ähnliches passieren. Im Endeffekt bleibt damit für Millionen Menschen im Iran – und dasselbe gilt für Millionen Menschen in der gesamten Region – als Ausweg nur die Flucht nach Europa.

Das heißt, wir sollten uns auf eine neue Flüchtlingswelle einstellen?
Natürlich. Wir haben auf die Probleme in der Region immer noch keine Antwort, lassen uns immer noch von Ängsten und Furcht treiben. Außerdem müssen wir uns endlich eingestehen, dass die Probleme in der Region aufgrund der demografischen Entwicklung in den vergangenen Jahren auch bei uns in Westeuropa immer mehr spürbar werden – und das zum Teil auch längst sind.

Es bräuchte also dringend Lösungen vor Ort, um potenzielle zukünftige Probleme möglichst vermeiden oder eindämmen zu können?
Unbedingt, ja. Aber wie sollen die aussehen, wenn wir momentan nicht einmal die grundlegendsten Fragen beantworten können? Wie wollen wir mit Assad weiter verfahren? Was machen wir mit den Kurden in Nordsyrien? Was tun wir mit den vielen Flüchtlingen in der Region, die teils über beträchtliche klandestine nachrichtendienstliche und militärische Fähigkeiten verfügen? Und, ganz entscheidend: Wollen wir den Islamischen Staat militärisch weiter bekämpfen und, wenn ja, wie? Die Reorganisationsfähigkeiten des IS werden gemeinhin gewaltig unterschätzt, weil nur auf seine konventionellen Fähigkeiten geachtet wird, aber beispielsweise kulturelle Aspekte völlig außer Acht lässt.

Braucht es für einen erfolgreichen Kampf gegen den IS die Unterstützung des Iran?
In der Tat könnte eine stille Partnerschaft mit dem Iran dahingehend viel bewirken, so wie es die USA beginnend mit 2015 gemacht haben. Das würde zugleich auch den Iran stabilisieren und alleine schon deshalb für mehr Stabilität in der Region sorgen. Aber dazu wird es nach den jüngsten Entwicklungen wohl nicht kommen.

QuellePicturedesk, Getty Images, Privat
Der Autor ist Chefredakteur von Militär Aktuell. An militärischen Themen reizt ihn besonders die Melange aus Technik, Strategie und geomilitärischen Entwicklungen. „Und diese Mischung versuchen wir gut lesbar, mit einem ausgewogenen Verhältnis von Nähe und Distanz sowie Qualität in Text und Bild, für unsere Leser aufzubereiten.“