In ihrem Ringen um Macht, Einfluss und globale Wertschätzung destabilisieren Saudi-Arabien und der Iran eine ganze Region. Dabei verfolgen die beiden Länder durchaus auch gemeinsame Interessen. Eine Analyse von IFK-Experte Walter Posch.

Die US-geführte Militärintervention im Irak von 2003 wird aus saudischer und generell aus arabischer Sicht als Zerstörung einer regionalen Balance und Ordnung betrachtet, die in letzter Konsequenz für das heutige Chaos in der Region verantwortlich ist. Dieser Lesart ist allerdings in zwei wichtigen Punkten zu widersprechen. Erstens waren die nationalistischen Diktaturen und Autokratien in der Region weniger stabil, als es den Anschein hatte. So gelang es bisher keinem arabischen Autokraten, die Macht friedlich an seinen Amtsnachfolger zu übergeben. Regionale und nationale Stabilität waren daher an die Person und nicht an das Amt gebunden – und somit von vornherein zeitlich begrenzt. Diese Art von „Stabilität auf Zeit“ stützte sich im Wesentlichen auf Repression und Klientelwirtschaft, die auf Dauer den Staatsapparat korrumpierte. Der Sturz des Regimes bedeutete dann oft auch den Zusammenbruch des Staates. Denn in Ermangelung demokratischer Prozesse musste sich die aufgestaute Wut nach dem Abtritt des Diktators Bahn brechen. Auf regionaler Ebene bedeutet dies, dass bislang respektierte Stabilitätsanker ins Chaos versinken und, indem sie nun selbst zum Opfer ausländischer Begehrlichkeiten und Interventionen werden, die gesamte Region in den Strudel ihres inneren Zusammenbruchs zu reißen drohen. Nur starke Staaten wie der Iran oder Ägypten, die über eine lange bürokratische Tradition und ausgereifte nationale Identitäten verfügen, haben die Kraft, ein Überschwappen innerer Unruhen auf die Region zu verhindern.

Als weitere Erschwernis für die regionale Sicherheit kommt, zweitens, hinzu, dass auch vor der amerikanischen Militärintervention weder ein ausgewogenes Kräftegleichgewicht noch eine stabile Ordnung im Nahen Osten existierten. Vielmehr sind die Pfeiler einer vom Westen gesponserten Sicherheitsarchitektur (CENTO) schon 1979 durch die Islamische Revolution unwiderruflich zerstört worden. Seither haben sich die arabischen Staaten als unfähig erwiesen, aus eigener Kraft funktionierende Sicherheitsarrangements und Krisenlösungsmechanismen zu etablieren. Die Resultate sind bekannt, weder die Arabische Liga noch der Golfkooperationsrat waren in der Lage, die Aggressionen Iraks unter Saddam Hussein zu verhindern, den Nahostkonflikt zu lösen oder jüngst die Krisen in Syrien und im Jemen zu bewältigen.

In allen genannten Fällen spielt die Konkurrenz zwischen Saudi-Arabien und dem Iran eine wichtige Rolle. Der eigentliche Konflikt ist strategischer Natur, seine Wurzeln reichen bis in die Zeit vor der Islamischen Revolution: Beide Golfanrainerstaaten konkurrieren um Einfluss in der Region zwischen dem Mittelmeer und Afghanistan. Seit den 1990er-Jahren zeigte sich Saudi-Arabien zunehmend irritiert von der Positionierung des Irans im Sudan, im Libanon und am Horn von Afrika. Dazu kamen Teherans Inanspruch­nahme des Nahostkonflikts und seine Rolle als Schutzmacht aller Schiiten weltweit, die Riad vor die Wahl stellten, selbst aktiv zu werden oder abzuwarten, bis Teheran seinen Einfluss bis in die saudischen Ostprovinzen hin ausdehnt. Die Interventionen in Bahrain und im Jemen sind vor diesem Hintergrund zu sehen.

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Eine Region, viele Konflikte: Der Nahe und der Mittlere Osten wird aktuell von einer ganzen Reihe Konflikten heimgesucht. So strebt der „Islamische Staat” nach Territorialgewinnen, in Syrien tobt seit Jahren ein Bürgerkrieg und auch im Jemen wird heftig gekämpft.

Die Bedeutung ideologischer und religiöser Aspekte darf in diesem Zusammenhang zwar nicht abgestritten werden, strategisch gesehen waren sie aber eher von geringerer Bedeutung. Ursprünglich handelte es sich um die Manipulation radikaler schiitischer oder sunnitischer Gruppen vor Ort in Afghanistan und Pakistan, mit denen eine Art Stellvertreterkrieg geführt wurde, dessen Auswüchse Teheran und Riad in der Regel kontrollieren konnten. Das änderte sich mit der Eskalation der konfessionellen Gewalt im Irak und Syrien, deren Dynamik keine der beiden Seiten bewältigen kann. So ist der Einfluss Saudi-Arabiens auf den „Islamischen Staat” weit geringer, als landläufig behauptet wird – wenn er überhaupt je existiert hat. Teheran wiederum hat zwar eine Reihe schiitischer Milizen im Irak und in Syrien aufgebaut, widerspricht damit aber seinem eigentlichen strategischen Ziel, das einen vereinten und überkonfessionellen Irak bevorzugt; nicht zuletzt deshalb, weil das Aufkommen eines alternativen schiitischen Staates mit Argwohn betrachtet wird. So notwendig die schiitischen Milizen für die Eindämmung und Zurückdrängung des IS und anderer Gruppen im Irak und in Syrien auch sind, eine politische Lösung, an der den Iranern nach wie vor gelegen ist, können sie nicht ersetzen.

In Ermangelung eines Friedensprozesses und an­gesichts des Wegfalls traditioneller arabischer Führungsmächte wie Irak und Ägypten würde die – nun unkontrollierbare – konfessionelle Eigendynamik den Iran und Saudi-Arabien in die direkte Konfrontation treiben. Nicht ganz unerwartet wurde Syrien dadurch zum Kulminationspunkt aller anderen Konflikte. Beide Seiten, Iran und Saudi-Arabien, können aufgrund ihrer eigenen strategischen Logik nicht von ihren gegensätzlichen Positionen abrücken – nämlich Assad zu halten oder ihn zu stürzen. Und beiden ist bewusst, dass der Syrienkonflikt ohne politischen Prozess in die nächste Generation gehen wird. Das erklärt die Bedeutung der von den USA und Russland vermittelten Waffenruhe, mit der die Voraussetzungen für einen Waffenstillstand geschafft werden sollten. Gelingt dies, darf – mit viel Optimismus – auf einen Prozess à la Taif gehofft werden, der 1990 den langen libanesischen Bürgerkrieg beendete. Damals spielte die saudische Diplomatie eine zentrale Rolle, und der Iran erwies sich als konstruktiver regionaler Akteur.

Damals nahm aber auch das große Ringen der beiden islamischen Führungsmächte um Einflusszonen in der Region eine neue Dimension an. Heutzutage kann weniger von Einflusszonen die Rede sein als vielmehr von einem strategischen Patt an allen Fronten: Zwar wurde der Iran aus dem Sudan zurückgedrängt und in Bahrain und Jemen verhindert, allerdings entwickelt sich Jemen zur großen militärischen Hypothek für Riad und schwächt dessen Position im Syrienkonflikt. Der Iran wiederum kann kaum mehr auf Freiwillige für die Konflikte in Syrien und Irak zurückgreifen und muss in erster Linie unter lokalen Arabern und Afghanen rekrutieren. Die Strategie des Durchhaltens, mit der die jeweils andere Seite zur Aufgabe gezwungen werden sollte, ist angesichts der Kosten, der Zerstörungen und des unsicheren Ausgangs zur strategischen Un-Gleichung verkommen, in der lokale Akteure wie die Kurden, denen bislang auf geostrategischer Ebene wenig Bedeutung beigemessen wurde, immer wichtiger werden.

Wollen Teheran und Riad ihren Status als Regionalmächte international sanktionieren lassen, wären sie gut beraten, die Feuerpause zu nutzen und den Waffenstillstand in Syrien mit allen Mitteln zu unterstützen. Ein strategisches Ziel haben beide, en passant, ohnehin erreicht: Die Türkei wird nicht mehr als selbstständiger Akteur und schon gar nicht als sunnitische Ordnungsmacht in der Region wahrgenommen, sondern als Störenfried mit großen wirtschaftlichen und innen­politischen Problemen. Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am IFK mit Forschungsschwerpunkt Irak, Iran sowie islamistischer Fundamentalismus und Terrorismus.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar „Arabische Welt: Chaos als neuer Normalzustand?” von IFK-Leiter Brigadier Walter Feichtinger.

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