Mit dem Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan könnte sich dort ein gefährliches Machtvakuum bilden – ob die afghanischen Sicherheitskräfte mit dieser Situation fertig werden können, darf zumindest bezweifelt werden. Wir haben daher Alex Rosen und Gudrun Harrer die Frage gestellt: Ist in Afghanistan ein dauerhafter Friede möglich?

Rosen
Alex Rosen ist Kinderarzt in Berlin und Vorstandsmitglied der deutschen International Physicians for the Prevention of Nuclear War, die sich weltweit für eine friedliche, atomtechnologiefreie und menschenwürdige Welt einsetzt.

PRO VON ALEX ROSEN
Der mehr als 30 Jahre währende Konflikt in Afghanistan kann nicht militärisch gewonnen werden; diese Lektion hat nun auch die NATO schmerzhaft lernen müssen. Sicherheit und Frieden hat ihr Einmarsch nicht gebracht – im Gegenteil: Entwicklungszusammenarbeit und Aufbauhilfe wurden dem militärischen Ziel der Aufstandsbekämpfung untergeordnet, Menschenrechte spielten bei der Wahl von Bündnispartnern keine Rolle. Der Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt kann nur durch Verhandlungen und Ausgleich beendet werden. Dazu braucht es den politischen Willen aller Beteiligten – auch der externen Kriegsparteien. Zunächst müssen die Kampfhandlungen eingestellt werden. Aus diesem Grund ist es so wichtig, dass die NATO-Truppen das Land vollständig verlassen. Der Aufbau einer funktionierenden Zivilverwaltung, Polizei, Infrastruktur und Rechtsstaatlichkeit kann nicht inmitten militärischer Auseinandersetzungen erfolgen. Die afghanische Bevölkerung ist kriegsmüde. Über 30 Jahre haben Krieg, Gewalt und Unterdrückung Menschen und Land zermürbt. Nun müssen sie sich als Gesellschaft zusammenfinden und in einem mühsamen, sicher auch schmerzhaften Prozess ihre Zukunft miteinander aushandeln. Die Afghanen brauchen vom Ausland die Anerkennung ihrer Autonomie, faire Wirtschaftsbeziehungen, die uneigennützige Begleitung der Friedensverhandlungen und Hilfe bei der Wiedereingliederung von Kriegsopfern, Flüchtlingen und Veteranen. Dann kann ein gerechter Frieden in Afghanistan Wirklichkeit werden.

 

Gudrun
Gudrun Harrer ist Leitende Redakteurin beim Standard, Lektorin für Moderne Geschichte und Politik des Nahen und Mittleren Ostens an der Universität Wien und an der Diplomatischen Akademie Wien.

CONTRA VON GUDRUN HARRER
Die US-Truppenpräsenz in Afghanistan ist Teil des Problems, das sie lösen will. Der einfache Umkehrschluss, dass die Amerikaner aus dem Land am Hindukusch heute nur komplett abzuziehen bräuchten, um dort Ruhe und Stabilität herzustellen, gilt trotzdem nicht: Dazu ist die Gemengelage schon viel zu verworren. Pakistan und seine Interessen in Afghanistan sind dazuzuzählen, aber auch viel weiter entfernt gelegene Konfliktzonen und andere Konfliktebenen. Mit ihrer eigenen Formel der Deckungsgleichheit von Taliban und al-Qaida haben die USA die Integration der internationalen jihadistischen Schlachtfelder gefördert, mit ihrer Bevorzugung von afghanischen US-Klienten – was nicht gleichzusetzen ist mit Freunden – wie Hamid Karzai haben sie einen innenpolitischen Ausgleich noch schwerer gemacht, als er immer schon war. Die Präsidentschaftswahlen in Afghanistan im Jahr 2014 sind die wichtigsten bisher – und nicht nur weil die letzten im Jahr 2009 eine Farce waren. Dass Karzai nicht mehr antreten kann, wäre eine Chance auf einen Neubeginn. Aber einiges deutet darauf hin, dass der abtretende Präsident ein Manöver à la Putin planen könnte: Sein Bruder Qayum ist Präsidentschaftskandidat. Alleine das reicht für eine mittelfristige negative Prognose aus: Wenn Karzai die Macht nicht abgibt, dann werden in Afghanistan nicht nur die aktuellen Konflikte bestehen bleiben, sondern neue dazukommen.

Dazu passend auch unsere Analyse zum Abzug
der internationalen Truppen vom Hindukusch.

 

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