Zwei Jahre nach der Vorstellung in Farnborough (Militär Aktuell berichtete) und dem Beitritt Schwedens und Italiens in die Design-Phase 2019, haben britische Ingenieure nun am 15. Oktober einige der neuesten Technologie-Konzepte für das 6.-Generation-Luftkriegs-System Tempest vorgestellt – und diese haben es durchaus in sich.

An der sogenannten „Team Tempest”-Partnerschaft sind BAE Systems, Leonardo, MBDA, Rolls-Royce und das „Future-Capabilities”-Büro der RAF sowie Hunderte von High-Tech-Unternehmen, KMU und Hochschulen in ganz Großbritannien beteiligt. Außerdem natürlich die entsprechenden offiziellen Ebenen der Verteidigungsministerien Schwedens (Saab) und Italiens (Leonardo Mutterkonzern). In dieser sehr breit gestreuten und inzwischen auch internationalisierten Forschungs- und Entwicklungsanstrengung werden aktuell bereits mehr als 60 Technologiedemonstrationen in den Bereichen Sensorik, Datenmanagement und Autonomie vorangetrieben, was sich für die involvierten Länder auch wirtschaftlich bezahlt macht, wie eine neue Studie von PwC zeigt, die BAE Systems kürzlich veröffentlicht hat.

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Ein erster Vorgeschmack auf das Design des Tempest, der – aus Stealth-Gründen – ohne Kühlhutzen- oder Klappenlösungen daherkommen wird.

Demnach wird Tempest zwischen 2026 und 2050 rund 23,5 Milliarden Pfund (rund 21,3 Milliarden Euro) generieren, das entspricht etwa den geschätzten direkten Programmkosten über diesen Zeitraum. Rechne man den „spillover” in Forschung und Entwicklung im weiteren Umfeld der Luft- und Raumfahrtindutsrie samt Zulieferern hinzu, sind die Auswirkungen laut der Studie sogar noch höher: Demnach ergibt sich für je 100 Pfund (rund 110 Euro), die bei den Programmpartnern generiert werden, eine Wertschöpfung von 220 Pfund (rund 240 Euro) quer durch die britische, aber auch italienische und – wenn Stockholm nach der Designphase an Bord bleibt – schwedische Wirtschaft. Dazu kommen enorme Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt: Zurzeit sind zwar „nur” rund 1.800 Menschen in der Industrie und im britischen Verteidigungsministerium am Tempest-Projekt beteiligt, diese Zahl dürfte aber schon 2021 auf 2.500 High-Tech-Arbeitsplätze steigen und soll sich bis 2026 auf rund 20.000 Jobs vervielfachen. PwC rechnet vor, dass für 100 direkt am Programm Beschäftigte weitere 270 Jobs quer durch die Wirtschaft und die Industrie der Partnerländer gesichert werden.

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Unglaubliches Volumen: Tempest soll innerhalb kürzester Zeit Datenmengen verarbeiten können, die ansonsten nur in Großstädten anfallen.

All dies zeige die Attraktivität von Tempest als eines der ehrgeizigsten Technologieprojekte Großbritanniens. Das hochmoderne, anpassungsfähige Luftkampfsystem soll ab Mitte der 2030er-Jahre in Betrieb genommen werden und in etwaigen künftigen Konflikten die Luftdominanz, militärische Handlungsfreiheit und somit nationale Sicherheit von Großbritannien, NATO und dem Westen sicherstellen. Dabei ist das Flugzeug selbst nur Teil einer umfassenderen Systemfamilie, welche neue Technologien nutzen wird, um auf die sich ändernde Natur der potenziellen Kampfräume zu reagieren, die sich zunehmend hochtechnologisch und komplexer gestalten. Außer einem laut dem US-Rüstungs-Staatssekretär bereits geheim geflogenen Demonstrator in den USA (Militär Aktuell berichtete) und dem mit französisch-deutschen Dissonanzen über künftige Exporte vergleichbar „holprig” gestarteten FCAS (zum Militär Aktuell-Bericht), sind sonst im Bereich der 6.-Generation-Kampfjets bislang nur Konzepte und Studien in China und Russland bekannt.

USAF: 6.-Generation-Kampfjet ging bereits in die Luft

 

Experten von Leonardo UK, dem „Abteilungsleiter-Elektronik” im Team Tempest, entwickeln laut eigenen Angaben eine neue Radartechnologie, die mehr als 10.000 Mal mehr Daten liefern und verarbeiten können soll, als bestehende Systeme. Der neue Sensor, der als „Multifunktions-Hochfrequenzsystem” bezeichnet wird, soll am und über dem Schlachtfeld beispiellose Datenmengen sammeln und verarbeiten, angeblich entsprechend dem Internetverkehr einer Großstadt wie Edinburgh – pro Sekunde! Diese enorme Menge an Bord verarbeiteter Informationen verschaffe Tempest in Kampfsituationen einen entscheidenden Vorteil und kann in Echtzeit Feindmittel lokalisieren, priorisieren und anvisieren, bevor es selbst bedroht wird. Zudem unbemannte Wirkmittel steuern, Lagebilder von Kommanden aufrufen und dazu beisteuern – aber auch die medizinischen Daten der Piloten überwachen und Vieles mehr.

Der zuvor angesprochene revolutionäre Sensor bietet eine breite Palette von Fähigkeiten, die über das herkömmliche Radar hinausgehen. Die volldigitale Technologie bietet dem Bediener eine außergewöhnlich klare Sicht auf Schlachtfeld sowie Luftraum und potenzielle Ziele, aber auch eigene Kräfte. Leonardo hat angeblich bereits komplette Subsysteme mit der neuen Technologie gebaut und diese am Standort des Unternehmens in Edinburgh erfolgreich getestet, um sie in den kommenden Jahren in Demonstrationen in der Luft einzuführen. Hier wird immer wieder die Rolle des Eurofighter Typhoon betont, welcher dadurch bis rund 2040 beträchtliche Aufwertungen erfahren dürfte.

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Militär Aktuell-Autor Georg Mader im leeren Tempest-Cockpit.

Unabhängig davon haben die Ingenieure von BAE Systems damit begonnen, modernste Konzepte und Technologien für Tempests „tragbares Cockpit” zu testen, um Piloten – oder Bedienern am Boden – den einen oder anderen Sekundenbruchteil-Vorteil zu verschaffen. Wie Militär Aktuell schon in Fairford im leeren Cockpit sitzend (siehe Bild) erklärt wurde, sieht das Konzept vor, dass die physischen Steuerelemente und -anzeigen durch Augmented- und Virtual Reality-Displays ersetzt werden, die direkt in das Visier des Helms projiziert werden und per im Helm sicht- und führbarer Hand sofort für jede Mission konfiguriert werden können. Es werden darüber hinaus auch KI-Konzepte entwickelt, rund um Teamarbeit von Autonomie mit Menschen, bei denen ein „virtueller Copilot” einige der Aufgaben des Piloten übernehmen könnte. Dieses Konzept befände sich noch in der Entwicklung, könnte jedoch beispielsweise die Form eines im Cockpit vorhandenen Avatars annehmen, um mit dem Piloten zu interagieren und ihn zu unterstützen oder zu entlasten. Schlechte Zeiten für Zweisitzer also.

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Virtuelles Cockpit: Informationen und Steuerelemente sollen direkt in das Visier des Helms projiziert werden.

BAE-Systems hat auch bereits sogenannte psycho-physiologische Technologien einschließlich des Eye-Tracking getestet, um die physischen und kognitiven Prozesse von Bedienern zu untersuchen und die zunehmende Anstrengung, den Stress, die Arbeitsbelastung und die Müdigkeit besser zu verstehen. Die Testpiloten von BAE-Systems testen diese psycho-physiologischen Technologien bereits unter kontrollierten Testflugbedingungen in einem Eurofighter Typhoon in Warton. Die Ergebnisse jener Studien werden die weitere Entwicklung beeinflussen, um das kognitive Verhalten und die Prozesse eines Piloten in Bezug auf Gehirnaktivität, psychologische Rhythmen und Augenbewegungen besser zu verstehen und die weitere Entwicklung davon abgeleiteter Fähigkeiten voranzutreiben.

Das Raketenhaus MBDA UK hat auch bereits einen seiner Human Factors-Ingenieure in dieses „tragbare Cockpit”-Team eingebettet, um eine frühzeitige Einführung von Waffenkonzepten zu gewährleisten, die diese zukünftigen Technologien nutzen. Dieser enge partnerschaftliche Ansatz zwischen MBDA UK und BAE Systems ermöglicht es beiden, in einem bereits frühen Programmstadium bei der Zusammenarbeit zu helfen und zu bestimmen, wie die Interaktion zu und der Betrieb von integrierten künftigen Waffensystemen optimiert werden. Auch hier wird KI prominent erwähnt.

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Zukunftsmusik: Die Tempest-Einführung wird frühestens Mitte der 2030er-Jahre erfolgen.

Wie unschwer zu erraten, sind die Ingenieure von Rolls-Royce für den Antrieb der – aus heutiger Sicht – wohl nicht zu kleinen Plattform zuständig. Dafür müssen fortschrittliche Verbrennungssystem-Technologien entwickelt werden, die deutlich höheren Temperaturen als bisher standhalten können. Jene erhöhen zwar den Wirkungsgrad des Triebwerks punkto (Supercruise)Schubleistung und Verbrauch – sie sollen aber auch weniger Schadstoffe produzieren. Rolls-Royce hat im Rahmen dieser Arbeit fortschrittliche Verbundwerkstoffe und additive Fertigungslösungen untersucht und bereits leichtere aber leistungsstärkere und widerstandsfähige Komponenten hergestellt, die bei diesen erwarteten höheren Temperaturen arbeiten können. Für Tempest angedachte Laserwaffen – ob zum Angriff oder zur Abwehr von anfliegenden Flugkörpern – bedingen zudem bislang gewichtsmäßig noch nicht realisierte aber sicher nötige starke Generatoren. Eine Überlegung ist auch, dass abgeleitete Hitze (Kühlung) wieder zu Energie werden soll (sehr simpel wie bei Bremsenergie in Hybridfahrzeugen). Erwartbar wird jedes neue undbauartbedingt schwer ortbare Design graduell mit interner Hitze und deren Ableitung „kämpfen”, wie bei der gerade erst einkommenden Vorgängergeneration (F-35, J-20, Su-57) verbieten sich wegen Stealth jegliche Kühlhutzen- oder Klappenlösungen. Deswegen finden sich zum Beispiel im F-35 Treibstoffleitungen an Stellen wo sonst keine wären.

Weitere britische Unternehmen im Team Tempest sind übrigens Bombardier Belfast, Collins Aerospace UK, GE Aviation UK, GKN Aerospace, Martin-Baker, QinetiQ und Thales UK.

Hier geht es zu weiteren Meldungen von BAE Systems und hier zu weiteren Meldungen rund um Leonardo.

Quelle@Georg Mader, RR, Archiv, BAE Systems