Der jüngst wieder aufgeflammte Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien wird zu einem großen Teil mit Drohnen ausgetragen – verifizierbare Zahlen und Fakten über Erfolge und Verluste sind allerdings kaum zu bekommen. Ähnlich sieht es am digitalen Kriegsschauplatz aus, der mit vielen Falschinformationen und jeder Menge Propaganda vor allem in den sozialen Medien heftigt tobt.

Das Cyber Policy Center (ICPC) des Australian Strategic Policy Institute hat am 7. Oktober eine Analyse der Twitter-Aktivitäten rund um die Ende September zwischen Aserbaidschan und Armenien ausgebrochenen Kämpfe (es sind die heftigsten seit dem Jahr 1994) herausgegebenen. Dabei geht es um den auf Tastaturen geführten Kampf um die Deutungshoheit und die internationale Glaubwürdigkeit. Ziel des Forschungsstücks ist es, einen Teil der frühen Dynamik des Informationskampfes („Information Warfare”) zu beobachten und zu dokumentieren, der sich parallel zum lokalen Konflikt vor Ort abspielt. Zudem soll eine Grundlage für weitere, umfassendere Forschung zu IW geschaffen wurde.

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Im  vorliegenden Bericht wird eine große Anzahl von Twitter-Konten erwähnt, die beide Seiten dabei unterstützen, sich auf politisierte Hashtags im Zusammenhang mit dem Konflikt einzulassen. Die Ergebnisse weisen auf koordinierte Aktivitäten in großem Maßstab hin. Während ein Großteil davon wahrscheinlich authentisch ist, hat die Analyse auch eine erhebliche Menge an verdächtigem und möglicherweise nicht authentischem Verhalten festgestellt, „Fake News” also. Viele Aktivitäten finden im Rahmen langjähriger Informationskampagnen auf beiden Seiten und mit teils bereits lange bekannten Protagonisten statt. Neben Akteuren direkt aus den beiden Kriegsparteien scheinen sich aber auch Akteure zu engagieren, die weit außerhalb des geografischen Rahmens des Konflikts liegen. In Anlehnung an die Unterstützung der Türkei und Pakistans für Aserbaidschan haben türkische und pakistanische Konten, von denen einige wahrscheinlich unecht sind, auch online an englischsprachigen Gefechten teilgenommen. Auf der anderen Seite haben indische Konten Hashtags wie #IndiaStandsWithArmenia zurückgedrängt. Weitere interessante Aktivitäten umfassen die Involvierung von Twitter-Konten von US-Prominenten, darunter von Kim Kardashian und ihrem Partner Kanye West, offenbar um ihre Unterstützung für Armenien zu gewinnen sowie die Ausrichtung auf internationale Medien wie die BBC.

@globalfirepower.comEines scheint laut ICPC unbestritten: Ein Teil dieser „Schattenschlacht” ist zweifellos authentisch. Viele Menschen auf der ganzen Welt haben eine starke Meinung zu den Geschehnissen vor Ort, eine persönliche Beziehung zu diesen Gebieten und zu diesem Konflikt und beteiligen sich online laufend an der Debatte. Die Unterscheidung von echten Personen und nicht authentischen, sogenannten „Bot-Konten”, ist allerdings eine nicht zu unterschätzende Herausforderung. Aufkommende oder aufflammende Krisen und Konflikte können dazu führen, dass sich echte Benutzer – die wegen ihres echten Namens oder wegen Angehöriger im Kriegsgebiet – auf ungewöhnliche Weise oder anders als sonst verhalten, was die Unterscheidung nun noch komplizierter macht. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass auf beiden Seiten des Konflikts ein gewisses Maß an unechter, sprich gefälschter Aktivität besteht, auch in den offiziellen Kanälen der beiden Regierungen – letzteres sicherlich auch mit Absicht (so werden etwa Fotos aus anderen Ländern gepostet oder Bilder von Waffensystemen, die vor Ort gar nicht im Einsatz sind).

@Georg Mader
Militär Aktuell-Autor Georg Mader im Gespräch mit Hikmat Hajiyev, dem Chefberater des aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew.

Die ICPC-Forscher versuchten aber keine umfassende Analyse (die mehr Zeit und mehr Ressourcen erfordert hätte) und versuchten auch nicht, Inhalte auf Fakten zu überprüfen – also ob tatsächlich ein S-300-Luftverteidigungssystem von einer BR-2-Drohne getroffen wurde. Man muss hier insbesondere schnell sein und versuchen, Daten zu erfassen, bevor die Beweise aufgrund der Moderation von Twitter-Inhalten für Medienforensiker verloren gehen. Zudem konzentriert sich der Bericht hauptsächlich auf Aktivitäten in englischer Sprache. Ähnliche Aktivitäten finden aber tatsächlich auch in einer Vielzahl anderer – vornehmlich regional gesprochenen – Sprachen statt. Angemerkt wird zudem, dass der Bericht in keiner Weise die Legitimität authentischer Social-Media-Gespräche und -Debatten untergraben soll, wie sie hundertfach und verständlich auf allen Konfliktseiten stattfinden.

@Archiv
Auf diesem Satellitenbild sind türkische F-16 am Ganja International Airport in Aserbaidschan zu sehen – aber haben die Maschinen auch in die Kämpfe eingegriffen?

Ein Beispiel, worüber gerade erneut heftig diskutiert und gestritten wird, ist die Tatsache dass in Aserbaidschan – trotz Dementi nach dem Abschuss einer armenischen Su-25 (mit slowakischen Wartungshinweisen darauf) – nun auf Satellitenfotos vom 3. Oktober doch türkische F-16 dokumentiert wurden. Heißt das aber nun, dass diese auch am Kampf teilnahmen oder nehmen?

Videos wie das oben eingefügte werden momentan von beiden Konfliktparteien veröffentlicht, ihre Echtheit ist aber nur in den seltensten Fällen verifizierbar. Eine Sammlung derartiger Videos ist hier zu finden.

Quelle@Archiv, globalfirepower.com, Georg Mader