Künstliche Intelligenz (KI) hält allmählich Einzug in all unsere Lebensbereiche. Dies bringt ungeahnte Herausforderungen und Chancen mit sich. Streitkräfte bleiben davon nicht unberührt. Eine Analyse von IFK-Experte Oberst Anton Dengg.

Investitionen in die KI-Forschung steigen stetig. Dennoch existiert immer noch keine einheitliche Definition von Künstlicher Intelligenz (englischer Begriff: Artificial Intelligence – AI). Die Idee ist, Maschinen zu entwerfen, die dem menschlichen Denken ebenbürtig oder sogar überlegen sind, um so den Menschen zu unterstützen. In der wissenschaftlichen Welt versteht man unter KI – einem Teilgebiet der Informatik –, dass aus einer Vielzahl vernetzter Datenmengen Muster erkannt werden. Dadurch sollen Zusammenhänge und neue selbstständige, intelligente Lösungen für Abläufe geschaffen werden – Schlagwort selbstlernende Systeme. Der Mensch ist mittlerweile nicht mehr in der Lage, die Fülle an komplexen Datensätzen in einer adäquaten Zeit zu verarbeiten. Computer mit hoher Rechenleistung aber können das und immer bessere und fortschrittlichere Computer erledigen in Kürze, wofür heutige PCs Wochen, Monate, Jahre oder gar Jahrzehnte brauchen. Sie schaffen damit auch die Voraussetzung für immer leistungsfähigere und komplexere KI und fortgeschrittene Robotertechnologie.

Der weltweite Kampf um die Vorherrschaft bei Technologie ist längst in vollem Gange. Aus gutem Grund, denn: Ein Forschungsvorsprung bedeutet einen Wettbewerbsvorteil, sowohl in wirtschaftlicher als auch in machtpolitischer Hinsicht. Große Staaten und die Europäische Union konkurrieren auf diesem Technologiefeld. Das Center for Data Innovation (CDI) führte dazu eine KI-Vergleichsstudie mit dem Titel „Who is Winning the AI Race“ durch. In der Analyse werden unterschiedliche Kategorien von Forschungsanstrengungen der USA, Chinas und der EU hinsichtlich Stärken und Schwächen im Bereich der KI verglichen. Führend sind laut Studie die USA, gefolgt von China.

Das Ergebnis kommt nicht überraschend, beweist das Reich der Mitte seinen Vorsprung in diesem Bereich doch immer wieder. So wird im Land beispielsweise seit Längerem mit Hilfe von KI-Gesichtserkennnung das Aufspüren von Drogenmissbrauchstätern im großen Maßstab getestet, 118 Millionen Menschen beteiligen sich daran. In Zukunft soll KI auch dabei helfen, gesundheitliche Anomalien festzustellen und damit Forschern im Fall von Epidemien wie aktuell beim Coronavirus frühzeitig Möglichkeiten zum Gegensteuern geben. Mit KI sind neben vielen Vorteilen aber auch einige Gefahren verbunden – die wohl größte sind laut Meinung vieler Experten Fake News, also bewusst falsche oder verfälschte Informationen. KI könnte zur Meinungssteuerung eingesetzt werden, so die Befürchtung. Die Anzahl von mit KI gefälschten Webseiten zum Zwecke von Desinformation steigt schon jetzt besorgniserregend. Propaganda wird damit zur Waffe.

Apropos Waffen: Die Drohnenentwicklung der vergangenen Jahre zeigt, dass die KI-Forschung und -Entwicklung längst auch bei Sicherheitskräften und in der Rüstungsindustrie ihren Einzug gehalten hat und die Bedeutung weiter zunimmt. In den USA wird zur Überwachung der Grenze zu Mexiko aktuell eine sogenannte „smart wall“ getestet. Dabei handelt es sich um Grenzüberwachung mittels in Kriegsgebieten weiterentwickelten Drohnen vermengt mit Gesichtserkennung. Ziel ist eine wesentlich kostengünstigere, raschere und effizientere Grenzüberwachung als durch den Bau einer realen Mauer. Forscher arbeiten aber auch daran, Drohnen in Schwärmen zum Einsatz zu bringen und damit deren Einsatzmöglichkeiten zu multiplizieren. Dabei spielen zahlreiche bis zu handtellergroße Kleinstdrohnen – entlassen aus einem Behältnis (egal ob unterwasser-, boden- oder luftgestützt) – zusammen, stimmen ihre Zielwahl untereinander selbstständig ab und verfolgen diese dann auch.

@U.S. Army Photo
Digitalisierung des Krieges: In einem Strategiepapier präsentierte und visualisierte die US-Armee kürzlich ihre Vision für künstliche Intelligenz in der Kriegsführung.

Die Beispiele zeigen: KI ist drauf und dran, Streitkräfte und das Gefechtsfeld zu transformieren. Daraus ergeben sich direkte oder indirekte militärische Implikationen. Anwendungsgebiete von KI liegen bei Militärs vor allem in der Führungs-, Mobilitäts-, Wirkungs- und der Durchhaltefähigkeit. Bilderkennung mithilfe von KI und deren automatische Umsetzung unterstützt beispielsweise entscheidend die Führung im Gefecht. Eine wesentliche Kostenersparnis bringt KI bei intelligentem Nachschubwesen, wenn Material und Ausrüstung völlig autonom zum Einsatzort gebracht werden. Die Waffenwirkung wird mittels KI durch die selbstständige Zielwahl und die dazugehörige Präzision erhöht und des Weiteren haben intelligente Systeme gegenüber Militärpersonen den Vorteil, dass sie jederzeit und rund um die Uhr einzusetzen sind. Einschränkungen wie beispielsweise Müdigkeit spielen keine Rolle mehr.

Der als Transhumanismus – eine Verschmelzung von Mensch und Maschine – bekannte Forschungszweig erzeugt weitere, über die schon geschilderten Beipiele hinausgehende, spektakuläre Visionen. Elon Musk, Gründer von Tesla, Space X und Neuralink schwärmte in einer Präsentation an einer US-Akademie sogar von ins Gehirn implantierten elektronischen Chips. Musk sieht in Zukunft wesentliche Vorteile in einer Verbindung von Mensch und Computer, wenngleich er darin auch Gefahren erkennt. Würde dies Realität, hätte es enorme Auswirkungen auf Streitkräfte und Konfliktbilder. Aber auch so wird KI in der Streitkräfte­entwicklung große Veränderungen herbeiführen. Kein Staat kann es sich in Zukunft mehr erlauben, seine Verteidigungsmaßnahmen ohne KI-Systeme zu planen und entsprechende Ausrüstung zu beschaffen. Dabei stellt sich die Frage: Selbst entwickeln oder zukaufen? Ersteres ist kosten- und ressourcenintensiv, Letzteres birgt stets die Gefahr potenzieller „Hintertüren“, die für Attacken oder Spionagezwecke (Schlagwort Rubikon-Affäre) genützt werden können. Dazu kommt: Das Problem bei selbstlernenden KI-Systemen ist, dass Lösungsschritte aufgrund ihrer Komplexität kaum mehr nachvollziehbar sind. Dies erschwert zunehmend eine Überprüfung auf eingespeiste und unerwünschte „Fremdfunktionen und -Aktivitäten“. Bei alledem gilt es stets zu verhindern, dass nichtstaatliche Akteure mit negativen Motiven wie beispielsweise Terroristen KI-Systeme in die Hände bekommen. Aufgrund bedenklicher menschenrechtlicher Entwicklungen, die KI mit sich bringen kann – Beispiel Transhumanismus oder Waffensysteme, die ihr Ziel selbständig suchen und bekämpfen – müssen zudem gesellschaftspolitische Diskussionen geführt werden. Darüber hinaus gilt es, international verbindliche rechtliche Regelungen zu schaffen und dabei auch die ethische Komponente mit zu berücksichtigen.

Betrachten Sie dazu auch den Kommentar von IFK-Leiter Brigadier Walter Feichtinger: „Künstliche Intelligenz stärkt die USA und China.”

Quelle@U.S. Army Photo