Die russische Waffenindustrie hat mit den internationalen Sanktionen hart zu kämpfen. Panzer können nicht mehr gebaut, Flugzeuge nur mit veralteter Technik in die Luft gebracht werden.

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Klein, aber oho: Die Qualität russischer Rüstungstechnologie definiert sich zu einem Gutteil auch über moderne Halbleiter aus dem Westen.

Als Reaktion auf seine militärische Aggression in der Ukraine hat die internationale Staatengemeinschaft Russland mit Exportverboten und weitreichenden Sank­tionen belegt. Diese reichen von Beschränkungen des Finanzmarkts bis hin zu einem Lieferstopp von Computertechnik, Sensoren und Telekommunikationsausrüstung sowie von Halbleitern und Mikrochips. Die Auswirkungen sind in der gesamten Industrie zu spüren – im Maschinenbau, in der Fahrzeugindustrie und in der Energiewirtschaft. Massiv betroffen ist aber auch der Sicherheits- und Rüstungsbereich, in dem ohne die dringend benötigten Bauteile vielfach die komplette Produktion angehalten werden musste. So kam in den vergangenen Monaten beispielsweise die Panzerfertigung zum Erliegen, selbst die Herstellung von Ersatzteilen für die in der Ukraine beschädigten T-72B3, T-80U und T-90-Panzer läuft nur noch eingeschränkt.

Wie abhängig die russische Rüstungsindustrie von westlichen Gütern ist, veranschaulicht ein Blick ins Innere der ISR-Drohne Orlan-10. Die Ukrainer fanden in abgestürzten und abgeschossenen Exemplaren verbaute Canon-Kameras vom Typ 750-SLR und ein auf dem Microchip ADSP-BF534 der US-Firma Analog Devices aufgebautes GPS-Modul. Die Flugsteuerung wurde auf der Basis des STM32F103 LQFP des französisch-italienischen Mikroelektronik-Herstellers ST-Microelectronics entwickelt und der mit einem Logo des russischen Vertriebshändlers ImoTech überklebte Datenempfänger stammt von der deutschen Firma AnyLink (DP1205-C915). Für den Drucksensor wurden zudem MPXA4115A und MPXV5004DP der US-Firma Freescale Semiconductor (gehört zur holländischen NXP Semiconductors N.V.) verwendet, im Kompass-IC werkt der HMC6352 des US-Konzerns Нoneywell und im Anlass­generator ein PTN78020 von Texas Instruments. Ganz ähnlich die Situation bei der ballistischen Boden-Boden-Rakete SRBM Iskander und dem Marschflugkörper Kalibr, deren Leit-Elektronik zu 60 bis 70 Prozent aus ausländischen Komponenten besteht.

Besonders problematisch aus russischer Sicht: Viele der genannten Bauteile lassen sich vor dem Hintergrund der US-Sanktionen nicht einfach auf anderen Märkten ersatzbeschaffen. Auch außerhalb der USA gefertigte Produkte unterliegen nämlich der US-Ausfuhrbestimmung EAR, sofern sie mit US-Technologie oder mit US-Software hergestellt werden. Zudem dürfen russische Firmen, die auf der Liste des Bureau of Industry and Security stehen, überhaupt nicht mehr beliefert werden – auch nicht mit anderen Bauteilen. Mit Baikal Electronics, MZST (Chipmodell Elbrus) und MTZ Elvis sind dort auch die wichtiges russischen Mikroelektronik-Hersteller gelistet.

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Orlan-10-Drohne: In dem System ist jede Menge westliche Technologie verbaut – Ersatz dafür dürfte die russische Industrie nur schwer bereitstellen können.

Der schwierigen Situation ist man sich in der russischen Führung natürlich bewusst, die gesetzten Maßnahmen zur Importsubstitution werden die Einschränkungen aber kaum ausgleichen können – schon gar nicht kurzfristig. Selbst der Plan, in den kommenden Jahren mit mehr als 35 Milliarden Euro eine eigene Chipindustrie aufzubauen, lässt laut der Einschätzung internationaler Experten keine konkurrenzfähigen Chips erwarten. Ohne die Unterstützung von Weltmarktführern wie TSMC (Taiwan), Samsung (Südkorea) und Intel (USA) könnten die russischen Chipentwickler in absehbarer Zeit bestenfalls Chips der – schwer veralteten – 90-Nanometer-Kategorie (90 nm) herstellen. Bis 2030 könne die Zahl der integrierten Schaltkreise auf einem „Wafer” zwar sicherlich erhöht werden, mehr als Produkte der ebenfalls bereits angejahrten 28-nm-Kategorie dürften trotzdem nicht drin sein. Zum Vergleich: Intel fertigte bereits 2003 mit 90 nm und produziert seine Core-i-Prozessoren der zwölften Generation mittlerweile im 10-nm-Bereich. TSMC will sogar bereits im 4-nm-Bereich angelangt sein und vermeldete im Vorjahr zudem einen „signifikanten Durchbruch bei der Entwicklung des 1-nm-Prozessknotens”. Die bekannten russischen Elbrus- und Baikal-Prozessoren (28 nm und 16 nm) hat bislang übrigens TSMC gefertigt, der Konzern hat sich mittlerweile aber vom russischen Markt zurückgezogen.

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Russischer Elbrus 8C Chip.

Ein Problem für die Zukunft der russische Halbleiterfertigung ist auch, dass dafür hochqualifizierte Mitarbeiter notwendig sind, die aktuell aber zu Zehntausenden das Land verlassen. Dem Leiter des zuständigen Branchenverbands Sergej Plugotarenko zufolge haben allein im März bis zu 70.000 russische IT- und Technologiefachkräfte ihrer Heimat den Rücken gekehrt und seitdem dürfte die Auswanderung sogar noch zugenommen haben. Und ein Aus des „Braindrain” in Richtung Georgien, Kasachstan, Armenien und Indien, in die USA und nach Europa ist auch für die nächsten Monate und Jahre eher nicht zu erwarten. Moskau versucht auch dieser Entwicklung (vorerst mit wenig Erfolg) entgegenzusteuern. So wurden alle Beschäftigten in der Informationstechnologie mit sofortiger Wirkung und bis 2024 von der Einkommensteuer befreit. Außerdem wurde ein Ausfuhrverbot über rund 200 Produktkategorien verhängt, was die Abwanderung ausländischer Firmen und Technologie stoppen soll. Mit der Maßnahme will Russland zudem seine Versorgung mit Monitoren, Mikroprozessoren, Schaltungen, Dio­den, Transistoren sowie mit Glasfaserleitungen, Lasergeräten und weiteren Warengruppen aufrechterhalten.

Moderne Waffenstation für den Pandur Evolution

Zurzeit beträgt die kleinste russische Fertigungsknotengröße 65 nm. Die nur in geringen Stückzahlen verfügbaren Kleinstteile werden (natürlich) vor allem für die besonders relevanten Bereiche reserviert, etwa für die Produktion des 5.-Generation-Kampfjets Su-57 (NATO: Felon). Damit hinkt Moskau der internationalen Konkurrenz aber in Bezug auf die Fertigungstechnologie trotzdem 20 Jahre hinterher. Zum Vergleich: Beim AN/APG-81-AESA-Radar des F-35 ging es darum, Komponenten von der Stange schnell zu integrieren, weshalb man 90-nm-Technologie verwendete, die damals der neueste Stand war. Das war aber 2004! Heute gelten aus Sicherheitsgründen selbst 65-nm-Chips als nicht mehr für den Luft- und Raumfahrteinsatz geeignet. Je kleiner die Nanometer-Kategorie, umso besser können die Chips nämlich auch mit höheren Temperaturbereichen umgehen und umso zuverlässiger sind sie. Um das noch deutlicher auf den Kampfflugzeugsektor und Avionik-Systeme umzulegen: Der Su-35 ist der erste einsatzbereite russische Jet, der über einen Datenbus auf MIL-STD-1553-Ebene und einen Datenfunktyp à la Link 16 verfügt. F-15 und F-16 erreichten dieses Niveau aber bereits vor fast 30 Jahren.

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Abgeschossener Mil Mi-28-Kampfhubschrauber mit westlicher Technologie.

Können andere Länder den Chip­mangel lindern? Noch halten sich einige Konzerne (Lenovo aus China, Asus, Acer und MSI aus Taiwan) nicht an die Lieferverbote und es könnte möglicherweise auch aus Indien Hilfe kommen, wo Hersteller HAL russische Su-30(MKI)-Jets in Lizenz fertigt – allerdings mit Avionik aus Israel. Unterstützung aus Belarus könnte von BKO kommen, das den durchaus fortschrittlichen Selbstschutz-Störbehälter Amulet (im Export Talisman-NT) fertigt. Und China? Zwar gibt es im Land dank massiver Förderungen durch die KP-Regierung viele neue Halbleiter­firmen, die „techno-hungrige” Volksrepublik kann damit aber noch nicht einmal den eigenen Bedarf decken. Zudem können es die chinesischen Unternehmen technologisch noch nicht mit TSMC und Co aufnehmen. Sie sind nach wie vor auf westliche Zulieferer angewiesen – und damit kommen wieder die USA ins Spiel: Um den Export von Mikroprozessoren nach Russland zu verhindern, drohte Washington chinesischen Firmen bereits damit, sie im Fall der Fälle von amerikanischer Software und Ausrüstung abzuschneiden. Aber auch so scheint es mit der erst Anfang Februar neuerlich beschriebenen „grenzenlosen Freundschaft” der beiden Staaten nicht allzu weit her zu sein. Unmittelbar nach Kriegsbeginn im fernen Osteuropa und Bekanntwerden des „Tech-Embargos” des Westens stellten die chinesischen Hersteller ihren russischen Kunden auf viele Produkte Preisaufschläge von bis zu 50 Prozent in Rechnung.

Weiterführende Informationen zu den sanktionsbedingten Problemen der russischen Sicherheits- und Rüstungsindustrie können auch hier, hier und hier nachgelesen werden.

Quelle@Jason Jarrach by Unsplash, digiTech