Der jahrelange Atomstreit mit dem Iran scheint diplomatisch endlich gelöst. Militärisch verspricht die Einigung für die kommenden Jahre aber trotzdem gehöriges Konfliktpotenzial. Eine Analyse von Georg Mader.

Am 14. Juli wurde nach eineinhalb Jahren Verhandlung eine Übereinkunft um das Nuklearprogramm des Iran erzielt. Die Mehrheit der Staatengemeinschaft feierte diese als Sieg der Diplomatie über militärische Gewalt, (noch) einen Krieg bräuchte die Region, in der die Islamische Republik mit Saudi-Arabien um regionale Dominanz ringt, nicht. Und daher knüpfen sich auch große Hoffnungen daran, dass der Plan mit seinen Fristen und deren komplexen Verifikationen durch die Atomenergie-Behörde IAEA hält. Auch in Teheran – schließlich geht es für Irans Sicherheitskräfte, abseits nuklearer Details, auch um eine Art „materieller Wiedergeburt”.

Während der 18 Monate dauernden Verhandlungen wurde in vielen Bereichen (etwa bei der Step-by-step-Freigabe eingefrorener iranischer Gelder) Übereinkunft erzielt, Irans beträchtliches Arsenal ballistischer Raketen war allerdings nie Teil der Gespräche. Diese seien „militärische Ausrüstung” und „Verteidigungsmittel” und stünden „nicht zur Debatte”, so der iranische Außenminister Jawad Dscharif. Tage vor dem Durchbruch im Juli brachte dann Irans Vize-Außenminister Abbas Araqchi auch die Aufhebung des UN-Waffenembargos als ­Bedingung ins Spiel, explizit auch jenes gegen Beschaffungen der iranischen ­Raketenrüstung. Jene Embargos ­seien „im Kontext der Verdächtigungen wegen des rein zivilen Atomprogramms verhängt worden und müssten daher nun fallen”, so Araqchi. Das Erstaunliche: Sie fielen wirklich. ­­Die USA und Europa gingen tatsächlich darauf ein, wenn auch mit dem Einbau von – angesichts der Dauer heutiger ­Beschaffungsprozesse eher kurzen – Übergangsfristen von fünf Jahren für konventionelle Großwaffensysteme wie Kampfflugzeuge und acht Jahren für die ballistische Raketenrüstung.

Schon am 20. Juli wurde in New York jene neue UN-Sicherheitsratsresolution 2231 einstimmig beschlossen, so viel war die Konfliktvermeidung dem Westen wert. Russland und – etwas verhaltener –­ China hatten das schon länger gefordert. Präsident Wladimir Putin hatte gleich nach der Genfer Interims-Vereinbarung die embargobedingt sistierte Lieferung von S-300PMU-2 Langstrecken-Luftabwehrraketen an Teheran für wiederbelebt erklärt. Tatsächlich dürfte die Auslieferung noch heuer starten. Möglich macht das ein Passus in der UN-Resolution 2231, der einzelne Lieferungen zur expliziten Verteidigung per Sondergenehmigung auch innerhalb der Sperrfrist ermöglicht.

Weitere Beschaffungen dürften folgen. Schon jetzt rennen russische und chinesische Rüstungsfirmen und Regierungsbeamte ­Teheran die Tür ein, der sich auftuende, bis zu 150 Milliarden US-Dollar schwere iranische Markt soll bestmöglich abgesaugt werden. Schwer dürften sich die internationalen Firmen bei den Rüstungsgesprächen nicht tun, der Bedarf bei den iranischen Streitkräften und den Revolutionsgarden ist groß. Am Luftsektor wird in Fachkreisen etwa die geplante Beschaffung 100 russischer Su-30SM-Jets diskutiert, auch chinesische J-10B dürften Thema sein. Laut der iranischen Nachrichtenagentur FARS soll mit Russland außerdem ein Abkommen zur gemeinsamen Produktion von Helikoptern geschlossen worden sein. Auch wolle man die Gründung russisch-iranischer Ingenieurszentren und Industrieparks in beiden Ländern anstoßen. Zudem werden in einigen Jahren wohl auch größere Investitionen in Teherans Raketenprogramm fließen. Schon jetzt dienen weltweit Dutzende Tarnfirmen der Beschaffung dafür benötigter Materialien wie Kurskreisel und Metalle wie Wolfram.

Ob vor den anstehenden Investitionen auch an längeren Reichweiten geforscht wird, ist allerdings fraglich. Die im Internet kursierenden, gar England inkludierenden Reichweitenkreise möglicher Shahab 4- oder Shahab 5-Raketen sind eher Fiktion, über neue Tests dazu ist seit der Explosion von 2011 in Alghadir (bei der Raketen-Mastermind und Revolutionsgarden-General Hassan Moghaddam ums Leben kam) nichts bekannt. Damals wurde der israelische Geheimdienst Mossad als Drahtzieher verdächtigt, wenig verwunderlich zählt Israel zu den schärfsten Kritikern des kürzlich geschlossenen Abkommens. Premierminister Benjamin Netanjahu sprach von einem „historischen Fehler” und befürchtet eine Aufrüstung der von Teheran alimentierten Terrororganisation Hisbollah. Die 150 Milliarden US-Dollar werden aber wohl auch der iranischen Wirtschaft zugutekommen, Nutznießer dürfte speziell der Energiesektor sein.

Quelle@Getty Images