Trotz intensiver Luftschläge der internationalen Allianz gelang es dem Islamischen Staat (IS), seine Gebietskontrolle auszuweiten und zahlreiche neue Ableger in verschiedenen Staaten zu gründen. Das Vorgehen gegen die Terrororganisation erfordert daher neue Wege.

Vor einem Jahr begannen die USA gemeinsam mit internationalen Partnern mit Luftangriffen auf Truppen und Einrichtungen des Islamischen Staates (IS). Trotz anhaltender Bemühungen sind die Erfolge bislang überschaubar, die jüngsten Gebietsgewinne des IS im Westirak verdeutlichen vielmehr die nur begrenzte Wirksamkeit der internationalen Bemühungen. Zur erfolgreicheren Bekämpfung ist wohl ein umfassenderer Ansatz notwendig, um den bestehenden extremistischen Tendenzen gezielt entgegenzuwirken. Hierbei gilt es: 1. die staatlichen Strukturen des IS zum Zerfall zu bringen 2. den IS als Terrororganisation militärisch zu zerschlagen und 3. die Ideologie des IS zu dekonstruieren.

1. Bekämpfung des IS als „Staat”
Das Motto des IS „maintain and expand“ verdeutlicht, dass die Erhaltung des Kalifates im Mittelpunkt seiner Anstrengungen steht. Sein größter Schwachpunkt liegt dabei in der langfristigen Finanzierung und Bereitstellung von sozialen und wirtschaftlichen Dienstleistungen. Der IS benötigt nachhaltige Ressourcen, um den Zusammenbruch seiner staatsähnlichen Strukturen zu verhindern, und genau da könnte die Internationale Koalition ansetzen. Gemeinsam mit den zentralen Akteuren Türkei, Irak und der kurdischen Regionalregierung sollten verstärkt Maßnahmen gesetzt werden, um Versorgungsnetzwerke zu unterbrechen. Diese bilden die Grundlage der militärischen Potenz des IS sowie der Besoldung seiner Kämpfer. Die Ausweitung gezielter Luftschläge würde es dem IS außerdem erschweren, die Kontrolle über lukrative Ölfelder zu übernehmen.

2. Bekämpfung des IS als Terrororganisation
Auch wenn die vermeintlich staatlichen Strukturen des IS zerschlagen werden, könnte der IS seine Strategien anpassen und ähnlich einer traditionellen Terrororganisation weiterbestehen. Durch die „Irak-First-Strategie“ von US-Präsident Barack Obama sind die militärischen Bemühungen derzeit im Irak ausgeprägter als in Syrien, zumal die irakischen Sicherheitskräfte (ISF), schiitische Milizen und kurdische Peschmerga als Verbündete die Wirkung der Luftschläge auf dem Boden nützen können. Die größte Schwäche der Gegenoffensive ist eine fehlende konfessionsübergreifende Armee, die im sunnitischen Kernland positiv wahrgenommen wird. Die Aufstellung einer schlagkräftigen irakischen Armee erfordert allerdings Zeit. Aufgrund schleppender Mobilisierung gelang es bisher nur 7.000 der insgesamt geplanten 24.000 Soldaten auszubilden. Zudem schürt die wachsende schiitisch-iranische Präsenz die Ängste vor einer weiteren Diskriminierung der sunnitischen Bevölkerung. Aus diesem Grund ist ein umfassender politisch-militärischer Plan notwendig, der die Übertragung von Kompetenzen und Ressourcen auf Provinzebene sowie die Errichtung einer Nationalgarde, um sunnitische Stammesmilizen in den irakischen Sicherheitsapparat zu integrieren, vorsieht. Angesichts des starken Einflusses des Iran für die nachhaltige Entwicklung eines multikonfessionellen Irak ist die internationale Staatengemeinschaft angehalten, Teheran zu überzeugen, dass eine ausbleibende Beteiligung der sunnitischen Bevölkerung die Zersplitterung des Landes vertieft.

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Peschmerga-Einheiten leisten dem Islamischen Staat Widerstand, sind in ihrem Kampf aber auf Unterstützung von außen angewiesen.

Der syrische Konflikt ist im Grunde ein politischer, jede Initiative, die über eine politische Lösung hinwegsieht, ist somit zum Scheitern verurteilt. Es ist daher ein Fehler, sich lediglich auf die Bekämpfung des IS zu fokussieren. Viel- mehr ist es notwendig eine Alternative zum Assad-Regime zu unterstützen, da sich der IS bisher als „Schutzmacht” der Sunniten präsentierte. Das Ziel in Syrien, wie auch im Irak, sollte eine Regierung der nationalen Einheit sein, die künftig selbstständig Extremisten auf ihrem Boden bekämpfen kann. Der Westen, wie auch regionale Verbündete – einschließlich der Türkei, Saudi-Arabiens und Katars – würden dieser Strategie wahrscheinlich zustimmen. Die Ausweitung der Luftschläge in Syrien erfordert daher auch die Stärkung moderater Oppositionskräfte und gleichzeitig eine abgestimmte Unterstützungsstrategie mit verbündeten Staaten. Der Aufbau einer einheitlichen syrischen Kommandostruktur, die von ausländischen Staaten gezielt materiell und militärisch unterstützt wird und auch zur Rechenschaft gezogen werden kann, könnte eine neue Dynamik einleiten.

Zudem ist es notwendig, den in der Türkei angesiedelten, als „bürgerfremd” wahrgenommenen SNC (Syrian National Council) auf syrischem Boden zu stärken und Glaubwürdigkeit unter der Bevölkerung zu schaffen. Diese Maßnahme könnte einer möglichen Entwicklung, wonach Extremisten ein entstehendes Vakuum nach dem Sturz Assads füllen könnten, entgegenwirken. Die Errichtung von Schutzzonen würde es nicht nur dem SNC ermöglichen, erste administrative Erfahrungen auf syrischem Boden zu sammeln, sondern auch gemäßigte Rebellen effizient schützen. Eine weitere wichtige Maßnahme ist die Stützung destabilisierter Nachbarstaaten – vor allem Libanon, Jordanien und die Türkei. Diese Staaten haben rund vier Millionen Flüchtlinge aus der Region aufgenommen und benötigen internationale Unterstützung, um einen sogenannten „Spill-over” zu verhindern.

3. Bekämpfung der Ideologie des IS
Unabhängig vom langfristigen Erfolg der Anti-IS-Allianz und der Zerschlagung als Terrororganisation kann die Ideologie des IS militärisch nicht bekämpft werden. Indem IS-Stellungen bombardiert und gleichzeitig die anhaltenden Luftschläge des syrischen Regimes ignoriert werden, wird die jihadistisch-konspirative Weltanschauung sogar gestärkt: der Kampf „des Westens“ gegen den Islam. Wie keine andere Terrororganisation nützt der IS soziale Medien, um seine Propaganda zu verbreiten, zu radikalisieren, neue Anhänger zu rekrutieren und auch potenzielle Einzeltäter im Westen für Terroranschläge zu gewinnen. Eine besser koordinierte digitale Bekämpfungsstrategie ist erforderlich, die auch wichtige Partner in der Privatwirtschaft (wie Google, YouTube) und NGOs einbindet. Maßnahmen, die IS-Ideologie „on- und offline” zu diskreditieren und die IS-Propaganda zu entlarven, sollten auch die Verbreitung moderater Stimmen innerhalb des Islams sowie die Einbindung geläuterter Syrienkämpfer beinhalten. Bisher konzentrierte sich die Bekämpfung des IS weitgehend auf seine militärische Zerschlagung und vernachlässigte die Ursachen seiner Entstehung und Erfolges. Das Aufkommen des IS ist ein Symptom der Ausgrenzung der Sunniten und des daraus resultierenden Bürgerkriegs, keine alleinstehende Bedrohung!

Ohne den Wiederaufbau staatlicher Institutionen und ohne den Versuch die Regionalmächte zu einer politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lösung zu bewegen, würden nach der erfolgreichen Zerschlagung des IS wohl andere Terrorgruppen versuchen, das Projekt der Etablierung eines Kalifates wieder aufzunehmen und weiterzubetreiben.

Lesen Sie dazu auch die Analyse „Naher Osten: Die Karten werden neu gemischt” von IFK-Leiter Brigadier Walter Feichtinger.
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