Grund zum Jubeln hatte der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg bei der Präsentation des NATO-Jahresberichts 2020 vergangene Woche keinen. Denn 2020 stand ganz im Zeichen der Corona-Jahrhundertkrise. Die Pandemie stelle eine Gefahr nicht nur für die Gesellschaft und Wirtschaft der Verbündeten dar, sondern auch für deren Sicherheit, sagte Stoltenberg einleitend.

Etwas Positives konnte der NATO-Chef dem vergangenen Jahr dennoch abgewinnen: die Verteidigungsausgaben der Mitgliedstaaten beliefen sich auf rund 830 Milliarden Euro (1 Billion USD), was einem Plus von 2,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. 2020 war damit das sechste Jahr in Folge, dass die europäischen Alliierten und Kanada mehr für ihre Verteidigung ausgegeben haben. Elf der 30 Mitglieder erreichten gar das Zwei-Prozent-Ziel; das waren erneut Griechenland, Großbritannien, Polen, Rumänien, die USA und die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen. Zum ersten Mal die Zwei-Prozent-Vorgabe erfüllt haben diesmal auch Frankreich, Norwegen und die Slowakei. Spitzenreiter sind nach wie vor die USA. Mit rund 658 Milliarden Euro, also 3,7 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung, tragen sie zu mehr als zwei Drittel aller Ausgaben der NATO bei.

@MSC
NATO-Chef Jens Stoltenberg präsentierte kürzlich den aktuellen Jahresbericht des transatlantischen Militärbündnisses.

Einen weiteren Grund zur Zufriedenheit sieht Stoltenberg in der Tatsache, dass sich das Militärbündnis in Corona-Zeiten als ein effizienter Krisenhelfer bewährt hat. Im Vergleich zur Europäischen Kommission, die von der schnellen Ausbreitung des Virus überrollt und in einen Standby-Modus versetzt schien, wirkte die NATO wie eine gut geölte Maschine die auf Knopfdruck reibungslos funktioniert. Tatsächlich reagierten und agierten die Alliierten rasch. Unterstützt durch die Euroatlantische Koordinierungszentrale für Katastrophenhilfe (Euro-Atlantic Disaster Response Coordination Centre, EADRCC), ein 1998 von der NATO geschaffenes Instrument für Notfallhilfe, unterstützten die Soldaten der Alliierten die zivilen Behörden bei der Krisenbewältigung. So etwa beim Transport von Patienten, medizinischem Personal und Hilfsgütern, beim Aufbau von Feldspitäler und bei Grenzkontrollen. Solidarisch zeigten sie sich auch wenn es darum ging, sich gegenseitig und Nicht-Mitgliedstaaten – wie etwa dem Irak, Afghanistan und dem Kosovo – zu helfen. Die gegenseitige Unterstützung bei der Bekämpfung der Pandemie bleibt auch 2021 auf der Agenda der NATO. Im Juni vergangenen Jahres wurde dazu der „Pandemic Response Trust” beschlossen. Mit dem Geld daraus will die NATO etwa medizinische Ausrüstung kaufen. Verhandlungen zu den jeweiligen Beiträgen laufen noch.

Dass sich die NATO in der Jahrhundertkrise von ihrer einsatzfähigen und effizienten Seite zeigen kann, kommt ihr besonders jetzt zugute, wo sie noch kürzlich von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron für hirntot erklärt wurde und unverhohlenen Seitenhieben von Ex-US Präsident Donald Trump standhalten musste. Dass ihre Rolle als Retterin in der Not in der Bevölkerung gut ankommt, zeigt eine 2020 im Auftrag der NATO durchgeführte Umfrage. Demnach genießt die Allianz wieder höheres Vertrauen seitens der Bevölkerung; eine Mehrheit der Befragten sprach sich für den Verbleib ihres Landes in dem Bündnis aus und findet den NATO-Abschreckungseffekt wirksam.

So positiv Stoltenbergs Bilanz für 2020 auch sein mag, ein Aufruf zum Verweilen ist es trotzdem nicht. Denn die Aufgaben werden mehr und nicht weniger. Neben den noch unabsehbaren weiteren und langfristigen Folgen der Pandemie bleiben alte Herausforderungen bestehen, neue kommen hinzu. Selbstbewusst und oft gegen die Interessen der westlichen Staatengemeinschaft agierende nationale Akteure wie Russland und China, der internationale Terrorismus, die Auswirkungen des Klimawandels, Cyberangriffe, die Gefahr eines breiten Blackouts oder eines Angriffs mit Biowaffen, sind nur einige der Elemente welche die künftige Sicherheitslage bestimmen werden. Um diesen Risiken und Gefahren begegnen zu können, braucht es eine resiliente NATO, betont Jens Stoltenberg immer wieder. Also eine, die robust genug ist, um auf Bedrohungen zu reagieren noch bevor sie Schaden anrichten können.

@Thomas Tucker on Unsplash
Die Militärausgaben der NATO-Mitgliedsstaaten sind 2020 in Relation zum Jahr davor um 2,7 Prozent gestiegen.

Dieses Jahr wird zeigen, ob sich der Trend höherer Verteidigungsausgaben fortsetzen wird. Wichtig ist im Auge zu behalten, dass die zwei Prozent des BIP für Verteidigung bei einigen Ländern nicht etwa durch höhere Ausgaben zustande gekommen sind, sondern aufgrund des Konjunktureinbruchs infolge der Corona-Krise. Der Anteil der Verteidigungsausgaben am BIP wurde dadurch automatisch höher.

Der NATO-Chef wird Mühe haben vor allem jene Länder, die in Folge von Corona unter einem starken Wirtschaftseinbruch leiden, davon zu überzeugen, mehr für ihre Verteidigung auszugeben. Denn wo Gelder für die Kurzarbeitsentschädigung, die Arbeitslosenversicherung, Kredite für Unternehmen und sonstige Finanzhilfen tiefe Löcher in die Staatskassen reißen, bleibt für das Verteidigungsbudget wenig übrig.

„Aus der Gesundheitskrise darf keine Sicherheitskrise werden!“

Dass die Bevölkerung von einer erhöhten militärischen Einsatzfähigkeit gerade in Krisenzeiten (und darüber hinaus) profitiert, und es sich daher lohnt in die Verteidigung zu investieren, ist keine neue Erkenntnis. Wiederholt werden wie ein Mantra muss sie trotzdem. Die Corona-Pandemie hat nur allzu gut verdeutlicht, dass die Sicherheitslage von der Gesundheitskrise nicht verschont bleibt, sondern in einem engen Zusammenhang mit ihr steht. Alte, für eingefroren geglaubte Konflikte flammten erneut auf, neue kamen hinzu. Die Pandemie hat die bestehenden geopolitischen Trends verstärkt und die globale Sicherheitslage insgesamt unberechenbarer gemacht. „Aus der Gesundheitskrise darf keine Sicherheitskrise werden”, steht es in dem NATO-Bericht. Die Aussage zu Herzen nehmen sollten sich sowohl NATO-Mitglieder als auch bündnisfreie Staaten wie Österreich.

Quelle@CC BY 2.0, MSC, Thomas Tucker on Unsplash