Jahrelang haben Piraten die Schifffahrt vor der Küste Somalias bedroht. Internationale Kriegsschiffe und private Sicherheitsteams haben das Problem gebannt. Dafür hat sich nun in Westafrika und im Golf von Guinea ein neuer, deutlich vielschichtigerer Krisenherd entwickelt.

Im Schlepptau von Tom Hanks’ aktuellem Hollywood-Film „Captain Phillips” hat es die Piraterie vor der somalischen Küste jüngst zurück in die Schlagzeilen geschafft. Dabei ist die Problematik in Ostafrika heute kaum noch existent. Durch die Präsenz und den Einsatz privater Sicherheitsteams auf Handelsschiffen und internationaler Kriegsschiffe von NATO und EU (Operation Atalanta) sowie Russland und China gelten die Seewege um das Horn von Afrika heute wieder als weitgehend sicher. Die Zahl der Piratenangriffe im Golf von Aden und vor Somalia fiel 2013 auf den tiefsten Stand seit 2008. In den ersten sechs Monaten des Vorjahres wurden laut dem Internationalen Schifffahrtsbüro (IMB, eine UN-Teilorganisation) nur acht Angriffe registriert, darunter zwei Kaperungen, bei denen die Schiffe rasch von Marineeinheiten befreit werden konnten.

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Gut vernetzt: Vor Westafrika arbeiten unterschiedlichste Terrorgruppen zusammen – im Bild Rebellen des Movement for the Emancipation of the Niger Delta (MEND).

Neue Gefahr für die internationale Schifffahrt droht nun aber in Westafrika und im Golf von Guinea, wo die Aktivitäten von Piraten zuletzt deutlich zugenommen haben. Anders als vor Somalia stellt sich dort die Problematik aber deutlich vielschichter dar: Es geht weniger um die Erpressung möglichst hoher Lösegelder, sondern vielmehr um den Raub ganzer Schiffs- und Tankerladungen. Außerdem um den Drogenschmuggel von Lateinamerika weiter nach Europa und den Waffenschmuggel, etwa für Terrorgruppen wie die nigerianische Boko Haram oder die von Frankreich bekämpften Jihadisten in Mali. Ein verschärfendes Problem dabei: Unabhängig von ihren eigentlichen Absichten arbeiten diese und andere Terrorgruppen wie das Movement for Oneness and Jihad in West Africa (MOJWA) und Al-Qaeda in the Islamic Maghreb (AQIM) vor Ort eng zusammen. Für einen Anteil am Milliardengeschäft halten sie sich sogar eine eigene Marine, die von Kriminellen, Piraten und anderen Freiwilligen gestellt wird. In Summe sind sie damit oft besser ausgerüstet als die vielfach vor sich hin darbenden Kriegsmarinen der mehr als 20 Anrainerstaaten. In jedem Fall agieren sie deutlich kaltblütiger und brutaler.

Diese Tatsache, und auch dass die Piraten im Westen Afrikas weitgehend in Küstennähe operieren und nicht auf hoher See wie vor Somalia, erschwert die dringend benötigte Hilfestellung von EU, NATO, UN und anderen Ländern wie Brasilien. Sie sehen sich einem aufgerüsteten und gut organisierten Feind gegenüber, gleichzeitig sind sie mit ihren Schiffen völkerrechtlich eingeengt. In die Hoheitsgewässer und exklusiven Wirtschaftszonen der betroffenen Länder einzudringen und dort bewaffnete Aktionen zu setzen, würde wohl gröbere politische Verwerfungen nach sich ziehen. Die Lösung kann also nur in verstärkter materieller, finanzieller und personeller Zusammenarbeit liegen. Und genau das war auch Thema bei zwei großen Konferenzen zur Problematik, die in den vergangenen Wochen in Casablanca (Marokko) und Accra (Ghana) stattfanden und bei denen Militär Aktuell vor Ort war.

Laut den anwesenden afrikanischen Generalstabschefs und Marinekommandanten (siehe auch Zitate auf der nächsten Seite) sei zur Bekämpfung der Piraten vor Ort neben modernem Gerät die gemeinsame Ausbildung der Marinesoldaten entscheidend. Mit Unterstützung von Beratern und in Form von bi- und multilateralen Übungen sollen vor allem Kommunikationsabläufe und Befehlsketten trainiert werden, aber auch das sogenannte Boarding – also das Betreten fremder Schiffe auf hoher See selbst gegen den Willen deren Besatzung. Dazu müssen die Soldaten neben dem Umgang mit Waffen und Sensoren auch Spezialausrüstung beherrschen, etwa zur gerichtstauglichen Beweissicherung. Und für den Fall der Fälle sollte auch der Umgang mit Notfallmedizin geübt werden.

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Die wenigen neuen Schiffe der Anrainerstaaten kommen aus Frankreich, den Niederlanden oder – wie das Patrouillenboot im Bild – aus China.

So weit, so gut. Richtig kompliziert wird das Vorgehen gegen die Piraten aber dadurch, dass die Anrainerstaaten nicht nur souverän, sondern auch höchst unterschiedlich in ihren Fähigkeiten, ihrem Staatsverständnis und ihrer maritimen Ausrüstung sind. Während Nigeria oder Ghana auf der Basis stetig steigender Einnahmen aus ihren Offshore-Ölfeldern in Frankreich, den Niederlanden oder China leichte Korvetten und schnelle Patrouillenboote erwerben, hat etwa Liberia erst im Februar seine gesamte militärische Staatsgewalt von privaten US-Militärfirmen zurückübernommen. Und während Ghana drei österreichische Diamond DA-42 Flugzeuge zur sensorgestützten Küstengewässeraufklärung einsetzt, versucht ein anderes Land mit vier bereits 20 Jahre alten Schnellbooten eine Küstenlinie von 250 Kilometern Länge abzudecken. Das öffnet nicht nur für Schmuggler Tür und Tor, sondern auch der illegalen industriellen Fischerei, die die Küstenbevölkerung in ihrer Existenz bedroht. So griff die senegalesische Küstenwache erst im Jänner einen russischen Trawler auf, der ohne Lizenz in Küstennähe seine Netze ausgeworfen hatte. Nach Zahlung einer Strafe in Höhe von einer Million US-Dollar (730.000 Euro) durfte das Schiff aus Murmansk seine Reise nach einem Monat wieder fortsetzen.

Wie kann bei all diesen Problemen aber nun eine vernünftige Lösung aussehen? Geht es nach den ärmeren Ländern in der Region, dann liegt der Schlüssel zum Erfolg in europäischer Entwicklungshilfe. Mit Millionen aus Brüssel, Berlin und Paris sollen die Flotten auf Vordermann und die Soldaten in Form gebracht werden. Am alten Kontinent stößt dieser Wunsch naturgemäß auf Gegenwind. Die Aufrüstung würde zu Lasten der Armutsbekämpfung in jenen Ländern gehen, so die Kritik; es gehe in Wahrheit ums Öl und die Aufrüstung anderer Länder sei ja überhaupt und prinzipiell zu vermeiden. Doch hier geht es um handfeste europäische Sicherheitsinteressen: Gleich mehrere Vertreter bei den Konferenzen sehen in Westafrika die erste Verteidigungslinie Europas gegen Drogenschmuggel und Menschenhandel. Trotzdem sind aktuell gemeinsame Übungen und Seemanöver mit westafrikanischen Staaten für Europa und auch die USA das Höchste der Gefühle.

Geübt wird beispielsweise im Rahmen des seit 2012 laufenden jährlichen Anti-Piraterie- und Terrorabwehrmanövers Obangame Express. Unter Führung der US Naval Forces Africa (NAVAF) nahmen daran heuer Belgien, Benin, Brasilien, Kamerun, die Elfenbeinküste, Äquatorialguinea, Frankreich, Gabun, die Niederlande, Spanien, Nigeria, São Tomé und Príncipe, die Republik Kongo und Togo teil. Auf den angesprochenen Konferenzen versuchten Repräsentanten von Interpol, Europol und dem US African Command, ihren Teil zur Lösung des Problems beizutragen. Auch europäische Rüstungsfirmen waren vertreten. Allen voran die in Westafrika ob ihrer modularen Schnellbootlösungen sehr populäre niederländische Schiffswerft Damen und die schweizerisch-deutsche Ruag mit ihren Seeüberwachungsflugzeugen auf Basis der Do-228. Sie wollen den dortigen Markt nicht kampflos Peking überlassen: denn China leistet in Afrika aktuell bereits Hilfs- und Investitionszahlungen in Höhe von 30 Milliarden Dollar (21,9 Milliarden Euro) jährlich. Kein Wunder, dass Schnellboote und Korvetten aus dem Reich der Mitte heute bereits in Ghana, Nigeria und Mauretanien Dienst versehen und Peking auch über den Umweg der Rüstungskooperation Europa in Afrika wirtschaftlich den Rang abzulaufen droht.

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