Das Szenario der Panzerschlacht im Marchfeld gehört längst der Vergangenheit an – nun stehen Blackouts, Cyberangriffe und Terroranschläge auf den Bedrohungslandkarten des Bundesheeres ganz oben. Ein Gespräch mit Generalmajor Bruno Hofbauer, Leiter der Abteilung Grundsatzplanung im Verteidigungsministerium.

Herr Generalmajor, rund um das Bundesheer war zuletzt immer öfter von den sogenannten „neuen Bedrohungen” die Rede. Was ist damit konkret gemeint?
Manche denken vielfach noch, dass das Bundesheer in den Mustern des Kalten Krieges mit seinen klar definierten Gegenpolen und seiner relativen Stabilität verhaftet wäre. Die Welt hat sich seitdem aber entscheidend weitergedreht, eine derart klare konventionelle Bedrohung wie damals gibt es aktuell nicht, das Szenario der viel zitierten Panzerschlacht im Marchfeld ist längst Geschichte. Allerdings sehen wir uns nun zunehmend mit neuen potenziellen Gefahren konfrontiert und da stehen in unseren Risikoanalysen souveränitätsgefährdende Cyberangriffe ebenso wie Terroranschläge, Blackouts, Folgen des Klimawandels oder auch globale Pandemien ganz oben.

Im Unterschied zu damals, als man einen klar definierten Gegner hatte, ist bei den neuen Bedrohungen nicht sofort klar, wer dahintersteckt, oder?
Genau, und das bedeutet auch einen gewaltigen Umdenkprozess. Schon unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat die Jugoslawien-Krise im Jahr 1991 gezeigt, wie unvorhersehbar und schnell sich Dinge geopolitisch ändern können und dass diese Änderungen durchaus auch Auswirkungen auf Österreich haben können. Wer hätte im Vorfeld den Brexit für möglich gehalten oder die Entwicklungen in der Ukraine? Auf 9/11 folgte quasi über Nacht ein globaler Krieg gegen den Terror, das Bundesheer stand plötzlich mit Truppen in Afghanistan und auch im laufenden Jahr haben wir mit der Corona-Pandemie und zuletzt mit dem Terroranschlag in Wien Dinge erlebt, die als unwahrscheinlich galten. Wer sagt uns, dass es nicht schon morgen wieder eine ähnliche Zäsur etwa in Form eines großen Cyberangriffes oder eines Blackouts gibt?

@Militär Aktuell/Geli Goldmann
Generalmajor Bruno Hofbauer: „Durch Corona ist das Bewusstsein, in den Sicherheitsbereich zu investieren, sicher gewachsen, was ja auch die gestiegenen Verteidigungsetats für dieses und nächstes Jahr zeigen.”

Hat sich damit die Ausrichtung des Bundesheeres geändert?
Ein Stück weit natürlich, wobei wir nicht außer Acht lassen dürfen, dass der klassische konventionelle Konflikt möglicherweise nur vorübergehend in den Hintergrund getreten ist. Wir sehen im Osten, aber auch im Südosten Entwicklungen, die für uns in den nächsten zehn bis 15 Jahren militärisch wieder relevant werden könnten, auch die Situation auf dem Balkan ist nach wie vor nicht befriedet. Nichtsdestotrotz müssen wir uns nun aber auch verstärkt anderen Bedrohungen zuwenden und diese können ihre Ursache durchaus auch in einem technischen Gebrechen haben, wenn wir beispielsweise an die Möglichkeit eines Blackouts denken.

Wie schwer sind diese neuen Bedrohungen zu fassen? Bei einem Blackout werden wir zunächst wohl nicht einmal wissen, ob es sich tatsächlich um einen Blackout handelt oder nur um einen Stromausfall, bei Cyberangriffen wird zumindest anfangs unklar sein, wer da mit welchem Ziel angreift.
Das ist ein ganz wesentlicher Punkt. Die militärische Landesverteidigung muss prinzipiell immer eine Beziehung zur Souveränitätsgefährdung haben und mit einem Angriff von außen verbunden sein, was in diesen Fällen meist nur schwer belegbar sein wird. Nichtsdestotrotz werden wir wohl schnell zur Assistenz gerufen und dabei muss uns klar sein, dass wir es zunächst mit einer möglicherweise auch länger dauernden Phase der Unwissenheit zu tun haben werden. Beim Terroranschlag in Wien war zunächst auch nicht klar, welche Größenordnung dieser hat, wie viele Täter es tatsächlich sind und wie diese ausgerüstet sind. Ähnlich wird es auch im Fall einer Cyberattacke oder eines Blackouts sein. Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass es dann in gewissen Bereichen auch zu einem Kontrollverlust kommen kann und sich schon nach zwei bis drei Tagen das Recht des Stärkeren beginnen wird durchzusetzen. Ereignisse wie der Hurrikan Katrina zeigen, dass der plötzlich rechtslose Raum sehr schnell von diversen Gruppierungen übernommen wird und damit müsste man im Falle eines Blackouts auch hierzulande rechnen.

„Ereignisse wie der Hurrikan Katrina zeigen, dass der plötzlich rechtslose Raum sehr schnell von diversen Gruppierungen übernommen wird und damit müsste man im Falle eines Blackouts auch hierzulande rechnen.“

Wenn Assistenz geleistet werden soll, muss das Bundesheer dazu aber auch in der Lage sein. Verfügt das Heer über eine entsprechende Durchhaltefähigkeit?
Durch fehlende Mittel sowie die erfolgte Fokussierung auf den Einsatz im Ausland hatte die Autarkie der österreichischen Kasernen in den vergangenen Jahrzehnten keine Priorität. Jetzt fahren wir das aber wieder hoch. Bis 2025 werden unsere 100 wichtigsten Liegenschaften so adaptiert, dass sie zumindest eine 14-tägige Autarkie erreichen. Dabei geht es nicht nur um den Strom, sondern auch um die Wasserversorgung, um den Betrieb der Küchen und der Sanitärbereiche sowie um die Bevorratung mit Lebensmitteln und Sanitätsmaterial und nicht zuletzt um die militärische Kommunikation. Es wird im Fall eines Blackouts natürlich eine große Herausforderung sein, unsere Soldatinnen und Soldaten zu erreichen. Nach einer überschaubaren Zeit werden die Handynetze niedergehen und niemand kann garantieren, dass dann die Festnetzverbindungen flächendeckend funktionieren. Es gilt daher innerhalb der ersten 24 Stunden die wesentlichsten Befehle hinauszubekommen. Innerhalb dieser Zeit müssen wir auch ein gutes erstes Lagebild aufgebaut haben und erste Kräfte in den Einsatz schicken können.

Sie haben gesagt, dass die 100 wichtigsten Liegenschaften des Bundesheeres eine Grund-Autarkie erhalten sollen – was ist da konkret geplant?
Wir haben dafür schon vor längerer Zeit eine Priorisierung der Liegenschaften vorgenommen, von besonders wichtigen Führungseinrichtungen und dem Jagdkommando über die festgelegten Sicherheitsinseln und potenziellen Back-up-Lösungen für diese bis hin zu den Bataillonskasernen und kleineren Einrichtungen. In fünf Jahren sollten wir diese mit Investitionen von rund 20 Millionen Euro pro Jahr hochgerüstet haben.

Was wird mit dem Geld gemacht?
Im Wesentlichen geht es darum, eine Infrastruktur zu schaffen, wie man sie auch aus den Camps im Auslandseinsatz kennt. Da garantiert ein Stromgenerator, dass die Stromversorgung auch dann gewährleistet ist, wenn die Leitung von außen gekappt wird, und dass Küchen, Werkstätten und die Führungsinfrastruktur weiterbetrieben werden können. Parallel dazu geht es darum, die Wasserversorgung sicherzustellen und unsere internen Kommunikations- und Führungsmittel weiterzubetreiben.

Jetzt könnte ein Blackout wie vorhin erwähnt auf ein technisches Gebrechen zurückzuführen sein. Denkbar wäre aber auch, dass ein Cyberangriff oder eine terroristische Aktion der Auslöser sind.
Beides entspricht unserer Beurteilung über das Vorgehen eines Gegners in
einem hybriden Konflikt. Jedoch muss man dabei auch die Zielsetzung eines Angreifers berücksichtigen und die aus seiner Sicht sinnvollen Abläufe beachten.

Was meinen Sie damit?
Nehmen wir an, es handelt sich tatsächlich um Terroristen, die einem Land schaden wollen, dann wollen diese größtmögliche Aufmerksamkeit für ihre Aktionen …

@Getty Images
Absolute Finsternis: Im Falle eines Blackouts und eines damit verbundenen überregionalen Strom- und Infrastrukturausfalls könnte schon nach wenigen Tagen das Recht des Stärkeren gelten.

… die sie aber nicht bekommen, weil aufgrund des Stromausfalls nicht über den Angriff berichtet werden kann?
Genau. Wer einen Terroranschlag ausführt, der zielt darauf ab, dass darüber auch kommuniziert wird. Von der Abfolge her wird ein terroristischer Angriff daher zeitlich wohl vor einem gesteuerten Blackout stehen, eventuell erfolgt parallel aber ein gezielter Cyberangriff. Dazu kommt, dass gezielte Attacken auf Teilbereiche weit wirkungsvoller sein können, als ein kompletter Blackout. Ein hybrider Gegner, der über diese Fähigkeiten verfügt, könnte etwa gezielt Einzelsysteme angreifen, was einen ähnlichen Kontrollverlust zur Folge hätte, ihm aber gleichzeitig die Möglichkeit einräumt, parallel dazu oder anschließend auch andere Systeme zu attackieren. So kann er die unsichere Lage noch besser für seine Zwecke nutzen. Das ist bei einem kompletten Blackout nicht möglich.

Inwieweit braucht es zur Bekämpfung dieser neuen Bedrohungen weiterhin auch konventionelle Kräfte?
Wie gesagt können wir nicht ausschließen, dass wir es innerhalb der kommenden Jahre nicht wieder mit einem konventionellen Gegner zu tun bekommen, außerdem müssen wir stets in der Lage sein, unsere Grenzen und auch wichtige Räume und Verkehrswege militärisch zu schützen. Dabei geht es um Land und Luft, aber zunehmend eben auch um den Cyberspace und um den Informationsraum.

In Richtung Blackout werden, wie Sie gesagt haben, jährlich 20 Millionen Euro in die Kasernen investiert, beim Thema Cyber ist gemeinsam mit dem Bundeskanzleramt und dem Innenministerium der Aufbau eines Cybersicherheitszentrums geplant. Wie gut ist das Bundesheer mittlerweile auf die neuen Bedrohungen vorbereitet?
Im Cyberbereich sind wir schon jetzt sehr gut beim Schutz unserer eigenen Netze, das haben wir immer sehr ernst genommen. Im militärischen Kernbereich gilt es nun auch beim Kampf im Cyberspace und bei Electronic Warfare besser zu werden und dort mit Zielrichtung 2030 Fähigkeiten auch auf taktischer Ebene aufzubauen. Um das geeignete militärische Personal für den Kampf im Cyberspace zu bekommen beginnen wir mit einem entsprechenden Masterstudiengang. Ziel ist es, Offiziere speziell dafür auszubilden. Das geplante Cybersicherheitszentrum hingegen ist ein wichtiger Schritt zur gesamtstaatlichen Vorkehrung gegen Cyber-Attacken, wo sich das Bundesheer auch einbringen kann. Ein wichtiges Instrument, um neuen Bedrohungen zu begegnen, sind übrigens auch Drohnen, wo wir demnächst wichtige Entwicklungsschritte setzen wollen.

„Im militärischen Kernbereich gilt es nun auch beim Kampf im Cyberspace und bei Electronic Warfare besser zu werden und dort mit Zielrichtung 2030 Fähigkeiten auch auf taktischer Ebene aufzubauen.“

Was ist dahingehend geplant?
Drohnen sind für uns primär Sensor­träger, allerdings auf verschiedenen Ebenen. Wir streben derzeit eher keine „High Altitude Long Endurance”-Drohnen an, aber in der mittleren Höhe müssen wir mittelfristig dabei sein. Da reden wir von Drohnen mit 150 Kilometer Reichweite, die über Bild­aufklärungsfähigkeiten oder auch Möglichkeiten zur Signal Intelligence verfügen. Wir denken aber auch an Drohnen für die Aufklärungszüge in den Jägerbataillonen und an Bodensensoren und Robotersysteme, die in Häuser oder in Keller vordringen und mit ihren Kameras und anderen Sensoren ein Lagebild liefern. Das urbane Umfeld verlangt nach verschiedensten Arten von fernbedienbaren Systemen, die das Risiko für die Soldaten minimieren.

Sind derartige Systeme in Zulauf?
Die ersten Drohnen haben wir mit dem System Tracker ja bereits, das war der Versuchsträger, um zu sehen, wie das funktioniert. Nun gilt es diesen Bereich zu intensivieren, die entsprechenden Pakete sind bereits in der Ausplanung. In Hinblick auf das nun definierte Terrorpaket gibt es ein klares Bekenntnis des Generalstabschefs, den Ausbau der Aufklärungsfähigkeiten zu forcieren, und da gehören Drohnen ganz einfach dazu. Über die nächsten Jahre sollen diese Pakete dann eingeleitet werden, ich gehe davon aus, dass wir damit bei den Drohnen ähnlich wie bei der Blackout-Prävention und im Cyberdefence-Bereich mittelfristig deutliche Verbesserungen erreichen.

Welche Rolle spielte die Coronakrise für die geplanten Verbesserungen? Wurde damit die Verwundbarkeit unserer Gesellschaft und die Notwendigkeit von Investitionen aufgezeigt?
Corona hat ganz sicher gezeigt, dass wir es mehr oder weniger aus heiterem Himmel mit Situationen zu tun bekommen können, die davor als unwahrscheinlich galten, aber trotzdem unsere Sicherheit gefährden können. Insofern ist dadurch das Bewusstsein, in den Sicherheitsbereich zu investieren sicher gewachsen, was ja auch die Verteidigungsetats für 2020 und 2021 zeigen. Natürlich können damit nicht alle nötigen Fähigkeiten gleich erreicht werden, aber es ist in jedem Fall ein guter Schritt in die richtige Richtung, den wir nun nutzen werden, um besser auf die aktuellen Bedrohungen reagieren zu können.

Quelle@Pixabay, Militär Aktuell/Geli Goldmann, Getty Images