Die Kämpfe in der Ukraine gehen weiter. Wir haben mit Oberst Markus Reisner, Leiter der Entwicklungsabteilung an der Militärakademie gesprochen: Welche Ziele verfolgt Russland mit der Attacke? Geht von den aktuellen Kämpfen eine Bedrohung für Österreich aus? Und was würde eine Annexion der Ukraine langfristig bedeuten?

Herr Oberst, welche Ziele verfolgt die russische Föderation mit dm militärischen Angriff auf die gesamte Ukraine?
Präsident Wladimir Putin hat die zu erreichenden Ziele in seiner Rede am 21. Februar sowie im Rahmen einer Pressekonferenz klar definiert. Die Ukraine soll demilitarisiert und neutral werden. Zudem soll sie nicht der NATO beitreten. Russland möchte nicht, dass auf ukrainischem Territorium Raketen stationiert werden, welche eine Bedrohung für Moskau darstellen.

Derzeit geht man von keiner direkten Bedrohung für Österreich aus. Wie müsste der Konflikt eskalieren, dass er sich direkt auf Österreich auswirkt?
Eine derzeitige Analyse der Angriffe der russischen Truppen lässt erkennen, dass es Absicht ist, die Ukraine in Phasen einzunehmen. Ein weiterer Angriff auf NATO-Staaten ist dabei nicht zu erkennen. So stehen zum Beispiel keine großen Angriffsgruppierungen in der Nähe der baltischen Staaten bereit. Ein Vorstoß bis zur Westgrenze der Ukraine bringt die russischen Truppen jedoch unmittelbar an die Grenze zu Polen, der Slowakei, Ungarn und Rumänien. Dies könnte zu einer Verschärfung der Lage führen.

Hält sich der Widerstand der ukrainischen Streitkräfte hartnäckiger als erwartet?
Die ukrainischen Streitkräfte versuchen, wichtige Verkehrsknotenpunkte und vor allem die Hauptstadt zu verteidigen. Aufgrund der laufenden russischen Angriffe mittels weitreichender Raketen und durch die Luftwaffe sowie aufgrund des massiven Einsatzes von Artillerie und Raketenwerfern befinden sich die ukrainischen Streitkräfte aber immer mehr in dem Dilemma, bereits jetzt einen Abnützungskrieg führen zu müssen. Die Kapazitäten der ukrainischen Streitkräfte, dies längerfristig durchzuhalten, sind trotz der Waffenlieferungen durch die NATO sehr eingeschränkt.

Ist nach einer militärischen Niederlage der Ukraine mit einer Fortsetzung in Form eines Guerillakrieges zu rechnen?
Sollte eine rasche Einnahme – möglicherweise sogar der gesamten Ukraine – gelingen, wird sich das Land im ersten Moment in einem Schockzustand befinden. Das Einsetzen einer Marionettenregierung durch die russischen Besatzer ist wahrscheinlich. Der Aufbau einer Widerstandsbewegung, vor allem im Westen des Landes wird erst nach Vorbereitung möglich sein. Ist diese abgeschlossen, ist es durchaus denkbar, dass es zu Angriffen aus dem Hinterhalt und Anschlägen auf die Besatzer kommt. Dies würde neuerlich zu einer Verschärfung führen und möglicherweise mit Repressionen von russischer Seite verknüpft sein.

Kann man jetzt bereits abschätzen, was eine Annexion der Ukraine langfristig bedeutet?
Eine mögliche gänzliche Annexion der Ukraine würde eine Zäsur bedeuten. Die Einnahme der Ukraine stellt einen klaren Völkerrechtsbruch dar. Russland stellt somit die internationale Ordnung (UN-Charta) in Frage. Bereits der jetzige Angriff wird weitreichende Folgen für die europäische und transatlantische Sicherheitspolitik haben.

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Quelle@Bundesheer/Kreibich