Christian Wehrschütz berichtet für den ORF aus den Ländern des Balkans und aus der Ukraine. Obwohl er die vergangenen Wochen im Home Office in Salzburg verbringen musste, hat er seit Anfang März gemeinsam mit seinen dezentral organisierten Drehteams rund vier Stunden Programm produziert.

Herr Wehrschütz, was bedeutet es für Sie und Ihre Arbeit nicht reisen zu können?
Rund um den 7. März, nachdem also klar war, dass es zwar noch einen Flug nach Kiew gibt, man aber möglicherweise nicht mehr aus der Ukraine herauskommt, habe ich gemeinsam mit meinem Unternehmen entschieden, dass ich im Home Office in Salzburg bleiben werde. Meine Produktionsteams in den Balkanstaaten und in der Ukraine mussten sich also auf diesen neuen Modus einstellen. Weil ich die Abläufe in meinen Zielländern sehr dezentral organisiert habe, lief das relativ reibungslos ab. Ich habe in allen Balkanländern wie auch in der Ukraine ein eigenes Drehteam. Das hat es uns auch während der vergangenen drei Monate ermöglicht aus diesen Ländern zu berichten. Dort wo es möglich war, habe ich alle Interviews mithilfe von Video-Tools selbst geführt. Seit Anfang März haben wir insgesamt mehr als vier Stunden Programm produziert. Unsere dezentrale Struktur hat sich also bewährt.

@Wikimedia Commons/KarlGruber (Lizenz CC BY-SA 4.0)
Christian Wehrschütz berichtet über Länder des Balkans und aus der Ukraine, hier im Bild ist er während des Europaforums Wachau 2018 auf Stift Göttweig zu sehen.

Welche anderen Auswirkungen haben Sie wahrgenommen?
Grundsätzlich bin ich davon überzeugt, dass Korrespondenten vor Ort sein sollten. Ist das jedoch nicht möglich, dann muss man sich eben damit abfinden. Trotzdem halte ich eine derartige Form der Arbeit nicht für einen adäquaten Ersatz für die normale Korrespondententätigkeit. Dass wir all diese Kontakte und Strukturen haben, die sich in den letzten Wochen so bewährt haben, ist ja auch das Ergebnis meiner Reisetätigkeiten.

Werden Sie mit den Skype-Interviews weitermachen?
Um die Interviews, die ich für den ORF führe, besser nutzen zu können, habe ich schon in der Vergangenheit immer wieder Facebook-Versionen dieser Interviews veröffentlicht. Durch die aktuelle Situation ist die Social Media-Nutzung erheblich gestiegen, deshalb habe ich eine eigene Interviewreihe für meinen Facebook-Community gestartet. Das werde ich in Zukunft gelegentlich weiterführen, wohlwissend, dass die Zeit, die die Menschen auf sozialen Netzwerken verbringen, zurückgehen wird. Schließlich hoffen wir ja alle, dass sich das Arbeitspensum der meisten Menschen wieder normalisiert und sie dann nicht mehr so viel Zeit zu Hause verbringen werden.

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Sie berichten ja sehr viel aus Krisengebieten, die Krise ist sozusagen Ihr Business. Inwieweit unterscheidet sich die Coronakrise, vor allem auf Ihre Arbeit bezogen, von anderen Krisen?
Abgesehen davon, dass ich in den vergangenen Wochen an einen Ort gebunden war, gibt es noch den entscheidenden Unterschied, dass wir es bei der Corona-Krise mit einer Gefahr zu tun haben, die nicht sichtbar ist. Durch Menschen mit Masken und Bildern aus den Krankenhäusern waren die direkten und indirekten Folgen des Virus natürlich trotzdem darstellbar, die Gefahr an sich ist jedoch unsichtbar geblieben. Auf der anderen Seite war die Produktion von Beiträgen in dieser Krise insofern leichter, als jedem in der Bevölkerung klar war, dass wir es hier mit einer wirklich großen Herausforderung zu tun haben. Das musste also nicht mehr gesondert erklärt werden.

Hatten Sie es schon öfter mit der Herausforderung zu tun, über unsichtbare Gefahren berichten zu müssen?
Ein Beispiel fällt mir dazu auf Anhieb ein. Als in der Ukraine enorme Flüchtlingsbewegungen stattgefunden haben, war diese Krise extrem schwer darstellbar, weil es keine Bilder aus Flüchtlingslagern und Massenunterkünften gab. Die meisten Menschen sind damals individuell geflohen. Die Bilder, die im kollektiven Bewusstsein mit Fluch assoziiert werden, fehlten also.

Die Balkanländer haben etwas anders auf die Bedrohung durch Covid-19 reagiert als etwa Österreich oder Deutschland. Welche Unterschiede konnten Sie festmachen?
In den meisten Ländern des ehemaligen Jugoslawiens waren die Maßnahmen deutlich einschränkender. Meiner Ansicht nach haben die postkommunistischen Länder in dieser Krise gezeigt, dass sie deutlich disziplinierter sind. Außerdem wurde der Kampf gegen das Virus als eine Aufgabe gesehen, die voraussetzt, dass man als Nation zusammensteht. Dadurch ist auch die Bereitschaft kollektiven Maßnahmen zu folgen eine andere als in Deutschland und Österreich. Viele Länder des ehemaligen Jugoslawiens haben außerdem eine enorme Erfahrung im Einsatz von Krisenmedizin, die uns in dieser Dimension – glücklicherweise – fehlt. Durch die Kriegserfahrungen dieser Länder sind sie ganz anders auf solche Situationen vorbereitet. Die große Frage wird trotzdem sein, mit welchen wirtschaftlichen Folgen diese Länder jetzt zu rechnen haben. Aber das gilt natürlich für die ganze Welt.

„Wir hatten in Österreich glücklicherweise keine wirkliche gesundheitliche Krise. Es war eher ein Streifschuss als ein Volltreffer.“

Sie sind ja auch Bundesheeroffizier. Wie beurteilen Sie die Rolle des Österreichischen Bundesheeres in der Coronakrise?
Ich bin der Meinung, dass man die Expertise des Bundesheeres zu wenig und zu spät berücksichtigt hat. Inwieweit die Verlängerung des Wehrdienstes notwendig war, kann ich nicht beurteilen. Was sich aber definitiv als falsch erwiesen hat, waren die drastischen Sparmaßnahmen, die unter anderem zu einer Abschaffung der Reservebetten geführt haben.

Welche Lehren ziehen Sie persönlich aus der Krise?
Wenn es in Zusammenhang mit Corona um den Begriff Krise geht, bin ich gerne ein wenig vorsichtig, weil wir in Österreich ja glücklicherweise keine wirkliche gesundheitliche Krise hatten. Es war eher ein Streifschuss als ein Volltreffer. Spreche ich von einer Krise, dann denke ich dabei unter anderem an meine Erlebnisse aus Kriegsgebieten. Wenn wir etwas aus den vergangenen Wochen mitnehmen sollten, dann ist das die Erfahrung, dass man sich auf derartige Krisen vorbereiten muss. Ich persönlich befürchte aber, dass tiefgreifende Änderungen im Verhalten der Menschen nicht stattfinden werden. Wir werden aber erst in ein paar Monaten sehen, wie tief der Schock wirklich noch sitzt und wie groß die wirtschaftlichen Folgen tatsächlich sein werden.

Hier geht es zu unseren anderen „Köpfen der Woche”.

Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen. Diesen Satz aus der Lehre Heraklits verfolgt Sarah auch im Berufsleben. So hat sie zum Beispiel schon über Autos, Beton, Geld, Musik und Frauen in der Wirtschaft geschrieben. Privat steigt sie ziemlich gerne in Flüsse und ist überhaupt gerne draußen unterwegs. Je mehr Action, desto besser.