Die Vereinigten Stabschefs der US-Streitkräfte überdenken offenbar ihr Kriegs-Einsatzkonzept, nachdem sie – bereits im vergangenen Oktober – in einem mehrphasigen Kriegsspiel eindeutig besiegt wurden.

Wie die Pentagon-Korrespondentin Tara Copp von der Plattform Defence One erst jetzt berichtet hätten sich laut USAF-General John Hyten, dem 11. Vorsitzenden der Joint Chiefs of Staff, die Kernstrategien des Pentagons zur Kriegsführung angesichts moderner Bedrohungen und Fähigkeiten als nutzlos erwiesen. Das würde die Joint Chiefs zwingen, ein Kriegskonzept zu erforschen welches als „Erweitertes Manöver” bekannt ist. Während jenes Gesamtkonzept neu (benannt) ist, bauen viele der Ideen darin auf dem übergreifenden Fokus auf verteilte Operationen und Informations-Austauschnetzwerke auf, die das Pentagon bereits in den vergangenen Jahren verfolgt hat.

@US Navy
Wie aktuelle Planspiele zeigen, müssen die US-Streitkräfte dringend ihre Einsatzkonzepte überarbeiten und ihre Herangehensweisen verändern.

Die Oktoberübung 2020 war eigentlich ein Test für das neue „Joint Warfighting Concept”. Aber auch das neue gemeinsame Konzept basierte weitgehend auf den gleichen gemeinsamen Operationskonzepten, die die US-Streitkräfte jahrzehntelang geleitet hatten – und laut Hyten besiegte das rote Team jene leicht: „Ohne das Problem zu übertreiben, aber wir sind da kläglich gescheitert. Ein aggressives rotes Team, das die USA in den vergangenen 20 Jahren eingehend studiert hatte, lief einfach sozusagen Runden um uns herum. Sie wussten genau, was wir tun werden, bevor wir es taten. Eine wichtige Lektion: Die Konzentration von Schiffen, Flugzeugen und anderen Kräften, um jeweils die Kampfkraft des anderen Elements zu verstärken, machte diese auch zu sogenannten ‚sitzenden Enten”. Aber in der heutigen Realität, mit Hyperschallraketen und signifikanten Langstreckenträgern und ihren Waffen, die aus allen Bereichen auf uns zukommen – wenn jeder weiß, wo sie sind, sind sie umso mehr verwundbar. Und so wurden wir dezimiert.”

@US Air Force
USAF-General John Hyten ist aktuell des Joint Chiefs of Staff.

Es geht allein um China
General Hyten hatte jene ernüchternde Beurteilung kurz nach der Übung während einer Auftaktveranstaltung für das „Emerging Technologies Institute” der National Defense Industrial Association getroffen. Die Besonderheiten, Einzelheiten und Phasen des Kriegsspiels nannte er dort zwar ebensowenig wie dessen regionalen Fokus, aber laut einer von Tara Copp ungenannten Quelle hätte das – oder eines der Szenarien – eine Schlacht gegen die Streitkräfte der kommunistischen Volksrepublik Cina im Rahmen einer von China versuchten Invasion Taiwans betroffen. Solche Pläne liegen in Peking in den Schubladen, Staatschef Xi Jinping drohte wiederholt mehr oder weniger offen damit (siehe Bericht). Und während Japan jüngst nach den Worten seines Außenministers seinen notfalls auch militärischen Beistand für Taiwan signalisierte, warnte US-Präsident Joe Biden erst am 27. Juli, dass es Xi Jinping „todernst” sei, wenn es ihm darum gehe, „die mächtigste Militärmacht der Welt sowie die größte und bedeutendste Volkswirtschaft der Welt bis Mitte der 40er-Jahre, also bis 2040, zu werden.”

F-35 Kampfjets wären wertlos
Vor diesem Hintergrund ist es vielleicht noch kritischer zu sehen, dass das blaue (US) Team in jenem Kriegsspiel fast sofort den Zugang zu seinen Netzwerken verloren hat. General Hyten: „Wir haben im Grunde eine Informationsdominanzstruktur versucht, in der Informationen für unsere Streitkräfte allgegenwärtig waren. Genau wie im ersten Golfkrieg. Und genau wie in den vergangenen 20 Jahren, genau wie jeder auf der Welt – einschließlich China und Russland – uns in den vergangenen 30 Jahren dabei auf Schritt und Tritt beobachtet hat. Nun was passiert, wenn – zudem von Anfang an – Informationen und Netzwerke nicht mehr verfügbar sind? Das ist das große Problem, mit dem wir konfrontiert waren.”

@The AustralianNun ist es auch einer der Hintergründe von Kriegsspielen, aus offenkundigen Fehlern und daraus resultierenden Niederlagen zu lernen. Aber schon frühere sogenannte „Tabletop-Wargames” auf Ebene von hochrangigen Stabsübungen, die auch China als zentralen Gegner darstellten, hatten ähnliche Ergebnisse und führten zu ähnlichen Diskussionen im Pentagon. Anfang 2021 erklärte Generalleutnant Clint Hinote als stellvertretender Stabschef für Strategie und Integration, dass „wir dieses Kriegsspielszenario eines chinesischen Angriffs auf Taiwan nie wieder spielen sollten, weil wir wissen was passieren wird. Die definitive Antwort, wenn das US-Militär seinen Kurs nicht ändert, ist, dass wir schnell verlieren werden.” Hinote fügte sogar hinzu, dass auch die modernen F-35-Kampfjets in einem solchen Konflikt im Wesentlichen nutzlos wären und dass jeder Jäger, der heute vom Band rollt, ein Jäger ist, den wir nicht einmal in diese Szenarien einsetzen würden. Ihnen würden auf ihren vorgeschobenen Basen schnell Treibstoff und Logistik ausgehen, bevor sich noch zeigen würde, ob der F-35 dem chinesischen Kampfjet J-20 mit mehr und weitreichenderen Lenkwaffen überlegen wäre oder nicht.”

Das neue Konzept des erweiterten Manövers, das nun von General Hyten entworfen wurde, enthält vier Schlüsselanweisungen für die Integration der Teilstreitkräfte, um auf dem Schlachtfeld von heute besser konkurrieren zu können: 1) Verteidigung und Sicherung der Logistik, 2) gemeinsame Waffenwirkung, 3) gemeinsame Führung und Kontrolle über alle Domänen und 4) Informationsvorteil. Dies sind nicht unbedingt neue Ideen, sondern bauen auf Initiativen auf, die bereits entwickelt wurden. Sicherung und Verteidigung der Logistik bezieht sich in diesem Sinne auf die Suche nach neuen Konzepten, um Kampfflugzeuge unabhängig von ihrem Einsatzort mit Treibstoff und Waffen zu versorgen. Dazu gehört auch, Logistik-Assets verteidigen zu können und dass Logistik-Einheiten sich möglicherweise dorthin vorkämpfen müssen. Mehrere Initiativen in diese Richtung sind bereits in Arbeit. Die US-Armee zum Beispiel hat in den vergangenen Jahren neue Ideen entwickelt, nach denen Kampfbrigaden eine ganze Woche lang ohne Nachschub operieren können (müssen). Auch die USAF verfolgt ein neues „Rocket Cargo-Konzept”, das darauf abzielt, mit auf dem kommerziellen Markt bereits verfügbaren Raketentechnologien innerhalb einer Stunde 100 Tonnen Fracht an jeden Ort der Erde bringen zu können.

@PAFCOM
Immer wieder trainieren die US-Streitkräfte so wie hier auch gemeinsam mit japanischen Militärs. Dabei geht es immer wieder auch um Szenarien, die Taiwan betreffen.

General Hyten’s dritte Direktive, „Joint All-Domain Command and Control” oder JADC2, ist ein Versuch, Sensoren und Kommunikationsnetzwerke aus allen Diensten und Teilstreitkräften zu einer einzigen Architektur zu verbinden. Im Wesentlichen würde JADC2 eine digitale Cloud-ähnliche Umgebung für den Austausch von Informationen, Überwachungs- und Aufklärungsdaten sowie anderen Informationen über das riesige Kommunikationsnetzwerksystem des DOD schaffen, um eine schnellere Entscheidungsfindung und somit schnellere Waffenwirkung zu ermöglichen. Insbesondere die Luftwaffe hat eine Vielzahl von Systemen getestet, vor allem die Stealth-ISR-Drohne RQ-180 könnten in diese Architektur passen und als langlebiges, überlebensfähiges Informations-Gateway in umkämpften Umgebungen dienen. In weiterer Folge wäre es – laut Hyten unter einer gemeinsamen einzigen Kommandostruktur – essentiell, „in einer zeitlich gesehen gemeinsamen Feuerwirkung auf den Gegner zu handeln, aber das ist im Zeitalter des Informations- und Cyberkrieges unglaublich schwer zu bewerkstelligen.”

@The Economist
Längst analysieren auch internationale Medien wie der Economist die „Taiwan-Problematik”.

Systemische Hemmnisse, welche Dikturen so nicht haben
Es war in der Vergangenheit gerade General Hyten, der sich besonders lautstark zu „kaputten Prozessen” äußerte und behauptete, dass es ihm „die größte Sorge bereitet, dass Amerikas verteidigungsindustrieller Komplex die Fähigkeit verloren hat schnell voranzuschreiten, wenn es nötig ist. Bürokratie bremst oft den Fortschritt, den es braucht, um tatsächlich militärische Innovationen zu erzielen. Es gibt immer einen Push-und-Pull-Kampf zwischen den Interessen jedes Zweiges der Teilstreitkräfte und Dienste, den – auch finanziellen – Intentionen des militärisch-industriellen Komplexes und den in der Welt da draußen wahren Realitäten im Hinblick auf gemeinsame Fähigkeiten. Diktaturen haben das Phänomen jener Rivalitäten teils wohl auch, aber wesentlich weniger bziehungsweise kann das dort mit einem Federstrich unterbunden werden.”

Laut Hyten ginge es darum, „das riesige Unternehmen welches das US-Militär ist, dazu zu bringen, massive Paradigmenwechsel in Bezug auf Zusammenarbeits-Konzepte gemeinsamer Operationen zu koordinieren. Das ist – gelinde gesagt – im Lichte dienststellenübergreifenden Wettbewerbs, technologischer Hindernisse und der Widerspenstigkeit Einzelner alles andere als einfach. Und unsere Gegner sehen das und arbeiten es in ihre Pläne ein. Das darf unsere politische wie militärische Führung so nicht weiter zulassen.”

Quelle@US Navy, US Air Force, The Australian, PAFCOM