Geopolitische Spannungen zwischen Russland und dem Westen sind auch am Westbalkan spürbar. Moskaus politische und ökonomische Interessen widersprechen dort teilweise der westlichen Konsolidierungspolitik in Form der EU- und NATO-Integration.

Der Westbalkan, zu dem der Großteil der Nachfolgestaaten des früheren Jugoslawien und Albanien gezählt wird, befindet sich anhaltend in einem komplexen Prozess noch nicht abgeschlossener Staatsbildungs- und Friedensprozesse. Offene bilaterale Fragen, autoritäre Tendenzen, nationalistische Rückschläge und negative ökonomische ­Daten stellen auch weiterhin ein potenziell gefährliches Gemisch für diese Region dar. Ein Warnsignal in diese Richtung waren Mitte Mai die Aus­einandersetzungen zwischen mazedonischen Sicherheitskräften und einer bewaffneten albanischen Gruppe im nordmazedonischen Kumanovo. Dabei wurden acht mazedonische Polizisten und zehn Albaner, die auf ihren Kampfanzügen die Symbole der früheren Guerilla UÇK trugen, getötet.

Die Spannungen zwischen „dem Westen” und Russland im Kontext des Ukraine-Krieges wirken sich tendenziell negativ auf den Konsolidierungsprozess am Westbalkan aus. Für diesen Teil Südosteuropas sind der EU- und NATO-Integrationsprozess die wichtigsten Stabilisierungsinstrumente. Feststellbare Versuche Russlands, ­seinen politischen und ökonomischen Einfluss auf dem Westbalkan auszubauen, erschweren in einigen Westbalkanländern allerdings die konstruktive Fortsetzung der westlichen Integrationspolitik. Für Russland hat der Westbalkan zwar geopolitisch nicht dieselbe Bedeutung wie das sogenannte „Nahe Ausland”, Moskau scheint durch den Ausbau seines Einflusses in dieser Region aber die EU schwächen zu wollen. Anstatt unter dem EU-Dach zusammenzuwachsen, entsteht im Kontext der Ukrainekrise in diesem Teil Südosteuropas eine neue politische Spaltung – und zwar zwischen ­jenen Ländern, die die EU-Sanktionen gegenüber Russland mittragen (Albanien, Kroatien, Montenegro und ­Kosovo) und jenen, die in dieser Frage zwischen dem Westen und Russland äquidistant sein wollen (Bosnien und Herzegowina, Mazedonien und Serbien). Serbien, das bis 2014 im ­Rahmen des Projektes „South Stream” energiepolitisch sehr auf die Zusammenarbeit mit Russland gesetzt hat, sieht sich neben der Kosovofrage in seinen EU-Beitrittsbemühungen ­zusätzlich unter Druck gesetzt. Eine energiepolitische Neuorientierung ­Belgrads – im Sinne einer stärkeren Diversifizierung – ist angedacht, es wird aber nicht einfach werden, diesen neuen Energiekurs nach dem vor­läufigen Ende von „South Stream” ­umzusetzen.

In Bosnien und Herzegowina besitzt Putin mit seinem treuen politischen Anhänger – dem Präsidenten des Staatsteils Republika Srpska, Milorad Dodik – die Möglichkeit, direkt westliche Stabilisierungspolitik zu unterminieren. Unter Putin hat Russland bisher serbische Sezessionsbestrebungen in Bosnien und Herzegowina eher angestachelt als sie kritisiert. Den Westen beschuldigt Moskau, Bosnien und Herzegowina, aber auch die anderen Westbalkanländer, in die EU und NATO „drängen zu wollen”. Vor diesem Hintergrund hat Russland im November 2014 im UN-Sicherheitsrat erstmals nicht der Verlängerung der Friedensoperation EUFOR-ALTHEA in Bosnien und Herzegowina zugestimmt, sondern sich der Stimme enthalten.

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Destabilisierung als Ziel? Russlands Präsident Wladimir Putin will über eine politische Spaltung des Westbalkans die Europäische Union schwächen.

Die konservative Regierung ­Mazedoniens sieht sich wegen der langjährigen griechischen Blockadepolitik im EU- und NATO-Beitrittsprozess vom Westen im Stich gelassen. Eine Annäherung an Russland ist deshalb möglich, wenn auch ein totaler Schwenk wegen Mazedoniens geografischer Lage eher unwahrscheinlich erscheint. Als interessantes Gegen­beispiel erscheint im Vergleich dazu Montenegro, das sich trotz der umfangreichen russischen Investitionen in diesem Land für die eindeutige Unterstützung der EU-Politik in der Ukrainekrise entschieden hat.

Nach der Aufnahme Kroatiens im Juli 2013 hat die EU den technischen ­Prozess der Heranführung der Westbalkanländer zwar fortgesetzt, insgesamt wurde diese Region von Brüssel in ihrer außenpolitischen Prioritätensetzung aber „bescheiden vernachlässigt“. Dies scheint sich wegen der russischen Balkanambitionen wieder zu ändern. Eine Kurskorrektur wäre auf jeden Fall notwendig. Erste Anzeichen für eine proaktivere Politik der EU könnte die deutsch-britische Reformagenda für Bosnien und Herzegowina sein sowie ein vermehrtes Bemühen der EU, den Westbalkan in seine Verkehrs- und Energieprojekte einzubinden. Während mit dem Dialog zwischen Belgrad und Prishtina/Priština seit 2011 anscheinend ein probates Format gefunden wurde, um positive politische Prozesse in der Kosovofrage zu unterstützen, fehlen noch entsprechende Impulse der EU gegenüber Mazedonien. In diesem Fall geht es zum einen um die Deeskalierung innenpolitischer Fragen – im Fokus steht hier insbesondere die ­Beendigung der innenpolitischen Polarisierung und die Stärkung vertrauensbildender Maßnahmen in den inter­ethnischen Beziehungen. Die zweite wichtige Herausforderung besteht ­darin, eine brauchbare Lösung im ­Namensstreit zwischen Mazedonien und Griechenland zu finden und damit die längjährige Blockadepolitik von Athen bei der Integration Mazedoniens in die EU und NATO zu beenden.

Die USA unterstützen die Integrationspolitik der EU gegenüber den Westbalkanländern, zweifeln jedoch des ­Öfteren an der Durchsetzungsfähigkeit der Union. Serbien und die anderen Westbalkanländer werden „in line of fire” (US-Außenminister Kerry) der geopolitischen Spannungen mit Russland gesehen. Ziel der USA ist es vor allem, am Westbalkan die NATO-Integration voranzutreiben und NATO-Partnerschaften zu vertiefen, um dem verstärkten russischen Einfluss etwas entgegensetzen zu können. Im Mittelpunkt der NATO-Integration steht derzeit insbesondere Montenegro, das sich im Konflikt mit Russland eindeutig auf die Seite des Westens gestellt hat. Trotzdem ist noch nicht gesichert, dass Montenegro Ende 2015 eine Einladung erhalten wird, der NATO beizutreten. Die NATO macht dies vor allem von der Durchführung rechtsstaatlicher ­Reformen und von der Erhöhung der – derzeit eher niedrigen Akzeptanz – des NATO-Beitritts in der montenegrinischen Bevölkerung abhängig.

Lesen Sie dazu auch die aktuelle Analyse „Der Westbalkan im geopolitischen Sog” von IFK-Leiter Brigadier Walter Feichtinger.

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