Russland demonstrierte mit seinem militärischen Eingreifen in Syrien im September 2015, dass es als Akteur im Mittleren Osten und Nordafrika nicht mehr wegzudenken ist. Ob Russland in der Region die Rolle der USA als Ordnungsmacht übernehmen wird, wie manche Beobachter behaupten, bleibt jedoch abzuwarten. Eine Analyse von Christoph Bilban & Hanna Grininger.

Die Wurzeln der aktuellen russischen Politik im Mittleren Osten und in Nordafrika (kurz als MENA-Raum bezeichnet) reichen tief. Bereits seit den 1950er-Jahren unterhielt die Sowjetunion zu einigen Staaten der Region gute Beziehungen, allen voran zu Syrien, Ägypten und Libyen. Die UdSSR vermittelte bei Krisen und Konflikten in diesen Ländern diplomatisch (wie beispielsweise im Rahmen der UNO während der Suez-Krise 1965) und engagierte sich mit Waffenlieferungen (etwa an den Irak im Ersten Golfkrieg). Mit Putins erster Präsidentschaft wurden die Beziehungen sogar noch ausgebaut – zu den alten Verbündeten kamen neue Verbindungen zum Iran, der Türkei und unlängst zu Saudi-Arabien.

Allerdings muss das russische Beziehungsgeflecht mit MENA-Staaten immer vor dem Hintergrund regionaler Konflikte (beispielsweise Saudi-Arabien vs. Iran) und globaler geopolitischer Auseinandersetzungen (mit den USA) gesehen werden. Russlands Außenpolitik in der Region wird von wirtschaftlichen Interessen dominiert. Etwa ein Drittel aller Exporte des militärisch-industriellen Komplexes gehen in die Region. Die UdSSR war neben den USA lange Hauptlieferant, heute steht jedoch die EU auf Platz zwei. Russland versucht sich hier wieder zu profilieren. Zwischen 2007 und 2011 stiegen die Waffenimporte aus Russland im Nahen und Mittleren Osten um 86 Prozent. Große Deals wurden zuletzt mit Ägypten (MiG-29M-Kampfjets und Ka-50-Kampfhubschrauber) und dem NATO-Land Türkei (Flugabwehrsystem S-400) abgeschlossen. Saudi-Arabien wurde unlängst ein Waffenliefervertrag im Wert von mehr als drei Milliarden US-Dollar (knapp drei Milliarden Euro) in Aussicht gestellt, darunter auch S-400 als Konkurrenz zum US-System THAAD.

Ziel Moskaus ist es außerdem, russische Exportprodukte aus anderen Wirtschaftsbereichen wie Öl und Gas, Lebensmittel, oder atomare Güter zu stärken. So unterzeichneten Anfang Dezember Putin und der ägyptische Präsident al-Sisi ein Abkommen über den Bau eines Atomkraftwerks in Nordägypten. Als Gegenleistung für die ägyptische Unterschrift wird der Flugverkehr zwischen Ägypten und Russland wiederaufgenommen. Kairo hofft auf die Rückkehr der seit dem Anschlag auf einen Touristenflug 2015 ausbleibenden russischen Kundschaft. Zusätzlich bemüht man sich darum, die Attraktivität der Russischen Föderation für Investoren aus der Region zu steigern. Hier ist vor allem die Kooperation mit Saudi-Arabien von Bedeutung, obwohl die Beziehungen in der Vergangenheit als eher unterkühlt beschrieben werden können. Die Rivalität am Ölmarkt, die Iran-Frage und die von Riad unterstützte Islamisierung im postsowjetischen Zentralasien stellen zwar weiterhin Konfliktpunkte dar. Der erstmalige Besuch eines saudischen Monarchen im Kreml Anfang Oktober kann jedoch als Zeichen für den Beginn von pragmatischeren Beziehungen zwischen Riad und Moskau beurteilt werden.

Eine weitere Priorität Moskaus liegt auf der Festigung des militärischen Einflusses vor allem in Syrien, wo Russland die Regierungstruppen von Präsident Bashar al-Assad unterstützt. Die Marinebasis in Tartus spielt aus geopolitischen Überlegungen eine Schlüsselrolle in der Syrienstrategie Russlands, da sie den langfristigen Zugang zum Mittelmeer sichert. Anfang Dezember wurde auch ein altes Abkommen zwischen Kairo und Moskau wiederbelebt, durch das Russlands Luftstreitkräften Zugang zu ägyptischen Militärflugplätzen erhalten sollen. Der Kampf gegen die Terrororganisation IS und oppositionelle Gruppen in Syrien ermöglichte auch zunehmende Kooperationen mit dem Iran, der Hisbollah und der Türkei. Obwohl sich die Beziehungen zur Türkei seit dem Abschuss eines russischen Kampfjets 2015 wieder verbessert haben, bergen sie noch immer ein gewisses Konfliktpotenzial, da in Syrien unterschiedliche Akteure unterstützt werden und Moskau die Kurden-Frage gegen Ankara ausspielen könnte.

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Präsident Wladimir Putin sieht im russischen Engagement im MENA-Raum wirtschaftliche, politische und militärische Vorteile für sein Land.

International versucht sich der Kreml durch das Eingreifen in den Syrienkonflikt als relevanter Akteur zu positionieren. Während der trilateralen Friedensgespräche in Astana einigten sich Russland, der Iran und die Türkei auf die Schaffung von Deeskalationszonen in Syrien. Moskau ist an der Stabilität der durch die Umbrüche 2011 erschütterten Region interessiert und richtet sein wirtschaftliches, politisches und militärisches Engagement danach aus. So wird beispielsweise in Libyen General Haftar unterstützt, wo neben militärischen auch ökonomische Interessen eine Rolle spielen. Politisch würde der Kreml durch eine Konsolidierung Libyens unter einer „pro-russischen“ Führung einen großen Sieg erringen. Die westliche Intervention in Libyen 2011 war nicht im Sinne der russischen Führung, obwohl sich Moskau im UN-Sicherheitsrat der Stimme enthalten hatte. Heute gilt Libyen in russischen Militärkreisen als Paradebeispiel für Farbrevolutionen, die stabile Staaten in kurzer Zeit ins Chaos stürzen können.

Das Vorgehen Russlands im MENA-Raum könnte aber auch in einem lange andauernden Einsatz enden, wie ihn die USA in Afghanistan erleben. Natürlich darf hierbei der innenpolitische Faktor nicht vergessen werden. Russland hat einen großen Anteil an Muslimen (Sunniten). Kampferprobte Heimkehrer aus den Konfliktgebieten der Region könnten radikalislamische Tendenzen im Nordkaukasus und Zentralasien verstärken, oder aber Muslime in ganz Russland radikalisieren. Auch aus diesem Grund ist Moskau an einer Stabilisierung der Regime und der Bekämpfung des Terrorismus (vor allem in Syrien, Libyen, auf der Sinai-Halbinsel und in anderen Regionen Ägyptens) sowie des gewaltbereiten Islamismus in der Region interessiert. Deshalb sollte der Ankündigung Putins über den Rückzug der Truppen aus Syrien vorerst nicht zu viel Gewicht beigemessen werden. Zwar wurde die Personalstärke reduziert, jedoch gibt es noch keine Anhaltspunkte über einen Rückzug der schweren Waffensysteme. Auch sind nicht alle terroristischen Kräfte in Syrien besiegt. „Falls die Terroristen erneut ihre Köpfe heben, werden wir sie so bekämpfen, wie sie es bisher noch nie gesehen haben“, behält sich Putin ein erneutes Eingreifen vor. Die Verkündung des Sieges über den IS und den geplanten Rückzug fällt auch mit Putins Ankündigung seiner neuerlichen Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen 2018 zusammen. Wie viel davon Wahlkampfrhetorik bleibt und was umgesetzt wird, bleibt abzuwarten.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Rückzug der USA aus der Region Russland ein aktiveres Auftreten ermöglichte. Auch hat Donald Trumps Ankündigung die US-Botschaft nach Westjerusalem zu verlegen den US-Beziehungen mit der Region schweren Schaden zugefügt. Russland wird weiterhin auf pragmatische Beziehungen mit allen relevanten Akteuren setzen und versuchen seinen regionalen Einfluss zu vergrößern. Das Einbeziehen wichtiger regionaler Player wie des Iran zeigt, dass sich Russland für eine multipolare Weltordnung engagiert. Wirtschaftlich versucht Moskau, verlorenes Terrain aus Sowjetzeiten wiedergutzumachen. Hervorzuheben ist auch, dass sich der Kreml durch das Engagement im Syrien-Konflikt seinen Zugang zum Mittelmeer sichert. Der geplante Ausbau von Tartus soll zukünftig maritime Operationen bis in den westlichen Indischen Ozean ermöglichen. Russland verschafft sich damit eine vorteilhafte Position in einer weiterhin umkämpften Region, die auch für China immer interessanter wird.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar „Russlands Reaktivstrategie im Nahen Osten” von IFK-Leiter Brigadier Walter Feichtinger.

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Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement IFK an der Landesverteidigungsakademie.