Die gemeinsame Übung von der NATO und der Ukraine am Schwarzen Meer geht diese Woche in die zweite Runde. Russland reagiert darauf abermals mit eigenen Manövern.

Seit vergangenen Montag üben NATO-Mitglieder und NATO-Partnerstaaten gemeinsam mit der Ukraine im Schwarzen Meer. Das multinationale Manöver „Sea Breeze” findet jedes Jahr seit 1997 im Rahmen der „Partnerschaft für den Frieden” statt. Das Programm wurde 1994 ins Leben gerufen und dient der Zusammenarbeit zwischen der NATO und einzelnen euro-atlantischen Partnerländern.

5.000 Soldaten aus 32 Ländern, 32 Kriegsschiffe, 40 Flugzeuge, 18 Teams von Spezialkräften und Tauchteams beteiligen sich dieses Jahr an „Sea Breeze”. Neben Mitgliedern der Allianz sind auch Partnerstaaten aus allen Ecken der Welt dabei – darunter Brasilien, Japan, Pakistan, Senegal und Südkorea. Die Übung hat am 28. Juni im Nordwesten des Schwarzen Meeres vor der Küste von Odessa begonnen und dauert noch bis 10. Juli. Im Zentrum stehen Marineübungen, aber es finden auch Operationen zu Land und in der Luft statt. Landkriege, die amphibische Kriegsführung, Lufteinsätze und die Jagd auf U-Boote, ebenso wie Tauchoperationen und Such- und Rettungseinsätze werden geprobt. Koordiniert wird die Übung von dem Einsatzverband der Allianz Standing NATO Maritime Group und der 6. Flotte der US-Navy mit Sitz in Neapel.

So groß wie dieses Jahr war das Manöver noch nie. Moskau schlägt deswegen Alarm. Im Vorfeld bezeichnete die russische Führung die Übung als Provokation und forderte von der NATO, darauf zu verzichten. Man werde das Manöver genau beobachten, erklärte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, und im Zweifel der Lage im Interesse der Sicherheit Russlands angemessen reagieren.

Moskau beobachtet und reagiert
Die „angekündigte Reaktion” ließ nicht lange auf sich warten. Noch vor Beginn der Übungen ließ Moskau die Bereitschaft seiner Luftabwehr in der Region testen. Dabei absolvierten die russischen Luftstreitkräfte Flüge vom russischen Festland über dem Schwarzen Meer nach Syrien, wie das russische Verteidigungsministerium mitteilte. An der Übung beteiligt gewesen seien neben Langestreckenbombern Tu-22M3 und MiG-31K sowie Kampffliegern zur U-Boot-Abwehr auch fünf Schiffe der russischen Marine und zwei U-Boote. Simuliert wurden Angriffe auf einen fiktiven Feind in der Luft, heißt es aus dem Verteidigungsministerium Russlands. Offiziell soll es darum gegangen sein, die Sicherheit des russischen Flugstützpunktes in Hmeymim und den Marinestützpunkt Tartus in Syrien zu prüfen.

Wie ernst Moskau seine Kritik an „Sea Breeze” wirklich meint, zeigte sich spätestens bei einem Vorfall zwischen den russischen Streitkräften und der Royal Navy am Kap Fiolent südlich der Krim wenige Tage vor dem offiziellen Beginn der Übungen. Der britische Zerstörer „HMS Defender” befand sich auf dem Weg von der ukrainischen Stadt Odessa in Richtung Georgien, als er – nach der Darstellung Moskaus – drei Kilometer in russische Hoheitsgewässer eingedrungen ist. Erst als die russische Küstenwache mit der Unterstützung der in Sewastopol stationierten Schwarzmeerflotte aus der Luft Warnschüsse abgefeuert und vor dem Schiff vier Fliegerbomben abgeworfen hatte, änderte das Schiff seinen Kurs, teilte das russische Verteidigungsministerium mit. Wenn es nach London geht, war alles ganz anders: Es seien keine Warnschüsse auf die „HMS Defender” abgegeben worden. Die Behauptung, Bomben seien abgeworfen worden, werde nicht anerkannt. Man gehe davon aus, dass Russland eine Schießübung durchgeführt und vor den Aktivitäten gewarnt habe. Zudem sei die „HMS Defender” in ukrainischen Gewässern in Übereinstimmung mit dem internationalen Recht gefahren. Was so viel heißt wie: die Annexion der Krim durch Russland und sein Anspruch auf die umliegenden Gewässer sind rechtswidrig, weshalb es sich um ein Eindringen in russische Hoheitsgewässer nicht gehandelt haben kann.

@NATO
Während der Übung werden zahlreiche unterschiedliche Szenarien geprobt und durchgespielt.

Nur einen Tag später ereignete sich ein ähnlicher Vorfall. Diesmal handelte es sich um die niederländische Fregatte „HNLMS Evertsen”, die auch auf dem Weg zu „Sea Breeze” war. Nach Angaben von Moskau befand sich die Fregatte in russischen Gewässern und nahm Kurs in Richtung Krim. Russische Kampfflugzeuge vom Typ Su-24 und Su-30 hätten erst die Fregatte zum Kurswechsel gezwungen, hieß es aus Moskau. Amsterdam dementierte und entgegnete, dass die Fregatte in internationalen Gewässern fuhr. Die russischen Kampfjets hätten das Schiff gefährlich nahe überflogen und Scheinangriffe simuliert, teilte das niederländische Verteidigungsministerium mit. Nach den stundenlangen Einschüchterungsversuchen hätten die russischen Streitkräfte auch die elektronische Apparatur der Fregatte gestört, teilte das niederländische Verteidigungsministerium zudem mit.

Die russische Machtdemonstration geht auch seit Beginn von „Sea Breeze” weiter. In einer Übung auf der Krim ließ Moskau die Gefechtsbereitschaft der Divisionen der Luftabwehr der Flugabwehrsysteme S-400 und Panzir S-1 testen. Vor wenigen Tagen haben mehr als zehn russische Kampfjets und Bomber erneut Übungsflüge durchgeführt, wie die russische Schwarzmeerflotte am Samstag mitgeteilt hatte. Neben den Su-30SM- Kampffliegern seien Su-24M-Bomber sowie Kriegsschiffe beteiligt gewesen. 

Ein klares Signal
Bei den Ereignissen rund um „Sea Breeze” zeigte sich zweierlei: Erstens, dass Moskau entschlossen ist, die für sich beanspruchten Gewässer rund um die Krim zu verteidigen. Zweitens, dass Moskaus Widerstand gegen das Zusammenrücken der Ukraine mit der NATO nicht nachlässt und es bereit ist, entschlossen gegen die militärische Präsenz des Westens im Schwarzen Meer vorzugehen.

Es ist nicht das erste Mal, dass Moskau gegen „Sea Breeze” protestiert. Zum ersten Mal aber kam Waffengewalt zum Einsatz. Ruft man sich die Aussagen Wladimir Putins in den vergangenen Monaten in Erinnerung, so scheint jenes entschlossene Vorgehen eine konsequente Umsetzung seiner Worte in Taten zu sein. Die Botschaft lautet: Russland wird seine Interessen unter allen Umständen verteidigen, wenn nötig auch mit der Anwendung von Gewalt. Bei seiner Rede an die Nation im April diesen Jahres hatte der russische Präsident den Westen vor einem Überschreiten „roter Linien” gewarnt. „Die Organisatoren von Provokationen, die die Kerninteressen unserer Sicherheit bedrohen, werden ihre Taten so bereuen, wie sie lange nichts bereut haben”, sagte der Kremlchef. Auf dem Gipfel in Genf mit US-Präsident Biden vor wenigen Wochen (Militär Aktuell berichtete) wurde Putin bei der Definition der roten Linien präzise: die Lösung des Konfliktes in der Ostukraine oder die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine – auf diese Themen sei bei dem bilateralen Treffen nicht eingegangen, weil sie keiner Diskussion bedürften, machte der russische Präsident bei seiner Pressekonferenz in Genf klar.

Eine Region mit hohem Konfliktpotential
Die Ereignisse rund um „Sea Breeze” unterstreichen das Konfliktpotential der Schwarzmeerregion. Die unterschiedlichen Interessen der sechs Anrainerstaaten (Ukraine, Russland, Georgien, Türkei, Bulgarien und Rumänien) sowie die Konflikte in der Region (Ostukraine, Abchasien, Südossetien) und in den umliegenden Gebieten (Transnistrien, Nagorno Karabach, Syrien) machen die Situation komplex und verwundbar. Die Gefahr für die Stabilität der Region wird durch die voranschreitende Militarisierung verstärkt.

Angesichts der wachsenden geostrategischen Bedeutung der Region wäre es verfehlt, die Reaktion Russlands auf „Sea Breeze” als eine übliche Machtdemonstration abzutun. Vielmehr zeigen die Ereignisse, dass das Szenario einer Kollision im Schwarzen Meer gerade in Zeiten erhöhter politischer Spannungen Realität werden kann. Am Genfer Gipfel beschlossen Joe Biden und Vladimir Putin, einen strategischen Dialog zur Rüstungskontrolle zu führen. Die Ereignisse im Schwarzen Meer sollten als Anlass dafür genommen werden, Gespräche auch darüber zu führen, wie das Eskalationspotential im Schwarzen Meer minimiert werden kann.

Quelle@NATO
Die Autorin ist politische Analytikerin und freie Journalistin aus Wien. Sie hat einen Abschluss in Internationale Beziehungen von der LSE und in Politikwissenschaft von der Universität Wien. Zudem hat sie mehrere Jahre Erfahrung als Analytikerin, Kommentatorin und Übersetzerin.