Die russische Luftwaffe (VKS) hat diese Woche über der Ukraine erstmals einen seiner modernen Su-35-Mehrzweckjäger im Kampfeinsatz verloren. Wie ein Video von Butusow-Plus eindeutig belegt (siehe unten), ist die Suchoj Su-35S Flanker-E rund 120 Kilometer entfernt von der ostukrainischen Stadt Charkow in der Nähe der umkämpften Stadt Izjum abgestürzt.

@Ukraine Air Force
Identifizierung leicht gemacht: Im Vordergrund die erwähnten ECM-Störbehälter L-265M10P/R (oder auch L-175V). Deren Name Khibiny bezieht sich auf die Chibinen-Berge auf der Halbinsel Kola. Das System ist für die Sondierung von erfassten Signalquellen ausgelegt, wodurch es reflektierte Signalparameter verzerren kann – das hat hier sichtlich nicht funktioniert.

Der stellvertretende ukrainische Innenminister Anton Geraschtschenko (auch er veröffentlichte Telegram-Fotos von dem Wrack auf seinem Account) bestätigte, dass das modernste Derivat der Flanker-Familie von ukrainischen Streitkräften abgeschossen wurde, angeblich – was im Moment nicht verifizierbar ist – mit einer Boden-Luft-Lenkwaffe 9K37M1 Buk-M1.

Die VKS-Einheiten haben seit 24. Februar zwar temporär regionale Luftüberlegenheit hergestellt, aber keine Art permanenter Luftherrschaft. Sie flogen zuletzt um die 300 Einsätze pro 24 Stunden, die meisten davon aber nachts. Wie ein ukrainischer MiG-29-Pilot hier beschreibt, fliegen die Ukrainer nach einem Monat – von wechselnden Basen – noch immer regelmäßige Einsätze und locken dabei russische Piloten immer wieder in gestellte Fallen ihrer bodengebundenen Luftabwehr. Dies sei auch in diesem Falle gelungen, obwohl die russische Maschine offenbar explizit für eine SEAD-Mission (Unterdrückung gegnerischer Luftabwehr) konfiguriert war.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Dies zeigen Überreste einer Anti-Radar-Lenkwaffe der Kh-31P-Serie (vielleicht eine Kh-31PK oder PM) unter der Tragfläche. Diese sind auch in Videoclips des russischen Verteidigungsministeriums zu sehen (Standfoto unten), zusammen mit Radar-Luft-Luft-Lenkwaffen R-77-1 und IR-gelenkten R-73/74. Die veröffentlichten Bilder aus der Ukraine zeigen, dass die gegenständliche Su-35S offenbar nicht voll getroffen wurde, sondern durch den Gefechtskopf beschädigt, weitgehend intakt flach aufgekommen ist, bevor sie durch Feuer verzehrt wurde. Der Pilot überlebte den Ausstieg und wurde von den ukrainischen Streitkräften gefangen genommen.

@VKSLeicht erkennbar
Das Wrack ist deswegen leicht als Su-35S (ursprünglich Su-35BM, übersetzt „Große Modernisierung”) erkennbar, da es sich um eine einsitzige Flanker-Variante ohne Canard-Vorflügel handelt, welche anstelle der Raketenschienen an den Flügelspitzen der Basis-Su-27 mit Behältern für elektronische Gegenmaßnahmensystemen ausgestattet ist. Es sind dies KNIRTI Sorbistiya- beziehungsweise Khibiny-Störsender (L-265M10P/R). Die Täuschungsvorrichtung registriert die auftreffenden Radarwellen des Gegners und reflektiert rückphasenverschobene Signale. Diese phasenverschobenen Signale beeinflussen die Amplitude des Signals und es wird eine falsche Zielposition angezeigt. Fazit: Wenn man die Su-35S auf seinem Radar-Displayschirm sieht, wäre die angezeigte Position falsch. Sie würde näher oder weiter weg erscheinen, als tatsächlich. Diese Fähigkeit ist ein wichtiges BVR-Kampfelement (BVR = Radarkampf über den Horizont) dieser jüngsten operationellen Suchoj (Su-57 ist noch im Truppentest).

Zulauf ab 2014
Der erste Auftrag des russischen Verteidigungsministeriums wurde (wie so oft auf der MAKC-Airshow) im August 2009 unterzeichnet, die Herstellung der ersten 48 Su-35S wurden aus dem Rüstungsprogramm 2013 finanziert. Am 12. Februar 2014 wurden die ersten davon betriebsfertig an die Luftwaffe Russlands übergeben. Aus dem Programm 2014 wurden die ersten drei Maschinen dann am 10. Oktober 2014 übergeben, fünf weitere im November und weitere vier im Dezember 2014. Das Einsatzdebüt der Su-35S fand in Syrien statt, am 20. August 2019. Heute setzt die VKS insgesamt 103 Su-35S-Flugzeuge ein, und zwar beim 790. Jagdfliegerregiment in Khotilowo, beim 159. Garderegiment in Besowets, beim 23. Jagdfliegerregiment in Komsomolsk-Dzemgi (eine Basis gleich beim KnAAZ-Fertigungswerk am Amur im Fernen Osten) und im 22. Jagdfliegerregiment in Uglowoe. Angesichts der Tatsache, dass die VKS für die Invasion der Ukraine Einsatzmittel aus ganz Russland zusammengezogen hat, ist es nicht möglich zu sagen, aus welcher Einheit diese spezielle Su-35 stammt.

@VKSGlaubwürdigen und auf Basis georeferenzierter Information erstellten Berichten zufolge hat die russische Luftwaffe während der Kämpfe in der Ukraine bislang übrigens 19 bis 25 Maschinen verloren. Die ukrainische Seite reklarmiert aber mehr als 100 Abschüsse für sich.

Quelle@Ukraine Air Force, VKS
Der Autor ist einer der renommiertesten österreichischen Luftfahrtjournalisten, Korrespondent des britischen Jane’s Defence und schreibt seit vielen Jahren für Militär Aktuell.