Es ist hinlänglich bekannt, dass Russland durch sein militärisches Einschreiten den syrischen Bürgerkrieg zumindest vorerst zugunsten von Präsident Assad entschieden hat. Moskau intervenierte jedoch erst ab 2015, nachdem viele internationale Friedensversuche gescheitert waren. Wie auch in diesem Fall ist „Reaktion” ein wesentliches Merkmal der Strategie Moskaus im MENA-Raum (Mittlerer Osten und Nordafrika), die Kremlführung wartet Entwicklungen ab und geht dann entschlossen vor. Begünstigt wird dieses Verhalten durch die gezielte oder unbeabsichtigte Rücknahme des US-Engagements, die regionale Konkurrenz zwischen Iran und Saudi Arabien sowie die scheinbare außenpolitische Orientierungslosigkeit der Türkei.

Diese Reaktivstrategie, die Russland mittlerweile eine gestaltende Rolle im Nahen Osten ermöglicht, prägen drei Leitlinien: Profilierung, Ökonomisierung und strategische Nutzbarmachung. Die Profilierung folgt dem Motto „great again” und wirkt sowohl nach innen wie auch nach außen. Innenpolitisch wird das Narrativ vom „starken Russland” genährt, außenpolitisch der Status als globaler Akteur auf Augenhöhe mit den USA. Dazu kommt das Bild vom verlässlichen geopolitischen Partner auch in schwierigen Zeiten. Die Ökonomisierung des Engagements erfolgt durch das Erschließen von Absatzmärkten für russische Güter (vor allem im Rüstungsbereich), durch die Abstimmung im Energiesektor (beispielsweise Öl- und Gasförderquoten) und Investitionen potenter arabischer Geldgeber in Russland. Strategischer Nutzen entsteht durch die nachhaltige politische und militärstrategische Verankerung in der gesamten Region, das Zurückdrängen des US-amerikanischen Einflusses und die Aufrechterhaltung der energiepolitischen Abhängigkeit Europas von Russland und seinen Partnern.

Russland konnte durch diese Reaktivstrategie zumindest bislang viel Aufmerksamkeit erzielen und seine Position stärken. Ob diese Erfolge von Dauer sein werden, hängt aber davon ab, wie nachhaltig sich der Kreml militärisch und wirtschaftlich engagieren kann, welche Interessen die lokalen Verbündeten letztlich tatsächlich verfolgen und ob die USA oder auch China den erforderlichen Freiraum lassen.

Lesen Sie dazu auch die Analyse „Russland: Gekommen, um zu bleiben?” von Christoph Bilban und Hanna Grininger. Hier geht es außerdem zu weiteren Beiträgen von IFK-Leiter Brigadier Walter Feichtinger.

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Der Autor ist seit 2002 Leiter des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement (IFK) an der Landesverteidigungsakademie.