Russlands Verteidigungsindustrie hat es nicht leicht. Einerseits lechzt die Branche mit ihren technisch teils durchaus kompetitiven Produkten nach potenziellen Abnehmern im Westen, andererseits verhindern aber politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen mögliche Vertragsabschlüsse.

Als entscheidender Hemmschuh erweist sich dabei vor allem der Countering America’s Adversaries Through Sanctions Act (CAATSA), mit dem Washington alliierte, befreundete oder Staaten mit US-Ausrüstung sanktioniert oder mit Sanktionen bedroht, die russische Großwaffensysteme beschaffen wollen. Dass die Drohungen keine leeren Worthülsen sind, musste kürzlich beispielsweise die Türkei erfahren, die wegen der Beschaffung russischer S-400-Luftabwehr keine modernen F-35-Kampfjets erhält. Dazu kommt: Die EU-Sanktionen und -Beschränkungen gegenüber Moskau umfassen auch sogenannte Dual Use-Güter, was die Verfügbarkeit von High-tech-Produkten in Russland weiter einschränkt.

@Georg Mader
Su-35S und Su-57-Testpilot Sergej Bogdan mit Militär Aktuell-Autor Georg Mader.

Su-35 vorrangig betroffen
Auswirkungen hatte das zuletzt vor allem auf die Su-35: Es ist zwar nicht direkt nachgewiesen, dass europäische oder nach US-Patent etwa in Taiwan oder Südkorea hergestellte Komponenten in der Su-35 verbaut wurden, da Russland über keine wettbewerbsfähige Halbleiterindustrie und daher auch keine inländischen Alternativen für bestimmte Chipklassen wie Hochleistungs-DSPs und FPGAs (weiterführende Infos in diesem und in diesem Beitrag) verfügt, ist das allerdings auch nicht auszuschließen. Die Su-35, die beginnend mit Februar 2014 in der russischen Luftwaffe in Dienst gestellt wurde, war jedenfalls das vierte Derivat des Su-27-Designs und stellte den ersten Vertreter einer neuen Kampfjet-Generation dar, die in Fachkreisen allgemein als Generation 4++ bezeichnet wird. Die (russische) Philosophie dahinter baute vor allem auf der extremen „Super-Manövrierfähigkeit” und der Vielseitigkeit der Su-27-Zelle auf, wie Suchoj-Testpilot Sergej Bogdan gegenüber Militär Aktuell erklärte. Westliche Piloten beurteilen das aber durch BVR und Sensoren als überholt oder sinnlos. Auf die für die Su-35 entwickelten Schubvektortechnologien setzt man – in verfeinerter Form – trotzdem auch bei der Su-57 der nächsten (fünften) Generation. Außerdem wurden sie im Rahmen eines Technologietransferabkommens, das den Vertrag zum Erwerb von Su-35-Kämpfern begleitete, auch an den bislang einzigen Exportkunden China verkauft. Dort ist die Technologie inzwischen auch in Chinas einstrahligem Jäger J-10C zur Anwendung gekommen.

Beim Export nach Peking ging es aber in erster Linie um die Su-35 Triebwerke. Die 117S von NPO-Saturn stellen eine umfassende Weiterentwicklung auf Basis des AL-31F dar. Der Schwerpunkt lag dabei auf der Steigerung des Trockenschubs, um Überschallgeschwindigkeiten ohne Nachbrenner zu erreichen (Supercruise). Dafür wurde der Fan-Durchmesser um drei Prozent erhöht (932 statt 905 Millimeter) und eine komplett überarbeitete digitale Regelung (FADEC) eingebaut. Gleichzeitig wurde die Schubvektorsteuerung des AL-31FP übernommen. Die Intervalle zwischen den Überholungen (eine Schwachstelle früherer und auch heutiger chinesischer Turbofan-Triebwerke) konnte von 500 auf 1.000 Stunden, die maximale Lebensdauer von 1.500 auf 4.000 Stunden erhöht werden.

@Georg Mader
Die Su-35 gilt als erster Vertreter der sogenannten 4++ Kampfjet-Generation. Technisch hinkt das Modell den neuesten 5.-Generation-Maschinen aber bereits hinterher.

Das 117S trägt auch die Bezeichnung AL-41FA1 (nicht zu verwechseln mit dem AL-41F) und wurde als Übergangslösung für die Su-57 entwickelt, bis deren eigentlich geplantes Triebwerk mit der Bezeichnung Erzeugnis-30 (russisch Изделие-30) serienreif ist. Russland hatte zuvor China gebeten, mehr Su-35-Kampfjets (als die 24) im Austausch für weitere AL-31F zu kaufen. Diese Triebwerke wiederum trieben die ersten J-20 Stealth-Fighter an. Bis zur Serienproduktion von WS-10C und WS-15 muss Peking auch weiterhin darauf zurückgreifen, während das Radar, das Navigationssystem und andere elektronische Komponenten der Su-35 den chinesischen Systemen, wie sie beispielsweise im J-16 verbaut sind, unterlegen sind.

@Key Forum
Aufnahme einer der ursprünglich für Ägypten bestimmten Su-35.

Laut diversen Defence-Medien hat nun der nächste Exportkunde Ägypten seine 2019 um knapp zwei Milliarden Euro bestellten 24 Su-35SE (-E steht immer für eine Exportversion) wieder stornieren müssen. Und das, obwohl zwischen 15 und 17 Stück der für Kairo bestimmten Flanker-E bereits produziert sind und in Irkutsk teils auch schon fliegend (Taktische Nummern 9211 und 9212) fotografiert wurden. Die Maschinen stehen nun – wie auf Satellitenbildern aus 2021 zu sehen ist – im Suchoj-Fertigungswerk KNAAz in Komsomolsk am Amur und dürften wohl nicht mehr an die al-Quwwat al-Jawwiya Il Misriya (EAF, ägyptische Luftwaffe) ausgeliefert werden. Immerhin waren einige Maschinen temporär von den Ägyptern getestet worden, die Erprobung dürfte aber eher ernüchternd ausgefallen sein. Bei Tests gegen die brandneuen Rafále Kampfjets der ägyptischen Luftwaffe zogen die zwei bis drei übernommenen Su-35 mit ihren PESA-Radars (passiv elektronisch strahlschwenkend) Irbis-E jedenfalls deutlich den Kürzeren und wurden in Folge (simuliert) abgeschossen.

@Key Forum
High-tech-Parkplatz: Die für Ägypten bestimmten Maschinen sind derzeit abgestellt und warten auf einen potenziellen Abnehmer.

Die Erfahrung rief in Kairo offenbar schmerzhafte Erinnerungen wach, denn vor Jahren hatten die Russen bereits bei der Beschaffung von insgesamt 50 MiG-29M2 und MiG-35 (das Auftragsvolumen lag damals bei knapp zwei Milliarden Euro) versprochen, jene von Zhuk-ME auf AESA-Radar (der heutige internationale Standard mit aktiver Strahlschwenkung, manchmal sogar auf nochmals schwenkbarer Antenne) umzurüsten. Dann passierte allerdings jahrelang nichts. Als Konsequenz davon bestellte Kairo „im üblichen Überoptimismus und völlig sinnlos und unrealistisch” (so der erfolgreiche Militärluftfahrt-Buchautor Tom Cooper) die Su-35-Kampfjets. Klingt unlogisch und ist es auch, obwohl sich Kairo mit diesem Schritt und den damit verbundenen Waffenoptionen R-77 wohl auch von der als „Gängelung” empfundenen Einschränkung der USA befreien wollte, wegen Bedenken Israles keine F-15 oder moderne BVR-Lenkwaffen (radargelenkt, über den Horizont) wie AIM-120C bestellen zu können. Und das, obwohl Katar, Bahrain, Saudi-Arabien, Israel, Jordanien, der Oman und die Türkei über derartige Systeme bereits verfügen.

@Rosenkranz
Militärluftfahrtexperte Tom Cooper und Militär Aktuell-Autor Georg Mader 2003 im Irak.

Dazu kommt: Die Su-35 sind immer noch mit dem PESA-Radar ausgestattet und die EAF müsste jahrelang warten (und viel bezahlen), bis die Russen ein geeignetes AESA-Radar entwickelt haben. Und das ist – im Widerspruch zu Hochglanz-Broschüren und Flugblättern auf Messen – offenbar immer noch von kritischen ausländischen Dual-Use-High-Tech-Komponenten wie beispielsweise Halbleitern aus Taiwan, Südkorea oder Israel abhängig. Gerade diese Komponenten bleiben nun in Zeiten eines globalen Halbleitermangels aus. Laut Insidern habe Russland seine potenziellen Partner um Geduld und um weitere Fristverlängerungen gebeten, „um die aufgetretenen technischen Probleme zu lösen”, wie es heißt.

Vor diesem Hintergrund dürfte sich Kairo überzeugen haben lasssen, nicht ein technisch unterlegenes und kaum zu integrierendes Gerät zu beschaffen, das noch dazu mit jahrelangen Beschränkungen und Fähigkeitsausfällen durch CAATSA-Maßnahmen konfrontiert sein wird. Schließlich ist bis auf Rafále, MiG-29M2 und Ka-52 (letztere wurden noch vor CAATSA-Gültigkeit bestellt) die gesamte Luft-Ausrüstung der Ägypter seit dem Abfall von der UdSSR im Jahr 1973 von den USA beschafft worden. Darunter fällt mit mehr als 200 F-16A-D-Jets auch die Hauptstütze der ägyptischen Luftwaffe. Nach dem Muster „Zuckerbrot und Peitsche” beauftragte das US-Verteidigungsministerium erst Ende Dezember Lockheed Martin damit, die ägyptischen AH-64D Apache Longbow Kampfhubschrauber auf den neuesten Standard AH-64E Apache Guardian aufzurüsten.

@Georg Mader
Militärluftfahrtjournalist und -publizist Babak Taghvaei gemeinsam mit Militär Aktuell-Autor Georg Mader.

Und nun nach Teheran?
Ein weiterer langjähriger Bekannter des Autors ist der iranische Militärluftfahrtjournalist und -publizist Babak Taghvaei. Ihm wurde wegen seiner Berichterstattung über die iranische Luftwaffe (IRIAF) und über jene der iranischen Revolutionsgarden (IRCG-AF) sowie seinen entsprechenden Fotos nahegelegt, seine Heimat zu verlassen, er lebt jetzt auf Zypern. Babak berichtet dieser Tage – ebenso wie die iranische Nachrichtenagentur MEHR –, dass der Iran und Russland noch in diesem Monat ein 20-jähriges Verteidigungsabkommen über knapp zehn Milliarden Euro unterzeichnen würden. Im Rahmen dieses Abkommens würde Moskau die Luftwaffe der Islamischen Republik Iran mit angeblich genau jenen 24 Sukhoi Su-35SE aufrüsten, auf die Ägypten aktuell verzichtet. Dazu kommen zwei S-400-Flugabwehrraketensysteme und ein Militärsatellit. Ob der Deal zustande kommt, bleibt abzuwarten, ein Abschluss erscheint laut Insidern aber nicht unwahrscheinlich.

Dafür spricht einerseites, dass das UN-Waffenembargo gemäß UN-Resolution 2231 nach dem – nun in Wien nach dem Ausstieg der USA wieder neu verhandelten – JCPOA Atomabkommen von 2015 im Oktober 2020 ausgelaufen ist und gegen den Widerstand der USA nicht verlängert wurde. Andererseits darf Teheran weiterhin kaum Öl exportieren und verfügt daher aus volkswirtschaftlicher Sicht eigentlich nicht über die für einen derartigen Deal benötigten Gelder. Laut den erwähnten Quellen soll der russische Deal aber auf iranischem Öl für Moskau basieren, welches Russland dann verkaufen kann. Angesichts interner Rivalitäten bleibt aber abzuwarten, ob das faktisch den Mullah-Staat lenkende Iranische Revolutionäre Gardekorps (IRGC, mehr als doppelt soviel Budget wie die regulären Streitkräfte) der IRIAF den Status erlauben würde, eine – im Vergleich zum sonstigen schwer veralteten Luft-Inventar aus US-Mustern von vor 1979 und späteren russischen und chinesischen Zukäufen – so mächtige Waffe zu betreiben. Babak sagt, dass bereits während eines Besuchs von Generalmajor und Generalstabschef Mohammad Bagheri am 17. Oktober 2021 iranische und russische Verteidigungsoffizielle über die Übernahme der 24 ägyptischen Maschinen verhandelt hätten. Das würde auch zu dem von der neuen Regierung von Ebrahim Raisi vorgeschlagenen Haushaltsgesetzesentwurf zur Stärkung der Luftwaffenkapazität für 1401 passen, welcher am 12. Dezember 1400 (islamischer Kalender, seit der Flucht Mohammeds nach Medina) der Islamischen Konsultativversammlung übergeben wurde. Anderen (bis dato nicht verifizierten) Quellen zufolge absolvieren sogar bereits 32 iranische Piloten eine Su-35-Ausbildung in Krasnodar.

@Georg Mader
Indonesien plante ursprünglich den Ankauf von elf Su-35 – letztlich entschied sich das Land aber für westliche Rafále und möglicherweise nun auch F-15.

Schon einmal nach Ende des UN-Waffenembargos hat der Iran Verhandlungen mit russischen Beamten über den Kauf von 12 bis 18 Jak-130-Trainern sowie 18 bis 24 Su-30SM (zweisitzige Mehrzweckkampfflugzeuge) aufgenommen. Eine der wichtigsten Anforderungen des Iran war damals die Möglichkeit, die Maschinen in den iranischen Flugzeugwerken (HESA) zu montieren sowie die Möglichkeit, ihre Teile lokal herzustellen. Damals wurde das von Russland abgelehnt.

Interessiert am russischen Muster ist neben Ägypten auch noch Indonesien, das mit seinen Luftwaffenplänen und der anfänglich angedachten Übernahme der heimischen Eurofighter-Flotte auch hierzulande für Diskussionen sorgte. Bereits im Februar 2018 schlossen Russland und Indonesien einen Vertrag über elf Su-35 im Wert von einer Milliarde Euro. Daraufhin drohten laut dem damaligen US-Außenminister Mike Pompeo aufgrund von CAATSA US-Sanktionen, was so auch offen kommuniziert wurde. Der indonesische Airchief Fadgar Prasteyo sagte zu lokalen Medien in Djakarta: „Ja, in Bezug auf die Su-35 mussten wir unsere Pläne leider mit einem weinenden Auge wieder aufgeben. Wir können nicht weiter darüber reden.” Im Dezember 2021 bestätigte Indonesien dann offiziell, dass es diese Akquisition aufgegeben habe und nun stattdessen französische Dassault Rafále und möglicherweise auch amerikanische F-15EX gekauft werden sollen. Zudem ist man nach wie vor mit Südkorea im Projekt KF-XX (KF-21) der 5. Generation engagiert, auch wenn hier die Anteilsfinanzierung aus Sicht von Seoul unbefriedigend ist.

@Strike-Flanker
Der russische Defence-Blogger @Strike-Flanker hat Jahr 2020 das Standbild eines russischen Videos des staatlichen russischen Flugzeugbaukonzerns OAK veröffentlicht, auf welchem in einer Tabelle die Produktion der neuesten Version der Flanker-Familie bis zumindest 2024 dargestellt ist. Demnach hätte Ägypten sogar insgesamt 30 Stück oder zwei Staffeln Su-35 erhalten, 22 noch im Jahr 2020 und acht weitere Maschinen in 2021. Bis Mitte 2021 sind tatsächlich aber nur zwischen 15 und 17 Stück produziert worden – nun ist das ganze Vorhaben kollabiert.

Einen Abnehmer fand Russland auch nicht in Algerien, das lange Zeit ein wichtiger Abnehmer russischer Jets und anderer militärischer Hardware war (aber 2008 auch die ersten zwölf von eigentlich geplanten 28 MiG-29SMT wegen verbauter alter und fehlerhafter Bauteile zurückschickte und danach Su-30MKA erhielt) und ex-equo mit Ägypten die stärkste Lufwaffe am afrikanischen Kontinent stellt. Algier entschied sich ebenfalls dagegen die Su-35 zu kaufen, weil es ebenfalls unzufrieden mit der Tatsache war, dass das Flugzeug immer noch über ein PESA- und nicht über ein AESA-Radar verfügt. Russland hatte zuvor schon angekündigt, dass es Abkommen mit Algerien über die Lieferung der Su-35 unterzeichnet habe. Die al-Quwwat al-Jawwiya al-Jaza’eriya (algerische Luftwaffe) beschloss stattdessen, ihre bestehende Flotte von Su-30MKA, die bereits ab 2007 von Russland geliefert wurde, aufzurüsten.

Das weltweit weitgehend isolierte Myanmar (früher Burma) hat im Jänner 2018 sechs zweisitzige Su-30SM2 um knapp 200 Millionen Euro bestellt, zumindest zwei Maschinen dürften offenbar – trotz der international geächteten Re-Installation der Militärjunta (Tatmadaw) – im Februar 2021 ausgeliefert worden und auch bereits gegen Rebellen der Kachin Independence Army im scharfen Schuß (Wurf) eingesetzt worden sein. Für die Fertigstellung der restlichen vier Maschinen musste aber die russische Industrie kürzlich um Nachfristen ansuchen. Angeblicher Grund dafür: Probleme mit Verbundwerkstoffen.

Quelle@Georg Mader, Rosenkranz, Strike-Flanker, Key Forum