Die Militärpflicht soll auch für Frauen gelten. Das fordert die Schweizerische Offiziersgesellschaft. Das Verteidigungsdepartement setzt vorerst auf Freiwilligkeit und versucht, durch Werbekampagnen und bessere Bedingungen, mehr Frauen für die Armee zu gewinnen. Die Debatte rund um die Inklusion von Frauen im Militär wirft auch Fragen nach der Zukunft der Armee, aber auch der allgemeinen Dienstpflicht für Männer und Frauen auf. 

Während im Bundesheer die Wehrpflicht für Frauen kein Thema ist, es in öffentlichen Umfragen dafür aber eine knappe Mehrheit gäbe (Militär Aktuell berichtete), erhält der Ansatz in der Schweiz gerade mächtig Aufwind. In einem Interview für die „NZZ am Sonntag” erklärte der Präsident der Schweizerischen Offiziersgesellschaft (SOG), Stefan Holenstein: „Es ist an der Zeit, dass beide Geschlechter im Militär die gleichen Rechte und Pflichten haben”. Die Armee könne nicht länger auf 50 Prozent des Potenzials der Gesellschaft verzichten, so Holenstein.

Die Forderung der SOG nach der Ausweitung der Wehrpflicht ist nicht neu. Seit Jahren setzt sich der Dachverband der Schweizer Offiziere für einen höheren Frauenanteil beim Militär ein. Ende 2020 rief er zu diesem Zweck das Projekt „Armee und Fraueninklusion” ins Leben. Das Argument: Die Inklusion von Frauen in die Armee ist nicht nur sicherheitspolitisch relevant, sondern auch ein wichtiger Baustein für die Zukunft der Milizarmee.

Grund für die Forderung nach mehr Frauen beim Militär ist: der Armee fehlen Soldaten. Das bestätigt ein Bericht des Bundesrates aus dem Jahr 2019. Viele würden lieber Zivildienst leisten oder seien untauglich, was die Armee in Form von  schrumpfendem Personalbestand zu spüren bekommt, heißt es in dem Bericht.

Mehr Frauen ins Militär: Befähigen statt befehlen
Für eine Ausweitung der Wehrpflicht auf Frauen hat sich der Bundesrat – die schweizerische Regierung – bisher nicht ausgesprochen. Die Notwendigkeit der Erhöhung des Frauenanteils in der Armee findet seit einigen Jahren Zuspruch vom Eidgenössischen Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS). Mit Viola Amherd an der Spitze des Verteidigungsdepartements erfährt das Vorhaben gerade besondere Aufmerksamkeit und Konkretisierung.

Umfrage: Leichte Mehrheit für Wehrpflicht für Frauen

Die Zahlen zeigen, dass Frauen in der Schweizer Armee massiv unterrepräsentiert sind: der Frauenanteil beträgt weniger als ein Prozent. Mit einer Werbekampagne unter dem Motto „Sicherheit ist auch weiblich” versucht das Verteidigungsdepartement Frauen für die Armee zu begeistern. In Werbevideos die über soziale Medien verbreitet werden, erzählen Soldatinnen und weibliche Offizierinnen von ihrem Werdegang, von ihren Hobbies und Erfahrungen beim Militär. Auch Influencerinnen sollen künftig dabei helfen, dass die Botschaft bei jungen Frauen ankommt.

Die Einsicht, dass die Armee mit dem Zeitgeist mitgehen muss, um zukunftsfähig zu bleiben, ist im Verteidigungsdepartement angekommen. Das zeigt sich nicht nur an der Nutzung sozialer Medien zur Erreichung der anvisierten Zielgruppe, sondern auch an den vom Verteidigungsdepartement geplanten Maßnahmen. Zum internationalen Frauentag diesen Jahres präsentierte Verteidigungsministerin Viola Amherd einen Bericht mit den notwendigen Schritten zur Erhöhung des Frauenanteils in der Armee. Die von der Arbeitsgruppe „Frauen in der Armee” erarbeiteten Maßnahmen reichen von einer Dienststelle für Frauen innerhalb der Armee bis hin zu einer besseren Vereinbarkeit von Militärdienst, Beruf und Familie.

Dem Bericht liegt eine wichtige Erkenntnis zu Grunde: damit künftige Generationen mehr Gefallen am Militär finden, ist es zentral, mit der Aufklärung bereits im Schulalter zu beginnen. Der Bericht stellt ernüchternd fest: Dass den Tätigkeiten und Aufgaben im Bereich der Sicherheitspolitik im Schulunterricht so gut wie gar keine Aufmerksamkeit zuteil kommen, hat zur Folge, dass junge Menschen schlicht nichts über die Armee und den Militärdienst wissen. Das soll sich nun mit Informationsveranstaltungen, sogenannten Sicherheitstagen oder Sicherheitswochen, und der Einladung von Vertreterinnen und Vertretern der Armee und des Zivilschutzes zum Schulunterricht ändern.

Auch im Freizeit-Bereich soll das Thema präsenter werden. Informationsveranstaltungen und zusätzliche Trainings- und Ausbildungslager sollen Jugendlichen die Möglichkeit geben, die Tätigkeiten der Armee aus der Nähe kennenzulernen.

Die eingerichtete Dienststelle soll der Koordination verschiedener Aktivitäten im Bereich der Frauenförderung und als erste Anlaufstelle für Diskriminierung, sexuelle Belästigung und Konfliktlösung dienen.

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Mit dem Zeitgeist mitgehen bedeutet auch, den Militärdienst familienfreundlicher zu gestalten, damit alle Erziehungsberechtigten (Mütter und Väter) ihrer Pflicht nachkommen können, wie es im Bericht heißt. Die Vereinbarkeit von Militärdienst, Beruf, Ausbildung und Familie soll durch alternative Dienstleistungsmodelle und Teilzeit für beide Geschlechter, als auch die Unterstützung bei der Kinderbetreuung künftig sichergestellt werden. Zudem sollen Führungskräfte und Kader dahingehend geschult werden, Diskriminierung, Sexismus und Gewalt in der Armee frühzeitig zu erkennen und entsprechend zu handeln. Darüber hinaus soll künftig bei jedem Umbau von Unterkünften für Armeeangehörige berücksichtigt werden, dass sie an die Bedürfnisse von Frauen angepasst sind.

Damit nicht genug: Das Verteidigungsdepartement will noch weitere Maßnahmen treffen, und fragt deshalb die Betroffenen selbst: Weshalb überhaupt gehen Frauen nicht in die Armee? Und vor allem: was müsste sich ändern, damit sie am Militärdienst Gefallen finden? Eine vom VBS in Auftrag gegebene Studie soll diesen und anderen Fragen auf den Grund gehen.

Die Zukunft der Dienstpflicht
Nicht nur die Armee, auch die Dienstpflicht im Allgemeinen braucht eine Neuausrichtung, um die Bestände zu sichern, findet das Verteidigungsdepartement und prüft deshalb verschiedene Varianten zur langfristigen Weiterentwicklung des Dienstpflichtsystems. Der Bericht soll bis Ende des Jahres vorliegen.

Eine der Varianten, die geprüft werden, basiert auf dem „norwegischen Modell”. Das Modell sieht eine Wehrpflicht für Mann und Frau vor, wie sie 2015 Norwegen als erstes Land in Europa und der NATO eingeführt hatte. Die Armee und der Zivilschutz könnten jene Schweizerinnen und Schweizer einbeziehen, die gebraucht würden. Zwischen Armee und Zivilschutz selbst wählen könnten die Betroffenen nicht. Niedergelassene nicht-Schweizer Staatsbürgerinnen und – bürger hingegen könnten freiwillig Dienst leisten.

Ein anderes Modell sieht eine allgemeine Dienstpflicht für Schweizerinnen und Schweizer, als auch für niedergelassene Ausländerinnen und Ausländer vor. Eine Änderung des Dienstpflichtsystems würde voraussichtlich eine Verfassungsrevision erfordern. Der Schweizer Bundesrat plant seinerseits eine öffentliche Debatte zu dem Thema zu lancieren, etwa durch Umfragen und Workshops mit Vertretern von Frauenvereinigungen, Jugend- und Wirtschaftsverbänden.

Mehrheit der Schweizer Bevölkerung für allgemeine Dienstpflicht
Einen ersten Eindruck von der Stimmung in der Bevölkerung zum Thema allgemeine Wehrpflicht gibt die vor wenigen Wochen publizierte Studie „Sicherheit 2021”, die gemeinsam vom Center for Security Studies (CSS) und der Militärakademie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich erstellt wurde. Die Studie zeigt klar: Die Idee der Ausweitung der Dienstpflicht auf Frauen stößt in der Bevölkerung durchaus auf offene Ohren. 67 Prozent der befragten Schweizerinnen und Schweizer halten einen „obligatorischen Dienst für Männer und Frauen mit freier Wahl zwischen Militär-, Zivil- oder Sozialdienst“ für vorstellbar. Das bedeutet einen Anstieg von 14 Prozent im Vergleich zum Jahr 2015. Von allen abgefragten Modellen der Dienstpflicht wird dieses am stärksten befürwortet.

Die Unterstützung der allgemeinen Dienstpflicht führen die Autoren der Studie auf ein in der Corona-Krise gestiegenes Vertrauen in die Armee und andere staatliche Institutionen zurück.

Zuspruch findet die Idee auch auf Seiten der Zivilgesellschaft. So will der Genfer Verein „Service Citoyen”, dass alle Schweizer Männer und Frauen dazu verpflichtet werden, einen mehrwöchigen Dienst für die Gesellschaft zu leisten, sei es im Militär, einer Milizorganisation, bei der Feuerwehr oder in einem Krankenhaus. Der Verein plant eine Lancierung der Initiative am 1. August, dem Schweizerischen Nationalfeiertag.

Quelle@Schweizer Armee
Die Autorin ist politische Analytikerin und freie Journalistin aus Wien. Sie hat einen Abschluss in Internationale Beziehungen von der LSE und in Politikwissenschaft von der Universität Wien. Zudem hat sie mehrere Jahre Erfahrung als Analytikerin, Kommentatorin und Übersetzerin.