Der oft im Anflugbereich von Leonardos Werksflugplatz Venegono in Norditalien fotografierende Kollege Oscar Bernardi hatte vor einigen Monaten Recht: Die in einem auffälligen Blau-Blau-Schema ohne Hoheitsabzeichen gehaltenen neuesten Exemplare des Fortgeschrittenen-Trainers und der leichten Kampfflugzeugvariante der M-346 Master (in Italien als T.346A bezeichnet und auch angehenden österreichischen Jet-Piloten während ihre Phase-3 und Phase-4-Ausbildung nicht unbekannt), die er dort sichtete, sind für das zentralasiatische Turkmenistan gedacht.

Vertreter von Leonardo durften lange nichts zu dem Deal sagen, seit vor mehr als einem Jahr Firmenchef Alessandro Profumo sechs Stück der bewaffungsfähigen und mit Bordradar ausgestatteten M-346FA für einen nicht genannt werden wollenden Erstkunden erwähnt hatte. Der Farbgebung nach konnten die Maschinen nur für Aserbaidschan (auch für dieses Land könnte mittelfristig eine Bestätigung erfolgen, präsentiert wurde die Maschine hier wie dort) oder eben dessen Gegenüber Turkmenistan in Frage kommen. Und am 2. August hat die regierungsgelenkte TV-Agentur AltynAsyr aus der Hauptstadt Ashgabad es in einem Kurzbericht bestätigt. Die turkmenische Luftwaffe hat bereits im Jahr 2019 Leonardo einen Auftrag im Wert von rund 500 Millionen Euro erteilt, jener umfasst aber nicht nur zwei M-346FA- und vier M-346FT-Trainer (siehe unten).

@AltynAsyr
Staatschef hebt ab: Turkmenistans Präsident Gurbanguly Berdimuhamedov flog selbst in einer der neuen M-346-Maschinen seiner Luftwaffe mit und will diese sogar alleine gelandet haben.

Staatschef probiert gleich aus
Wenigsten die ersten beiden Flugzeuge (taktisch Nr. „01” und „02”) aus der Vereinbarung dürften im Mai oder Juni bereits geliefert worden sein, sie sind in einem kurzen Clip zu sehen. Der Turkmenische Präsident und Staatschef Gurbanguly Berdimuhamedov hat die neuen Maschinen persönlich bei einem Besuch am Militärflugplatz Aktepe am 1. August besichtigt. Und er ist in einer davon offenbar sogar mitgeflogen, nachdem er nach seinem Morgenturnen mit dem Fahrrad zur Basis geradelt sei, wie in dem Bericht mit der nötigen Portion Personenkult angemerkt wird. Das lässt sich übrigens noch steigern: Gleich nach dem Flug und seiner angeblich selbst gesteuerten Landung hat er die dabei getragene Pilotenausrüstung der nach seinem Vater benannten Berdymukhamed Annayev-Militärhochschule „gespendet”, wo Kadetten aller Waffengattungen sie bereits zwecks „Erfüllung mit Inspiration” bestaunen (siehe nachfolgenden YouTube-Clip) dürfen.

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Klassische (Unterstützungs)Fähigkeiten
Leonardo entwickelt die leichte Kampfversion seines M-346 Advanced Jet Trainers (AJT) seit sechs Jahren und konnte mit dem zweistrahligen Jet bereits in Italien, Israel, Singapur, Polen (Bericht) und zuletzt (via Iraels ELBIT) in Griechenland (Bericht) reüssieren. Schon 2017 berichtete Militär Aktuell von der Vorstellung der FA-Version in Paris/Le-Bourget. Auch Österreichs Bundesheer war in Venegono in Sachen Nachfolge der dann aber vorerst ersatzlos ausgeschiedenen Saab-105 lange ein großes Thema. Laut Informationen von MIlitär Aktuell sind wir das nach wie vor, wenngleich das Interesse zuletzt naturgemäß etwas abgekühlt ist.

@AltynAsyr
Die Farbgebung der neuen turkmenischen Leonardo-Maschinen ist markant.

Der M-346FA gilt jedenfalls weiterhin als eine äußerst kostengünstige, taktische Lösung für das moderne militärische Luftraummanagement und das dafür notwendige Training. Denn die Version behält dabei alle Attribute des M-346AJT, einschließlich der bordeigenen Simulation (ETTS oder Embedded Tactical Training Simulation), wodurch der M-346FA weiterhin als Fortgeschrittenen-Trainer und für den Einstieg in die Fighter-Ausbildung (LIFT oder Lead-In Fighter Trainer) eingesetzt werden und das gesamte Spektrum simulierter Trainingsfunktionen im Flug anbieten kann. Und das integriert auch das vollständig validierte M-346 Integrated Training System (IST), mit Live-, Virtual- and Constructive (LVC)-Fähigkeiten.

Der M-346FA ist gleichermaßen gut geeignet für Luft-Boden- (CAS/COIN und Interdiction mit Präzisionsmunition), dank Multi-Mode-Radar Grifo-M-346 aber auch für Luft-Luft- (Luftpolizei und Heimatverteidigung) sowie taktische Aufklärungsmissionen mit Sensor-Behältern. Zudem sind eine moderne Selbstverteidigungsausrüstung mit Raketenanflug-Warnsensoren, Täuschkörperwerfern in den Flügelwurzeln sowie eine Reihe zusätzlicher Antennen für sichere Kommunikation und taktische Datenfunksysteme integriert. Die Unterflügel- und Flügelspitzen-Pylone können eine Reihe von Bewaffnungsvarianten tragen, darunter Luft-Luft- und Luft-Boden-Flugkörper, sowie ungelenkte Raketen und Zusatz-Treibstofftanks.

@Ashgabad Press
Russische Su-25 und MiG-29 bilden aktuell die Speerspitze der turkmenischen Luftwaffe.

Nicht das einzige westliche Fluggerät
Wie in allen ehemaligen Sowjetrepubliken besteht die Speerspitze der Luftwaffe überwiegend aus russischen Maschinen, aus den Zeiten vor der Unabhängigkeit. Lediglich Kasachstan hat seitdem neue Su-30 eingeführt. Auch in Turkmenistan sind die beiden wichtigsten „Frontline”-Typen die MiG-29 und Su-25 – aber die „blauen 346er” sind inzwischen nicht mehr das einzige westliche, ja sogar nicht einmal das einzige italienische Gerät. Bereits im Jahr 2011 gab das italienische Außenministerium AgustaWestland (einer Tochtergesellschaft von Finmeccanica, jetzt Leonardo) unter Aktenzahl MAE 21998 grünes Licht für den Verkauf von fünf AgustaWestland AW-139-Mehrzweck-Hubschraubern. Die damit verbundene Piloten- und Wartungsschulung sowie der Hardware-Support nach Turkmenistan im Umfang von 64 Millionen Euro wird unter der Aktenzahl MAE 21998 geführt. Die Zahlungen wurden in den Jahren 2011 und 2012 geleistet. Eine ähnliche Aktenzahl findet sich laut italienischen Kollegen zwar nicht, es flogen aber während einer Militärparade in Aschgabat im Oktober 2016 drei kleine AW109 – mit Außenlastträgern – über die Hauptstadt. Zudem gehört zum Inventar inzwischen noch mindestens eine Transportmaschine Leonardo C-27JNG (Next Generation), wie bei „The Aviationist” nachzulesen ist. Außerdem gehören seit einem auf der Farnborough International Air Show 2010 geschlossenen Vertrag auch zwei große AW101 Hubschrauber in VVIP-Luxusausführung (für „very very important persons”) zur Flotte.

@Ashgabad Press
Gehören ebenfalls zum Inventar der turkmenischen Luftwaffe: Zwei AW101-Hubschrauber in VVIP-Luxusausführung.

Am 28. Mai dieses Jahres wurden schließlich in Malta/Luqa – einem beliebten Tank-Zwischenstopp bei Überstellungsflügen neuer westlicher Militärmaschinen in Richtung Nah/Mittelost und Asien – zwei leichte brasilianische Turboprop-Kampfflugzeuge vom Typ Embraer A-29B Super Tucano für die Luftwaffe Turkmenistans fotografiert. Die beiden A-29B, registriert als PT-ZHI (c/n 31400270) und PT-ZHJ (c/n 31400271), hatten zwar überklebte Hoheitszeichen, deren charakteristische Formen waren jedoch als Relief erkennbar. Die Kollegen von der niederländischen Plattform „Scramble” berichteten bereits am 9. Dezember 2020 von ihrer Existenz, als die Maschinen im braslianischen São José dos Campos entdeckt wurden. Laut ihren Informationen befand sich Embraer seit 2019 in Gesprächen mit der turkmenischen Regierung über einen Vertrag über sechs Super Tucanos. Beide Parteien haben die Gespräche damals ebenso dementiert wie die vermutete Anzahl von Maschinen. Im Juni 2019 strahlte dann aber das Staatsfernsehen Turkmenistans Bilder von PT-ZTU (ein Embraer-Demonstrationsflugzeug) aus, das über einem turkmenischen Luftwaffenstützpunkt flog.

Keine klassischen Waffensysteme
Staatschef Berdymuchamedow ist von Beruf Zahnarzt und regiert Turkmenistan seit Dezember 2006, ohne sich durch Wahlen wie wir sie kennen, legitimieren zu lassen, ähnlich wie sein gar nicht gewählter Vorgänger und Staatsgründer Saparmyrat Nyyazow („Türkmenbasy” = Vater der Turkmenen) dessen Leibarzt er war. Der heutige Präsident des rohstoffreichen und daher international relevanten Einparteienstaates – zusammen mit Usbekistan und Tadschikistan ein Nachbarland des nunmehr wieder unsicherer werdenden Afghanistans – ist ähnlich wie Russlands Wladimir Putin bekannt für vielschichtige personenbezogene Inszenierungen. Er wird oft im Military-Look fotografiert, fährt Rennen in teuren Sportwagen, jagt aus dem Sattel, legt als DJ in den größten Clubs Ashgabads auf, lenkt Riesenmähdrescher und andere große Gerätschaften, schreibt aber auch Bücher über Tee und Kräuter oder einen Rapp über – im Steppenland ein großer Mythos – edle Pferde. Von seiner als 1001-Nacht Retorte des 21. Jahrhunderts konzipierten Hauptstadt regiert er ein Land, welches laut Reporter ohne Grenzen im Jahr 2018 die drittschlechtesten Bedingungen für Pressefreiheit aufwies, knapp vor Eritrea und Nordkorea. Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex 2017 von Transparency International erreicht Turkmenistan immerhin Platz 167 von 180 Ländern – knapp nach Angola und vor dem Irak.

@Malta Spotters
Trotz überklebter Hoheitsabzeichen waren die für Turkmenistan bestimmten Super Tucanos von Embraer eindeutig zu identifizieren.

Eigentlich hatte man sich in der EU darauf verständigt, Waffenexporte an Abnehmer zu unterlassen, die für interne Repressionen bekannt sind. Und eigentlich bestehen zudem lokale italienische Gesetze, die besagen, dass „die Ausfuhr von Rüstungsmaterial in Länder verboten ist, deren Regierungen für festgestellte Verletzungen internationaler Menschenrechtskonventionen verantwortlich sind”. Aber Trainingsflugzeuge oder auch Mehrzweckhubschrauber sind für sich genommen offenbar keine Waffensysteme und Rüstungsgüter im klassischen Sinne. Was immer der vertragliche End-User oder ein späterer Nutzer vor Ort irgendwann darunter hängt. Speziell in Afrika – die Problematik kennt man etwa auch bei Pilatus – ist das ein wiederholtes „Phänomen”. Die turkmenischen M-346FA trugen auf den jüngsten Screenshots jedenfalls nur sogenannte „Smokewinder” zur Rauchstreifenproduktion, wie sie beispielsweise bei Airshows zum Einsatz kommen, oder zur „Erbauung” hoher und höchster Gäste. Was sie abseits der Kameras und im potenziellen Ernstfall tragen, ist aber nicht bekannt.

Hier geht es zu weiteren Meldungen rund um Leonardo.

Quelle@Ashgabad Press, AltynAsyr, Malta Spotters
Der Autor ist einer der renommiertesten österreichischen Luftfahrtjournalisten, Korrespondent des britischen Jane’s Defence und schreibt seit vielen Jahren für Militär Aktuell.