Japan und China stehen sich nicht erst seit dem jüngsten Konflikt um die Senkaku-Inseln feindlich gegenüber. Die Gräben zwischen den beiden Ländern reichen tief und beunruhigen neben den Nachbarstaaten längst auch die USA.

Der Karren im Ostchinesischen Meer scheint verfahren: Ein aufstrebendes China reibt sich an einem wieder patriotischer werdenden Japan. Im Zentrum der Auseinandersetzung: möglicherweise rohstoffreiche Inselgruppen, um die auch Südkorea ein Wörtchen mit reden möchte. Auch andere Länder wie Taiwan, Vietnam, Malaysia, Australien oder die Philippinen melden unterschiedlichste Interessen an. Die Situation ist verworren. Erst recht, da neue Luftkontrollzonen definiert wurden, die sich teilweise überschneiden und unterschiedlichste Ansprüche formulieren. Und als wäre all das noch nicht genug, bangen im Hintergrund die USA um Macht und Einfluss. Sie sind gleich mehreren Ländern in der Region bündnisnah verpflichtet und sehen ihr Dogma der „Freiheit der Seewege” durch Chinas neues Machtbewusstsein gefährdet. In der Region ist daher seit Jahren ein neuer Rüstungswettlauf zu beobachten, der in seiner Gesamtheit frappant an die Situation in Europa im Jahr 1914 erinnert.

Geschichte wiederholt sich angeblich nicht eins zu eins, aber in Südost- und  Ostasien hat sich eine ähnliche multipolare Sicherheitssituation ohne echte Regelwerke entwickelt, wie das in Europa vor 100 Jahren der Fall war: Eine ökonomisch aufstrebende Regionalmacht fühlt sich von seinen Nachbarn wirtschaftlich zwar anerkannt, aber ansonsten wenig gemocht und rüstet auch aus diesem Grund immer weiter auf. Schlüpfte damals das kaiserliche Deutschland in diese Rolle, hat sie mit China nun das bevölkerungsreichste Land der Welt inne. Und: China ist heute wie Deutschland damals in der Rohstoffversorgung fast völlig auf die Seewege angewiesen. Jene sieht man aber durch die US Navy – im Fall Deutschlands war es die britische Royal Navy – gefährdet, was eine weitere Analogie zur Folge hat: Damals wie heute soll ein gewaltiges Flottenbauprogramm diese Gefährdung beenden. Allein 2013 wurden daher in den drei chinesischen Flotten 17 neue Kriegsschiffe in Dienst gestellt, darunter mit der „Liaoning” auch der erste Flugzeugträger des Landes.

Die unheilvolle Konsequenz: Unmittelbare Nachbarländer bemühen sich nun selbst intensivst um neues Kriegsgerät; viele stehen der Aufrüstung aber auch nur ohnmächtig gegenüber. So wie der philippinische Präsident Benigno Aquino, der im Februar in einem Interview mit der New York Times die Lage mit jener vor dem Zweiten Weltkrieg verglich und vor einer dramatischen Eskalation im Südchinesischen Meer warnte: „An welchem Punkt sagen Sie ,Genug ist genug’? Erinnern Sie sich, wie das Sudetenland Hitler überlassen wurde, um Krieg zu verhindern. Wer soll diesmal geopfert werden?” Wenige Tage zuvor hatte Japans Ministerpräsident Shinzo Abe am Weltwirtschaftsforum in Davos den Vergleich mit 1914 gezogen: „Deutschland und Großbritannien haben 1914 auch Krieg geführt, obwohl sie enge wirtschaftliche Beziehungen miteinander hatten – so wie heute China und Japan!”

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China fährt aktuell ein gewaltiges Flottenausbauprogramm: Alleine 2013 wurden 17 neue Kriegsschiffe in Dienst gestellt.

Gemeint ist ein Wirtschaftskrieg, denn tatsächlich die Klingen zu kreuzen, traut sich in der Region (noch) niemand. Aber die Situation spitzt sich zu, auch weil China ökonomisch immer wichtiger wird und seit Jänner dieses Jahres als größte Handelsnation der Welt gilt. 2013 erzielte Peking einen Außenhandelsüberschuss von 7,6 Prozent und überholte damit erstmals die USA. Das US National Intelligence Council sieht China bis 2022 gar zur größten Volkswirtschaft der Welt aufsteigen. Parallel zu diesem Aufschwung steigen auch die Militärausgaben, die ganz aktuell um 12,2 Prozent gegenüber 2013 auf 132 Milliarden US-Dollar (96 Milliarden Euro) wachsen und sich laut Jane’s Asia-Desk bis 2015 auf 238 Milliarden US-Dollar (173 Mrd. Euro) verdoppeln dürften. Das wäre mehr, als die acht stärksten NATO-Staaten nach den USA aktuell in ihre Streitkräfte investieren, und bis 2025 könnte Chinas Militäretat sogar US-Dimensionen erreichen.

Dabei handelt es sich zwar um Schätzungen, Faktum ist aber ein gewaltiger Zuwachs an modernem militärischem Potenzial in der Region, das leicht auch Auslöser für kriegerische Auseinandersetzungen sein kann. Der irrtümliche Abschuss eines Jets oder der Beschuss eines Bootes – wie das in der Vergangenheit schon passiert ist – könnten nun direkt in Kriegserklärungen münden. Und dabei werden die wirtschaftlichen Verflechtungen kaum eine Rolle spielen: U-Boot-Kommandanten oder Piloten denken in Stress-Situationen wohl kaum an die milliardenschweren Schuldverschreibungen der USA bei der chinesischen Nationalbank, an Absatzmärkte oder Zulieferverträge.

Wie kann der verfahrene Karren also wieder auf solide Räder gestellt werden? Indem sich alle Beteiligten in ihrer Außendarstellung etwas zurücknehmen. Leichter gesagt als getan, aber vor allem Peking hat es dabei in der Hand, den Weg von Kooperation und Koexistenz zu wählen. Ein Krieg in Asien wäre für alle hochtechnisierten, rohstoffabhängigen Beteiligten – wie auch Washington und Tokio – überwiegend nachteilig. Aber er ist möglich, weit möglicher als im heutigen Europa mit seinem „Friedensprojekt“ EU, das von China übrigens weit weniger rosig gesehen wird, als wir das tun. Chinesische Militärzeitschriften warnen gar vor einer ähnlichen Entwicklung, wie sie europäische Staaten zuletzt genommen haben: „Wenn wir zahn- und kraftlos wie die Europäer werden, können Amerikaner, Japaner und selbst Vietnamesen mit uns machen, was sie wollen”, ist da zu lesen. Und weiter: „Wir dürfen nie so werden …”

Um den Frieden zu sichern, braucht es vor allem bilaterale, vertrauensbildende Kontakte. Etwa eine US-Navy, welche die Führung der chinesischen Marine nach San Diego oder chinesische Schiffe 2014 zur jährlichen Pacific-Rim-Übung einlädt. Auch, wenn man dadurch Gefahr läuft, dass China darin nur eine gute Gelegenheit sieht, West-Technik auszuspionieren, um sie danach erfolgreich weiter zu adaptieren und so seine Aufrüstung weiter zu perfektionieren.

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