Nach sieben Jahren Bürgerkrieg und der bevorstehenden Eroberung der letzten Rebellenhochburg Idlib steht das Assad-Regime in Syrien vor dem endgültigen Sieg. Eine politische Lösung mit dem alten Machthaber scheint damit unumgänglich – in weiten Teilen der Welt wird Baschar al-Assad aber als Kriegsverbrecher isoliert bleiben.

Rund 400.000 Todesopfer, zwölf Millionen Vertriebene und viele Städte in Schutt und Asche – die Bilanz des syrischen Bürgerkrieges ist fatal, an den politischen Machtverhältnissen geändert haben die Kämpfe allerdings nichts. Das Ungleichgewicht im Land scheint vielmehr größer als je zuvor und Baschar al-Assad regiert weiter mit harter Hand. An der von Syrern als „Mauer der Angst” bezeichneten Einschüchterungspolitik baut er schon seit Jahren wieder, Assad versucht seine Schäfchen mit viel Druck und der Androhung härtester Konsequenzen in Schach zu halten. Angst als Instrument der Machterhaltung hat in Syrien eine lange Tradition, die bereits von Baschar al-Assads Vater, Hafiz, zielführend eingesetzt wurde. Auch künftig soll der repressive Sicherheitsapparat, allen voran die Mukhabarat (Geheimdienste), das „geschrumpfte Syrien” ruhig halten und eine breit angelegte Oppositionsbewegung in der kommenden Generation verhindern.

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Den Krieg hat Basar al-Assad wohl gewonnen – international wird er als Kriegsverbrecher allerdings isoliert bleiben.

Auch wenn vermutlich die Hälfte aller Syrer die Herrschaft Assads akzeptiert, so werden jene Teile der bewaffneten Opposition, die weder besiegt, noch in eine politische Lösung einbezogen werden, sich trotzdem neu formieren und versuchen, die Stabilisierungsprozesse im Land durch Anschläge zu torpedieren. Diese Entwicklung zeigt sich bereits zu einem gewissen Grad in Idlib, Deraa und anderen Teilen Syriens. Der Krieg des Regimes gegen Teile der eigenen Bevölkerung begünstigte zudem die Entstehung einer „kannibalistischen Wirtschaft”, nach deren Logik der Sieger des Krieges der „Eigentümer” des Landes wird. Plünderungen – Tafeesh – in allen denkbaren Formen wurden zu einem zentralen Element der syrischen Wirtschaft. In Gebieten, die von der syrischen Armee oder auch von Rebellengruppen erobert wurden, plünderten Soldaten und Milizen private Wohnungen, Unternehmen, Fabriken und Spitäler.

Das neue Syrien ist also nicht nur kleiner als früher, sondern auch sektiererischer und autoritärer. Laut Assad hätten die Kämpfe aber auch ihr Gutes gehabt: Das Land habe zwar „die besten jungen Männer verloren”, so der Machthaber, „allerdings wurde im Gegenzug eine gesündere und homogenere Gesellschaft geschaffen.” Diese Homogenität soll aus seiner Sicht die Grundlage für das künftige Syrien sein, mit einer nationalen Einheit im Glauben, in der Ideologie und Tradition. Alle vom Regime zurückeroberten Städte gehören nunmehr den siegreichen Minderheiten Syriens, nämlich Alawiten, Schiiten und Christen. Sunnitische Bewohner benötigen eine Sicherheitsfreigabe, um in ihre Häuser zurückzukehren, die nur in geringer Zahl erteilt wird. Auch politisch brach Assad erstmals mit seiner Tradition, hohe politische Ämter an Sunniten zu vergeben. So wurde das bisherige mit Sunniten besetzte Amt des Parlamentspräsidenten an einen Christen und jenes des Verteidigungsministers an einen Alawiten vergeben.

Ein Problem für Syrien sind die enormen Zerstörungen der vergangenen Jahre. Die Kosten für den Wiederaufbau schätzen die VN auf mehr als 200 Milliarden Euro, eine Summe, die von den Verbündeten Assads, Russland und dem sanktionsgebeutelten Iran, nicht zur Verfügung gestellt werden kann. Und Investitionen aus China, Indien und weiteren Staaten reichen für einen umfassenden Wiederaufbau nicht aus. Als mögliche Geldgeber könnten die EU und die Golfstaaten einspringen, beide stehen jedoch dem Assad-Regime skeptisch gegenüber. Das fehlende Vertrauen in eine künftige von Assad geführte Regierung rückt damit die notwendigen Großinvestitionen für den wirtschaftlichen und infrastrukturellen Wiederaufbau in weite Ferne. Trotzdem setzte das Regime in den vergangenen Monaten bereits erste Rahmenbedingungen für den Wiederaufbau, wobei die Unterstützer des Regimes begünstigt und jene, die es stürzen wollten, bestraft beziehungsweise permanent vertrieben werden.

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Zerstörtes Land: Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge dürfte der Wiederaufbau Syriens rund 200 Milliarden Euro kosten und damit nur schwer zu finanzieren sein.

Der Machterhalt Assads wirkt sich neben dem Wiederaufbau auch negativ auf die Rückkehr von Flüchtlingen aus – ein besonders kritisches Thema für die Nachbarstaaten Syriens, die am Rande ihrer Belastbarkeit stehen. Etwa die Hälfte der syrischen Bevölkerung wurde durch den Krieg vertrieben, mehr als fünf Millionen von ihnen suchten Zuflucht im Ausland. Viele flohen vor Angriffen der syrischen Streitkräfte und haben keine Häuser oder Wohnungen mehr, in die sie zurückkehren können. Andere Flüchtlinge befürchten Inhaftierungen, Misshandlungen oder Zwangsrekrutierungen durch das Regime. Das im Frühjahr erlassene Dekret Nummer 10 legitimiert die Beschlagnahme von Vermögenswerten durch die Regierung. Die Furcht vor Verfolgung bestätigt sich auch durch eine im Internet veröffentlichte Liste mit den Namen von 1,5 Millionen großteils im Ausland lebenden Menschen, die derzeit von Sicherheitsbehörden gesucht werden. Die geflüchteten Syrer selbst bezeichnen sich bereits als die „neuen Palästinenser”, die für den Rest ihres Lebens aus ihrer Heimat ausgeschlossen werden. Auch wenn das Assad-Regime einen Großteil des syrischen Territoriums unter seine Kontrolle gebracht hat, so dominieren ausländische Mächte – wie die Türkei, USA und Frankreich – weiterhin Grenzgebiete, blockieren Handelskorridore und den Zugang des Regimes zu Ölfeldern. Selbst in Gebieten, die nominell unter der Kontrolle des Regimes stehen, üben Russland, der Iran, die Hisbollah und lokale Milizen, die durch den Krieg ermächtigt wurden, oft eine größere Kontrolle aus als der syrische Staat.

Unter dem Strich deuten alle diese Entwicklungen darauf hin, dass Assad künftig einen Marionettenstaat regieren wird. Der Präsident geht auf dem Papier zwar als Sieger des siebenjährigen Krieges hervor, er bleibt aber in weiten Teilen der Welt als Kriegsverbrecher isoliert, der das neue Syrien auf Basis einer fragmentierten Gesellschaft sowie eines schwachen Staats aufbauen muss, der langfristig unter dem Einfluss ausländischer Mächte stehen wird. Damit scheint die Voraussage des ehemaligen Gesandten der Arabischen Liga und der Vereinten Nationen, Lakhdar Brahimi, tatsächlich Realität zu werden. Er meinte schon vor Jahren, dass der syrische Bürgerkrieg mit der „Somalisierung” Syriens enden wird.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar „Weichenstellung über Syrien hinaus” von IFK-Leiter Brigadier Walter Feichtinger.

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