Neue Militär Aktuell-Serie: Generalmajor Johann Frank berichtet ab sofort in jeder Ausgabe über Neuheiten und Entwicklungen rund um die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der Europäischen Union. Dieses Mal im Fokus: Wird die Coronakrise langfristig zu einem Katalysator für mehr militärische Zusammenarbeit? Oder wirkt sie vielmehr als Zentrifugalkraft?

Trump, Putin und BREXIT haben dazu geführt, dass die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU seit 2016 an Dynamik gewonnen hat. Wichtige neue Verteidigungsinitiativen waren seither die Erstellung einer neuen Globalstrategie, die Einrichtung einer permanenten strukturierten Kooperation (PESCO) zur Entwicklung neuer militärischer Fähigkeiten, die Schaffung neuer Finanzierungsmechanismen etwa in Form des Europäischen Verteidigungsfonds (EDF) und institutionelle Neuerungen wie die Schaffung eines Militärischen Planungselements (MPCC) zur selbstständigen Führung nicht-exekutiver Einsätze wie beispielsweise Trainingsmissionen in Afrika. Die zugrunde liegende politische Ambition ist, dass die EU an strategischer Autonomie gewinnen und mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit übernehmen möchte.

Mitten in diesen an sich positiven Entwicklungstrend brach nunmehr die Covid-Krise herein, die auch für die GSVP zu einem definierenden Faktor geworden ist. Aus heutiger Sicht ist es entwicklungsoffen, ob die Pandemie zu einem Katalysator für eine engere militärische Zusammenarbeit wird oder ob sie sich als Zentrifugalkraft auswirken wird.

In der ersten Phase der Krisenbewältigung wurden die Streitkräfte fast aller EU-Staaten als strategische Handlungsreserve und als vielfältig verwendbare Krisenreaktionskräfte entweder zur humanitären Assistenz oder als Ordnungskräfte etwa im Grenzmanagement eingesetzt. Gleichzeitig ist es gelungen, das internationale Engagement der EU, also die aktuell 17 Missionen und Operationen, unter punktuellen Anpassungen der Einsatzführung weiterzuführen. Mit der Mittelmeermission „IRINI” zur Überwachung des Waffenembargos in Libyen wurde sogar ein neuer Einsatz beschlossen.

Beim letzten virtuellen Treffen am 12. Mai stand die Frage der Auswirkungen von Covid auf die weitere GSVP-Entwicklung bereits auf der Agenda der EU-Verteidigungsminister. Die Minister waren sich einig, dass die Krise gezeigt hat, dass man die Herausbildung einer strategischen Autonomie der EU in allen ihren Dimensionen einschließlich der militärischen, zügig vorantreiben müsse und dass die europäischen und nationalen Verteidigungsbudgets auch angesichts der Wirtschaftskrise nicht reduziert werden dürften. Es brauche angesichts der neuen Risiken mehr und nicht weniger europäische Zusammenarbeit und die schon beschlossenen neuen Verteidigungsinitiativen sollen zügig und konsequent implementiert werden.

Für die längerfristige Weiterentwicklung der GSVP wird entscheidend sein, welche Lehren man auf konzeptioneller, finanzieller und fähigkeitenbezogener Ebene zieht. Konzeptionell geht es um die Frage, ob über das internationale Krisenmanagement hinaus zukünftig auch verstärkt der Einsatz von Militär innerhalb der EU berücksichtigt werden soll. Finanziell geht es um die Frage, ob die Mitgliedstaaten den Budgetvorschlag der EU-Kommission in der Höhe von insgesamt 10,6 Milliarden Euro für den EDF und die militärische Mobilität für den Zeitraum 2021 bis 2027 zustimmen werden und wie vermieden werden kann, dass die nationalen Verteidigungsbudgets nicht wie bei der Finanzkrise im Jahr 2008 um rund 20 Prozent reduziert werden. Und auf der Ebene der Kapazitäten stellt sich die Frage, in welchen Fähigkeitsbereichen prioritär investiert werden soll.

Zur Klärung dieser Fragen haben die EU-Verteidigungsminister die Erarbeitung eines „Strategischen Kompasses”, eine Art Weißbuch der Verteidigung, in Auftrag gegeben. Ausgangspunkt für diesen Prozess, der unter der deutschen EU-Präsidentschaft 2020 gestartet wird, soll eine umfassende Risikoanalyse sein. Darüber dann mehr in der nächsten Ausgabe.

Hier geht es zum nächsten Teil von „GSVP im Fokus”: Welche Ziele wollen wir mit der GSVP erreichen?

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Seit April 2020 ist Johann Frank Leiter des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement. Davor war er sechs Jahre lang der Sicherheitspolitische Direktor des Bundesministeriums für Landesverteidigung und Leiter der Direktion für Sicherheitspolitik. Seit 2014 war er darüber hinaus beratendes Mitglied im Nationalen Sicherheitsrat sowie dem Rat für Integration und Außenpolitik der Republik Österreich.